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und küsste mich auf die Stirn. Ich schlang meine Arme um ihn und drückte mein Gesicht fest gegen seine Brust. Obwohl er noch vor mir stand, fehlte er mir schon jetzt. Seine Finger glitten über meinen Kopf und mein Haar.

      Wir lösten uns voneinander und ich küsste ihn auf die Wange, bevor ich mich umdrehte und schnell zurück zum Wagen lief. Ich konnte nicht dabei zusehen wie er ohne mich in dem Gebäude verschwand. Am liebsten hätte ich mich einweisen lassen, nur um bei ihm sein zu können. Aber ich wusste, dass wenn Doktor O’Hare erst einmal einen Blick in meinen verworrenen Verstand werfen würde, ich Velvet Hill nie wieder würde verlassen dürfen.

      Als ich mich neben Liam niederließ, musterte er neugierig mein Gesicht, doch ich zischte nur: „Fahr einfach los!“

      Er wendete den Blick ab und startete wortlos den Motor. Mein Hals schnürte sich zu und als ich die Klinik nicht einmal mehr im Rückspiegel sehen konnte, kullerte eine Träne über meine Wange, die ich wütend wegwischte.

      „Wollen wir morgen früh Pfannkuchen essen gehen?“, fragte Liam in dem Versuch mich aufzuheitern.

      „Glaubst du Pfannkuchen können mir Aidan ersetzen?!“, fuhr ich ihn wütend an und bedauerte es noch im selben Moment. Manchmal erkannte ich mich in letzter Zeit selbst nicht wieder. Während ich zuvor immer geschwiegen hatte, egal wie sehr mich jemand verletzt oder mich etwas störte hatte, fuhr ich nun oft grundlos aus der Haut. Ich hatte das Gefühl auf die ganze Welt wütend zu sein.

      Liam hatte es nur gutgemeint. Er hatte zwar in der Vergangenheit viel Leid über mich gebracht, aber gab sich, seitdem er wieder auferstanden war, große Mühe es irgendwie wieder gut zu machen. Ich war ihm dankbar für das, was er Aidan ermöglicht hatte.

      Wir erreichten das Anwesen unserer Familie, in dem wir nun wieder gemeinsam lebten. Der Wald und das Gebäude lagen im aufkommenden Nebel, der sich bis zu meinem Herzen einen Weg zu bahnen schien. Ich hasste diesen Ort. Er erinnerte mich an all die schrecklichen Dinge, die dort in den letzten Monaten passiert waren, während die Erinnerungen an meine Großmutter immer mehr verblassten.

      Susan hatte mir mehr als einmal angeboten, dass ich gerne bei ihnen wohnen bleiben könnte und auch jederzeit wiederkommen dürfte. Zu gern hätte ich ihr Angebot angenommen. Sie war der warmherzigste Mensch, dem ich je begegnet war und ich hatte mich in ihrer Nähe zum ersten Mal seit langem geborgen gefühlt, aber ich wusste auch, dass sie durch die Festnahme von Eliza bereits genug Sorgen und Probleme hatte und wollte ihr deshalb nicht noch mehr zur Last fallen. Zudem wäre Winter sicher alles andere als erfreut gewesen, wenn sie mich jeden Tag sehen müsste.

      Gleichzeitig fühlte ich mich auch Liam gegenüber verpflichtet. Er war alles, was mir von unserer Familie geblieben war. Aber sobald ich das Anwesen betrat, waren all meine positiven Gefühle wie weggefegt und zurück blieb nur eine bodenlose Leere. Egal, was Liam auch zu mir sagte, seine Worte waren wie ein undeutbares Rauschen, dem ich keine Beachtung schenkte. Ich zog mich in mein kaltes Zimmer zurück und verschloss die Tür hinter mir. Die Wände waren kahl und die Tapete löste sich bereits seit Jahren. Auf dem Boden gab es keinen Teppich und an den Fenstern hingen keine hübschen Gardinen. Es machte nicht den Eindruck als würde hier jemand wohnen, trotzdem war es mein Zuhause. Ich legte mich flach aufs Bett und starrte zur Decke, an der sich ein großer Wasserfleck dunkel hervorhob. Wenn ich alleine in meinem Zimmer war, hatte ich manchmal das Gefühl bereits tot zu sein. Mein Leben bestand daraus zu warten. Ich zählte die Sekunden, Minuten, Stunden und Tage bis ich Aidan wiedersehen würde, nur in seiner Gegenwart fühlte ich mich lebendig.

      Eliza

      „Sie haben Besuch, Miss Rice“, sagte einer der Polizeiwachen, als er die Tür zu meinem Zimmer öffnete – Zelle traf es jedoch wohl eher, denn es gab in dem Raum nichts außer einem Bett, einem Tisch und einem Stuhl. In der Ecke befand sich noch eine Toilette mit einem Waschbecken. Die Schande eines Spiegels hatten sie mir wenigstens erspart. Ich wollte lieber nicht wissen, wie ich im Moment aussah. Wenn mein Äußeres mein Inneres widerspiegelte, würde ich wie das Monster aussehen, als das ich mich fühlte.

      Ich erhob mich von meinem schmalen Bett, welches protestierend quietschte. Brav legte ich meine Hände auf den Rücken, sodass der Polizist mir die Handschellen anlegen konnte. Ich kannte seinen Namen nicht. Die Wachen wechselten ständig und verschwammen für mich zu einer gesichtslosen Person.

      Die Einzigen, die mich bisher besucht hatten, waren meine Eltern gewesen. Mum war jedes Mal in Tränen ausgebrochen, während Dad mir immer wieder versicherte, dass sie Himmel und Hölle in Bewegung setzen würden, um mich hier rauszuholen. Sie hatten nicht einmal gefragt, ob ich schuldig war. Aber das war ich. Die traurige Wahrheit war, dass ich zu Recht in Untersuchungshaft saß und nach der Gerichtsverhandlung für viele Jahre ins Gefängnis gehen würde. Ich war eine Mörderin. Daran konnte niemand etwas ändern.

      Der Polizist öffnete die Tür zum Besucherzimmer und ich stutze. Dort wartete eine großgewachsene, blonde, mir unbekannte Frau auf mich. Sie trug ein elegantes schwarzes Kostüm. Der Rock war vielleicht einen Tick zu kurz, aber betonte dadurch nur ihre langen Beine. Sie ging mir mit einem Lächeln entgegen wie es Immobilienmakler aufsetzen, wenn sie sicher waren, dass sie ein großes Geschäft an Land ziehen würden.

      „Eliza“, säuselte sie, als wären wir alte Bekannte und ließ dabei ihren Blick über meinen Körper gleiten. „Gut siehst du aus.“

      Alles an ihr war falsch. Ihr aufgesetztes Lächeln, ihr makelloses Gesicht und ihre Worte. Ich sah gewiss alles andere als gut aus. Misstrauisch verschränkte ich meine Arme vor der Brust und blieb vor dem Tisch stehen, anstatt mich ihr gegenüber zu setzen. „Wer sind Sie?“

      Sie rollte mit den Augen, wobei ein amüsiertes Lächeln ihre Lippen umspielte. „Eure Mutter spricht nicht oft über mich, oder?“

      Ich runzelte verständnislos die Stirn.

      „Mein Name ist Rhona. Ich bin deine Tante und zu deinem Glück auch noch Anwältin. Ich werde dich im Prozess vertreten und nun setz dich bitte!“ Ihr Tonfall war freundlich, aber bestimmt. Wage erinnerte ich mich an eine Tante, die ich einmal bei meinen Großeltern kennengelernt hatte. Ich nahm an, dass wir einander nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt hatten. Obwohl ich zwar wusste, dass Mum eine Schwester hatte, war sie nie Gesprächsthema in unserem Haus gewesen. Es gab keine Geschichten aus ihrer gemeinsamen Kindheit oder Jugend.

      Zögernd nahm ich Rhona gegenüber Platz. Sie verschränkte ihre Hände auf dem Tisch und sah mich herausfordernd an. „Und? Hast du es getan?“

      Die Art wie sie die Frage stellte, beunruhigte mich. Sie war zwar meine Anwältin und auch sicher im Auftrag meiner Eltern hier, aber dennoch misstraute ich ihr. Auch wenn sie meine Tante war, blieb sie eine Fremde.

      „Du musst mir die Wahrheit sagen, wenn ich dich verteidigen soll“, bohrte sie nach.

      „Ja“, stieß ich schließlich hervor und sah ihr in die grünen Augen, die von getuschten Wimpern eingerahmt waren. „Ich habe Will umgebracht.“

      Sie notierte sich etwas auf ihrem Block und sah dann wieder auf, als wäre nichts gewesen. „Gab es Zeugen?“

      Mona und ich hatten ihn gemeinsam erstochen, aber es war meine Idee gewesen. Unmittelbar danach war ich auf Lucas gestoßen, dem ich alles gestanden hatte. Ich werde nie die Abscheu in seinem Blick vergessen. Er hatte das Monster in mir gesehen. Er war es auch, der die Polizei verständigt und einen Krankenwagen für Mona gerufen hatte. Sie war zusammengebrochen und ich hatte sie einfach liegen lassen. Das Einzige, was mich interessiert hatte, war zu wissen, ob mein Plan aufgegangen war. Liam musste leben, um den Fluch zu brechen, der meine Schwester von mir fernhielt. Nun gab es keinen Jägersfluch mehr und trotzdem hatte sie mich nicht ein einziges Mal besucht.

      „Mona und Lucas“, murmelte ich schuldbewusst. Sie schrieb erneut auf ihren Block und sagte dann leichthin: „Ich werde mich darum kümmern.“

      „Was soll das heißen?“, fragte ich verwirrt.

      „Lucas ist der Junge, der neben euch wohnt, oder?“

      Ich

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