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zum gefühlten zehnten Mal an diesem Nachmittag spielte. Miss Snowwhite rieb schnurrend ihren schlanken Körper an meinem Bein und ließ sich von mir hinter den Ohren kraulen, während die übrigens zwölf Katzen sich im gesamten Raum verteilt hatten. Die Kleinste von ihnen, welche wir wegen ihres komplett schwarzen Fells „Pechmarie“ getauft hatten, rollte sich auf Monas Schoss mauzend zusammen. Auf der Fensterbank standen fünf Kerzen, welche die fünf Mitglieder dieses Hauses symbolisierten: Dad, Mum, Eliza, Mona und ich. Mum zählte sie bereits als festes Familienmitglied. So sehr ich ihre Herzlichkeit sonst bewunderte und schätzte, nervte sie mich nun. Zum ersten Mal an diesem Tag gestand ich mir ein, dass ich Eliza tatsächlich vermisste. Ich wollte nicht neben meiner Ersatzschwester und ihrem Freund auf dem Sofa sitzen, sondern neben meiner richtigen Schwester. Es kam mir plötzlich vor, als hätte ich Eliza seit Jahren nicht mehr gesehen. Das Gefühl war so überwältigend, dass es mir die Tränen in die Augen trieb. Wie schrecklich musste es für sie sein, nun alleine in einer Zelle zu sitzen. Doch ehe jemand etwas von meiner Trauer bemerken konnte, klingelte es an der Tür und ich sprang auf, als hätte mich etwas in den Hintern gestochen. Ich war für jede Unterbrechung dankbar, ganz egal wer dort vor der Tür stand. Als ich sie öffnete, rechnete ich insgeheim mit Lucas oder einem anderen Familienmitglied der Rileys. Doch stattdessen blickte eine hochgewachsene, blonde Frau zu mir herab. Sie trug einen eleganten schwarzen Mantel mit einem roten Schal und passenden roten Handschuhen. In ihren Händen hielt sie eine Flasche Wein. Irritiert sah ich sie an, worauf sie lachend die Arme ausbreitete. „Erkennst du deine eigene Tante nicht mehr?“

      Es war Jahre her, dass ich die jüngere Schwester meiner Mutter gesehen hatte, trotzdem rief ich freudig aus: „Tante Rhona!“

      Sie zog mich in eine Umarmung und hüllte mich völlig in den Rosenduft ihres Parfums ein. Als sie sich von mir löste, waren auch meine Eltern, sowie Mona und Aidan hinzugetreten. Während Dad sie ebenfalls freundlich begrüßte, verschränkte meine Mutter genervt die Arme vor der Brust. „Es ist Weihnachten!“, sagte sie vorwurfsvoll.

      Rhona zuckte mit den Schultern. „Ich dachte mir das sei der perfekte Zeitpunkt, um zu meiner geliebten Familie zu stoßen.“ Sie ließ sich von Dad aus ihrem Mantel helfen, bevor sie ungerührt ins Wohnzimmer ging. Mums kühle Haltung ihrer Schwester gegenüber wunderte mich, selbst zu Fremden war sie herzlicher. Rhona ließ sich in der Mitte des Sofas nieder und streckte die Füße von sich aus. „Gemütlich habt ihr es hier“, verkündete sie und öffnete dabei die Flasche Wein, die sie mitgebracht hatte. Dad und Mum ließen sich auf den beiden Sesseln nieder, während Mona, Aidan und ich uns zu Rhona auf die Couch setzten. Die Stimmung war seltsam angespannt.

      Als niemand etwas sagte, ergriff Mum erneut das Wort. „Du wolltest bereits vor Tagen hier sein“, klagte sie ihre Schwester an.

      Rhona zuckte unbeeindruckt mit den Schultern. „Mir ist etwas dazwischen gekommen.“

      Mum kniff wütend die Lippen aufeinander, bevor sie zischte: „Eliza braucht dich!“

      Erstaunt hob ich den Kopf. Was hatte Tante Rhona mit Eliza zu tun? Dad bemerkte meinen Blick und erklärte: „Rhona ist Anwältin. Sie wird Eliza vor Gericht verteidigen.“

      „Auf ein paar Tage mehr oder weniger kommt es da auch nicht an“, erwiderte Rhona. „Der Gerichtstermin ist erst in einem Monat.“

      Unsicher sah ich zwischen meiner Mutter und meiner Tante hin und her. Sie starrten einander feindselig an. Schließlich schmiss Rhona sich ihre blonden Haare hinter die Schulter und sagte so fröhlich, als wäre nichts gewesen: „Habt ihr noch etwas zu essen für mich?“

      „Essen steht in der Küche“, entgegnete Mum wütend. Für jeden anderen wäre sie sofort aufgestanden und losgelaufen, um das Essen anzurichten und demjenigen zu servieren.

      Rhona funkelte sie herausfordernd an, bevor sie aufstand und sagte: „Ich hoffe du hast es nicht wieder versalzen, so wie früher.“

      Mums Hände ballten sich zu Fäusten und sie schloss die Augen. So hatte ich sie noch nie erlebt! Sie sprach nie über ihre Schwester, aber ich hatte immer angenommen, dass es daran läge, dass sie einander kaum sahen. An die wenigen Male, bei denen ich Tante Rhona begegnet war, erinnerte ich mich kaum. Das letzte Mal war sicher fünf Jahre her. Insgesamt hatte ich meine Tante vielleicht dreimal gesehen.

      Es klingelte erneut an der Tür. Immer noch mit meinen Gedanken bei meiner Mutter und ihrer Schwester öffnete ich nichts ahnend die Tür. Sein helles Haar fiel mir als erstes auf, danach sein unverschämtes Grinsen mit dem er mich seit unserer ersten Begegnung bedachte.

      „Nollaig Shona Duit“, säuselte Liam.

      Ich rollte genervt mit den Augen und erwiderte: „Ich sage Mona, dass du da bist.“ Doch als ich zurücktrat, fasste er nach meinem Arm. „Das hat noch Zeit. Ich bin nicht wegen Mona hier.“

      In dem Moment drängte sich Miss Snowwhite an mir vorbei, um den Störenfried zu begutachten. Für gewöhnlich konnte man sie nicht als freundliche Katze bezeichnen, da sie die meisten Menschen mit einem schlecht gelaunten Fauchen begrüßte. Dazu gehörte auch Eliza. Doch Liams Charme schien selbst Eindruck auf meine Katze zu machen, die nun um seine Beine tanzte und ihren Kopf gegen seine Hose drückte zur Aufforderung sie doch endlich zu kraulen. Verräterin!

      Augenblicklich verfinsterte sich mein Blick, als Liam sie hochhob und sie an sich drückte, was Miss Snowwhite schnurrend begrüßte. Ungerührt deutete Liam auf den Mistelzweig, der im Türrahmen über unseren Köpfen hing. „Wenn zwei Menschen am Weihnachtstag unter einem Mistelzweig stehen, müssen sie sich küssen“, erinnerte er mich grinsend.

      Ich verschränkte abweisend die Arme vor der Brust, „Vergiss es!“ und deutete beleidigt mit dem Kopf auf die weiße Katze in seinem Arm. „Sie scheint mir ein größerer Fan von dir zu sein, als ich es bin. Vielleicht probierst du es bei ihr.“

      Er begann zu lachen. „Sie weiß eben, was gut ist. Aber ich habe mir bereits gedacht, dass du nicht so leicht rumzukriegen sein wirst, deshalb habe ich mir etwas anderes für dich überlegt.“

      Fragend hob ich die Augenbrauen.

      „Warst du schon einmal Weihnachtsschwimmen?“

      Damit entlockte er mir ein ungläubiges Lachen. „Ich bin doch nicht wahnsinnig.“

      „Wer von uns beiden war denn in der Klapsmühle?“, konterte er frech. „Komm schon, das machen Tausende! Trau dich!“

      Ich hörte wie Mum und Rhona sich in der Küche stritten und dachte an Aidan und Mona, die händchenhaltend auf dem Sofa saßen. Nicht gerade verlockend. Liam bot mir eine Alternative. Ich war von mir selbst überrascht, als ich mich sagen hörte: „Ich hole meine Badesachen.“

      Liams Vorschlag nackt baden zu gehen, ignorierte ich.

      Fünfzehn Minuten später saßen wir in seinem schwarzen Audi und fuhren in Richtung Waterford. Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt. Meinen Eltern hatte ich nichts davon gesagt, dass ich zum Weihnachtsschwimmen fuhr. Für sie war ich mit Liam nur spazieren. Während der Fahrt schwiegen wir, erst als Liam auf den Parkplatz des Guillamene Cove fuhr, feixte er: „Solltest du ertrinken, freue ich mich auf Mund zu Mund Beatmung.“

      „Erwarte nicht, dass ich dich rette, wenn du ertrinkst“, entgegnete ich mit kühler Stimme, aber einem Schmunzeln auf den Lippen.

      Der Guillamene Cove war im Sommer ein beliebter Badeplatz, aber auch am ersten Weihnachtstag gut besucht. Am Morgen war sicher mehr losgewesen, doch auch jetzt hielten sich noch einige Menschen am Ufer auf. Ein paar wenige zitternd in Badesachen und die Anderen in dicken Wintermänteln, um die Mutigen anzufeuern.

      Wir stiegen aus dem Auto und gingen zum Ufer. Das Wasser sah bereits nur vom Ansehen eisig aus. Alleine der Gedanke mich auszuziehen, ließ mich vor Kälte zittern. Doch Liam zögerte nicht einmal. Er warf seinen Mantel ab, als sei es 30°C warm und nicht etwas unter dem Gefrierpunkt. Danach folgten seine Stiefel und der Pullover. Erst als er an der Hose angelangt war, sah er mich herausfordernd an. „Was ist los? Bist du etwa zu feige?“

      Das konnte ich nicht auf mir sitzen lassen

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