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stand zitternd in Boxershorts vor mir.

      „Kalt?“, zog ich ihn frech auf und lief auf dem Steg bis zum Wasser. Ehe ich es mir anders überlegen konnte, holte ich tief Luft, kniff die Augen zusammen und sprang ins Meer. Das eiskalte Wasser schwappte über meinen Kopf und stach wie tausend Nadelstiche auf meinen Körper ein. Der Schmerz war fast unerträglich. Ich kämpfte mich wild strampelnd an die Oberfläche und schnappte gierig nach Luft. Diese erschien mir beinahe warm im Vergleich zum Wasser. Wenigstens machte Liam neben mir auch keine bessere Figur. Seine Lippen zitterten wie Espenlaub und von seiner Großspurigkeit war nichts mehr zu sehen. Erst als er meinen Blick bemerkte, begann er zu grinsen und spritzte mit der flachen Hand Wasser in meine Richtung.

      Ich schwamm eilig zu der Leiter und kletterte an dem eisigen Metall zurück auf den Steg. Bibbernd vor Kälte zog ich ein Handtuch aus meiner Tasche und wickelte mich darin ein. Liam folgte mir. Seine Lippen hatten einen blauen Farbton angenommen. Als er sich das Wasser vom Körper getrocknet hatte, ließ er ungeniert sein Handtuch fallen und zog sich die nassen Boxershorts mit einem Ruck vom Körper. Erschrocken drehte ich ihm den Rücken zu und spürte wie trotz der Kälte Hitze in meine Wangen stieg. Ich hörte ihn hinter mir lachen. Er hatte nicht nur gewusst, dass ich so reagieren würde, sondern es sogar beabsichtigt. Seitdem wir uns kannten, empfand er eine irrsinnige Freude darin mich bloß zu stellen oder zu blamieren.

      „Hast du etwa noch nie einen nackten Mann gesehen?“, zog er mich nun auch noch auf. Obwohl ich Lucas mein Leben lang kannte und wir mehrere Monate ein Paar gewesen waren, hatten wir diesen Punkt zu meinem Bedauern nie erreicht. In der Hoffnung, dass Liam mittlerweile wenigstens seine Hose wieder an hatte, drehte ich mich langsam zu ihm um. Er stand vor Kälte zitternd in seinen Jeans vor mir. Ich ließ meinen Blick über seinen Oberkörper gleiten und erwiderte betont lässig: „Ich habe schon besseres gesehen.“

      Lucas war als Sportler in der Tat besser trainiert. Er hatte ein Sixpack wie ein Filmstar. Liam war schmaler und an seinem Bauch, seiner Brust und den Armen war lediglich eine Andeutung von Muskeln zu erkennen, was mir insgeheim jedoch besser gefiel, aber ich würde nicht den Fehler begehen, Liam das wissen zu lassen. Er war auch schon ohne Komplimente von mir selbstverliebt genug.

      „Willst du dich nicht anziehen?“, konterte er ungerührt.

      Meine Zehen und Finger fühlten sich wie Eisklumpen an, während ich am ganzen Körper bebte. „Das mache ich im Auto“, knurrte ich. Überraschenderweise reichte er mir ohne jede Diskussion seine Autoschlüssel, sodass ich samt meiner Klamotten den Strand verlassen konnte. Ich setze mich auf die Rückbank und schälte mich so schnell ich konnte aus meinem nassen Badeanzug, der unangenehm an meiner Haut klebte. Danach schlüpfte ich in meine Hose und gerade als ich mir meinen Pulli über den Kopf zog, stieg Liam ins Auto ein. Er drehte sich interessiert zu mir herum, doch ich war bereits komplett angezogen.

      „Zu spät“, kommentierte ich seinen enttäuschten Blick mit einem frechen Grinsen, stieg aus und setze mich neben ihn auf den Beifahrersitz. Meine Haare hingen in nassen Strähnen von meinem Kopf. Es war unmöglich vor meinen Eltern geheim zu halten, dass ich schwimmen gewesen war. Aber passiert war passiert und sie würden es nicht ungeschehen machen können, egal wie sehr sie auch mit mir schimpfen würden. Vielleicht würde es sie aber auch gar nicht interessieren, immerhin hatten sie genug andere Probleme.

      Draußen war es bereits dunkel, doch Liam machte keine Anstalten loszufahren, stattdessen wendete er sich mir zu. „Wie hat dir dein erstes Weihnachtsschwimmen gefallen? Hat es sich gelohnt?“

      Ich lauschte in mein Inneres und stellte fest, dass ich ein Gefühl der Zufriedenheit empfand. „Jede Sekunde dieses arktischen Elends hat sich gelohnt“, sagte ich mit immer noch bläulichen Lippen.

      „Der Stolz auf das Erreichte, wenn man es überstanden hat, ist ein überwältigendes Gefühl“, stimmte mir Liam zu und startete den Motor.

      Während wir durch die Nacht fuhren und Waterford hinter uns zurückließen, fiel mir auf, dass Liam es mal wieder geschafft hatte mich völlig abzulenken. Zuvor war meine Laune mies gewesen, ich war von Schuldgefühlen zerrissen und hatte nicht mehr gewusst, was ich denken oder fühlen sollte. Jetzt fühlte ich mich ausgeglichener und konnte daran glauben, dass alles schon irgendwie wieder gut werden würde. Tante Rhona war jetzt da und sie würde Eliza schon aus der Haft bekommen. Aber bis es soweit war, nahm ich mir vor, dass ich meiner Schwester den längst überfälligen Besuch abstatten würde.

      Ich sah zu Liam und musterte sein konzentriertes Gesicht. Vielleicht würden wir nie Freunde werden, weil unsere Moraleinstellungen grundverschieden waren, aber zumindest hatte er es als einziger geschafft mir an Weihnachten ein Lachen zu entlocken und dafür war ich ihm sehr dankbar.

      Mona

      Ich hielt Aidans Hand fest und allein der Gedanke sie schon bald wieder loslassen zu müssen, machte mich traurig. Wenn er bei mir war, glaubte ich daran, dass mein Leben sich zum Positiven entwickeln würde, dass ich ein normales Leben haben könnte, aber ohne ihn fühlte ich mich schwach und verwundbar. Wir saßen zusammen auf der Rückbank von Liams Audi. Er hatte uns bei den Rices abgeholt, als er Winter mit nassen Haaren zurückgebracht hatte. Es war schön gewesen Weihnachten bei Susan und ihrer Familie verbringen zu können. Obwohl die Stimmung von Anfang an angespannt gewesen war, hatte ich die Geborgenheit genossen. Mein letztes Weihnachtsfest im Kreise der Familie war Jahre her, damals war ich noch ein Kind gewesen. All die Jahre danach war ich mit meiner Großmutter allein gewesen. Es war nicht schlecht, sie hatte sich Mühe gegeben, etwas Leckeres gekocht und wir hatten den Abend mit Brettspielen ausklingen lassen, aber es war etwas anderes als sich mit anderen Menschen in einem Wohnzimmer vor einem Kamin und einem geschmückten Weihnachtsbaum zu versammeln. Aidan hatte noch nie Weihnachten gefeiert. Winter wusste das und vermutlich war das der einzige Grund, warum sie mich und ihn in ihrem Zuhause geduldet hatte. Seitdem Aidan sich für mich entschieden hatte, war unser Verhältnis nicht mehr das Gleiche. Wir waren auf dem besten Weg gewesen Freundinnen zu werden und jetzt strafte sie mich mit Ignoranz. Ich konnte sie verstehen, wenn Aidan sich anstatt für mich für sie entschieden hätte, würde ich sie wahrscheinlich auch nicht mehr sehen wollen. Trotz allem fehlten mir die Gespräche mit ihr.

      Voller Unbehagen sah ich wie wir uns dem Anwesen von Velvet Hill nährten. Aidan drückte meine Hand etwas fester. Er hasste es genauso sehr wie ich an diesen Ort zurückkehren zu müssen. Liam hielt vor der Einfahrt und drehte sich bei laufendem Motor zu uns herum. „Bitte erspart mir herzzerreißende Liebesbekundungen, gebt euch einen Abschiedskuss und in einer Woche seht ihr euch wieder.“

      Ich funkelte ihn wütend an. Wie konnte er nur so gefühlskalt sein? Sah er nicht wie schwer es mir fiel auch nur eine Sekunde ohne Aidan zu sein?

      „Wir steigen aus“, sagte ich bestimmt, ohne dabei Aidan oder Liam anzusehen, es war an beide gerichtet. Aidan öffnete als erster die Tür und ich folgte ihm, wobei ich sie laut hinter mir zuknallen ließ. Langsam gingen wir Hand in Hand zum Klinikeingang. Wir hatten es Liam zu verdanken, dass Aidan nun tagsüber die Klinik verlassen durfte. Er hatte ein ernstes Gespräch mit Doktor O’Hare geführt bei dem seine Schattenwandlertalente vermutlich keine allzu geringe Rolle gespielt hatten. Zudem hatte er dafür gesorgt, dass Aidan nach den Ferien mit Winter und mir zurück zur Schule gehen konnte. Wir würden die meisten Kurse zusammen haben und könnten uns so jeden Tag sehen, was für mich Anreiz genug war, um mich noch einmal an diesen schrecklichen Ort zu wagen. Ich erinnerte mich noch gut daran, mit welchen seltsamen Blicken ich von den anderen Schülern bedacht worden war. Ihr Tuscheln hörte ich nachts in meinen Träumen und es ließ mich schweißgebadet aus dem Schlaf schrecken. Aber mit Aidan an meiner Seite würde alles nur halb so schlimm werden. Wenn ich ihn ansah, konnte ich alles andere um sich herum ausblenden. Umso schwerer fiel es mir deshalb ihn nun gehen zu lassen. Es war nur eine Woche, aber eine Woche konnte verdammt lange sein. Er blieb stehen und drehte sich zu mir herum. Seine Hand legte sich wie selbstverständlich an meine Wange. Er streichelte über meine Haut. „Nur noch eine Woche“, sagte er einfühlsam. „Dann können wir uns jeden Tag sehen.“

      „Aber wir werden nicht alleine sein. Du weißt nicht, wie das ist. Die Anderen zerreißen sich

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