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Churchtown. Es lag näher als Wexford und die Kirche dort bot mehr Platz. Trotzdem war der Parkplatz bereits voll als wir einfuhren und wir fanden auch in der Kirche nur Plätze auf einer der hintersten Bänke. Die Stimmung war aufgeregt und sogleich festlich. Die Menschen redeten freudig durcheinander, während die Kinder vor Nervosität kaum stillsitzen konnten. Sie mussten nur noch die Messe überstehen, danach das Weihnachtsessen und dann dürften sie endlich ihre Geschenke auspacken. Ich versuchte mich daran zu erinnern, wie ich als Kind Weihnachten empfunden hatte, um etwas der vergangenen Freude heraufzubeschwören, doch es gelang mir einfach nicht. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir das Fest auch ganz ausfallen lassen können. Das Jahr war mies gewesen und es gab für mich wirklich keinen Grund zu feiern.

      Während ich meinen Blick über die gefüllte Kirche schweifen ließ, entdeckte ich die Rileys ein paar Bänke vor uns. Normalerweise fuhren sie über Weihnachten immer nach Dublin zu den Großeltern. Hatte es mit Eliza zu tun, dass sie dieses Jahr von ihrer Tradition abgewichen waren? Lucas trug nicht wie üblich seine graue Mütze, weshalb ich ihn von hinten kaum erkannt hätte. Sein jüngerer Bruder Toby war jedoch kaum zu übersehen. Er beschoss Lucas mit kleinen Papierkügelchen, die dieser zu ignorieren versuchte. Ich konnte jedoch an seinen angespannten Gesichtsmuskeln erkennen, dass er bald ausrasten würde. Glücklicherweise eröffnete in diesem Moment das laute Orgelspiel die Christmette und alle Kirchgänger standen auf, um die einziehenden Priester zu empfangen.

      Als die Frühmesse vorüber war, ließen meine Eltern sich zu meinem Bedauern in Gespräche mit Bekannten verwickeln. Ich wollte nur noch nach Hause. Meine Mum bemerkte mein Unbehagen und drückte mir einen Euro in die Hand. „Zünde eine Kerze für Eliza an“, bat sie mich. Im Gegensatz zu mir wusste sie nichts von Schattenwandlern, Geistspringern und Medien, sonst hätte sie vermutlich auch nicht mehr an einen Gott geglaubt. Widerwillig ließ ich sie und Dad in der Menge zurück und trat zurück in die Kirche. Zur rechten Seite befand sich eine Marienstatue und davor stand ein Tisch auf dem ein Meer aus Lichtern brannte. Doch ich war nicht völlig allein. Vor den Kerzen stand andächtig Lucas in seinem schwarzen Anzug. Ich trat neben ihn, warf den Euro in die Sammelbüchse der Kirche und nahm mir ein Teelicht. Dieses entzündete ich an den anderen Kerzen und stellte es auf den Tisch.

      „Glaubst du es geht ihr gut?“, fragte er mich leise. Es kam mir vor als wären wir auf einer Beerdigung und nicht bei einer Christmette.

      „Wie soll es ihr schon gehen, alleine an Weihnachten in Untersuchungshaft“, erwiderte ich missbilligend.

      Lucas sah mich entschuldigend an. „Warst du schon bei ihr?“

      Schuldbewusst richtete ich meinen Blick auf die Marienstatue und schüttelte den Kopf. „Du?“

      „Nein“, antwortete er und ich konnte sein schlechtes Gewissen deutlich heraushören. Ein schwaches Gefühl der Zuneigung flammte in meinem Inneren auf. Seitdem ich denken konnte, hatten Lucas, Eliza und ich Weihnachten zusammen verbracht. Nun waren nur noch wir beide übrig geblieben. Ich wusste, dass Lucas sie vermisste. „Was passiert, wenn sie keine Gefühle zu trinken bekommt?“, fragte ich ihn besorgt. Soweit ich wusste, hatte Eliza sich die letzten Monate fast ausschließlich von ihm ernährt. Er wusste über ihren Zustand vermutlich besser Bescheid als ich.

      „Sie wird sich schon nehmen, was sie braucht“, erwiderte er ungewohnt kühl. Egal, was Eliza in der Vergangenheit getan hatte, war Lucas nie müde geworden sie zu verteidigen. Etwas musste zwischen ihnen vorgefallen sein, dass ihr Verhältnis grundlegend geändert hatte. Ich wusste, dass sie sich getrennt hatten, aber den Grund dafür kannte ich nicht. Es hatte mich bisher auch nicht interessiert.

      „Bist du wütend auf sie?“, hakte ich nach.

      Er schüttelte traurig den Kopf. „Ich wünschte es wäre so einfach.“

      „Wie ist es denn?“

      Er zögerte mit seiner Antwort, als müsse er erst die Worte abwägen, bevor er sagte: „Ich bin wütend auf mich selbst.“

      Überrascht hob ich die Augenbrauen. „Warum?“

      „Ich habe sie im Stich gelassen, als sie mich am dringendsten gebraucht hat. Wenn ich sie nicht verlassen hätte, wäre das mit Will vielleicht niemals passiert. Vielleicht hätte ich hartnäckiger sein müssen, aber ich habe sie einfach aufgegeben.“

      „Warum hast du dich von ihr getrennt?“ Meine Stimme war nur ein Flüstern in der Stille der Kirche. Ich fürchtete mich vor seiner Antwort, weil ich ahnte, dass es mit mir zusammenhing.

      Er sah mir eindringlich in die Augen. „Für Eliza ging es nur noch darum den Jägerfluch zu brechen. Sie hätte alles getan, um dich zu retten.“ Er machte eine Pause, als täte ihm allein die Erinnerung weh. „Wenn ich sage alles, meine ich auch wirklich alles. Sie und Will haben einen Mord nach dem anderen geplant. Es war ihr völlig egal, dass ein Unschuldiger für ihren Plan sterben sollte. Das konnte ich mir nicht länger mit ansehen.“

      Er hatte mir bereits bei seinem Besuch in Velvet Hill davon erzählt, doch mir war das Ausmaß nicht bewusst gewesen. „Du hast nichts falsch gemacht“, versicherte ich ihm, doch er schüttelte den Kopf. „Als ich sie verlassen habe, habe ich sie doch förmlich in Wills Arme getrieben. Sie hatte keinen Grund mehr zu zögern. Es war niemand mehr da, der ihr ins Gewissen geredet hätte. Niemand anderes, der für sie da war.“

      „Du hast es versucht und sie hat nicht auf dich gehört. Du weißt doch wie sie ist, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, kann es ihr niemand ausreden.“

      Meine Worte konnten ihn nicht beruhigen. Er war innerlich zerrissen von seinen Schuldgefühlen und seiner Verständnislosigkeit gegenüber Eliza. Es fiel mir selbst schwer zu begreifen, was sie bereit gewesen war zu tun, nur um den Fluch zu brechen. Will war ihr Freund gewesen und sie hatte ihn umgebracht.

      Lucas und ich standen einander unsicher gegenüber. Wir wussten nicht mehr wie wir miteinander umgehen sollten. Zu viel war zwischen uns vorgefallen, was nicht einfach aus der Welt geräumt werden konnte. Er hatte mich belogen, betrogen und mir damit das Herz gebrochen. Von unserer einstigen Freundschaft war kaum noch etwas übrig. Alles, was uns noch miteinander verband, war die Vergangenheit und die Sorge um Eliza.

      Seine Hand berührte mich zögerlich an der Schulter. „Halt mich auf dem Laufenden“, bat er.

      „Mach ich“, versprach ich.

      „Nollaig Shona Duit“, wünschte er mit einem schwachen Lächeln auf Irisch, immerhin war Weihnachten. Wir traten gemeinsam aus der Kirche, bevor sich unsere Wege trennten.

      Meine Eltern beendeten ihre Gespräche und wir fuhren hinter den Rileys zurück nach Slade’s Castle. Vor unserem geschmückten Haus wartete bereits Mona. Mum hatte sie zum Weihnachtsessen eingeladen, aber sie war zu meinem großen Bedauern nicht alleine gekommen. Neben ihr stand Aidan. Der hatte mir gerade noch gefehlt! Noch ein Junge, der mir erst Hoffnungen gemacht und mich dann wie eine heiße Kartoffel hatte fallen lassen. Er hatte mir nicht annährend so wehgetan wie Lucas, aber ich kannte ihn auch noch nicht so lange und war deshalb erst recht nicht bereit ihm zu verzeihen.

      Mum stieg als erstes aus dem Wagen und lief Mona freudig entgegen. Sie drückte das zierliche Mädchen fest an sich, bevor sie Aidan ebenfalls zur Begrüßung umarmte. „Wie schön, dass ihr gekommen seid“, rief sie aus. Verräterin! Also hatte sie auch noch von Aidan gewusst und mir nichts gesagt.

      Mit einem finsteren Blick ging ich auf die Drei zu. Mona und Aidan schienen vor schlechtem Gewissen vor mir zu schrumpfen, während Mum mich warnend ansah. Sie wollte keinen Streit an Weihnachten.

      „Warum hast du deinen Cousin nicht mitgebracht?“, fragte sie Mona, als wir ins Haus traten.

      „Liam steht nicht so auf Weihnachten“, erwiderte Mona ausweichend. Sein Name klang in mir wie ein Echo nach. Ein Teil von mir wollte ihn sehen, weil ich in seiner Gegenwart meist alles um mich herum vergaß, aber der andere Teil von mir wollte nichts mit ihm zu tun haben. Ihm war nicht zu trauen und seine Gesellschaft würde mich nur in Gefahr bringen. Er war von Anfang an nicht ehrlich zu mir gewesen. Das war keine Basis für eine Freundschaft, geschweige denn eine Beziehung.

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