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Lied vom stillen Sommernachtstraum. Lars Osterland
Читать онлайн.Название Lied vom stillen Sommernachtstraum
Год выпуска 0
isbn 9783753185378
Автор произведения Lars Osterland
Жанр Языкознание
Серия Nordkap
Издательство Bookwire
Am Morgen am Strand zu laufen bringt trotz aller Anstrengung Freude. Nur du und der Ozean, die Luft ist fantastisch, die Sonne scheint. Aller paar hundert Meter sind bis zu einhundert Zentimeter lange Fischkadaver zu begutachten, irgendwie spannend. Im kleinen Badeort Montalivet-les-Bains laufen mir nackte Menschen entgegen, FKK, ich grüße alle Leute mit einem lockeren „Bonjour“. Die Bunker hier werden immer mehr vom Atlantik verschluckt. Meine Ernährung an diesem Tag setzt sich nur aus Bonbons zusammen, weil mir die Preise in den kleinen Supermärkten zu teuer sind, genauer: dreimal so hoch wie üblich. Ein paar Läden öffnen für die Touristen, aus einem Laden ist eine Endlosschleife Somebody That I Used to Know zu hören, während ich gerade in meinem Tagebuch schreibe. Ich brauche Wasser und frage bei einem Kellner nach, der gerade Gäste im Freisitz bedient. Das kalte Wasser ist an diesem heißen Tag eine Wonne. Schließlich geht es auf Radwegen abseits des Meeres weiter; zwei holländische Radler halten neben mir an. Kurzer Plausch, die beiden umrunden einmal Frankreich … mir wird ein Stück Baguette spendiert, dass ich – als ich wieder allein bin – sofort beim Laufen verputze, ich habe Mordshunger. Im Wald und überhaupt bleibe ich der einzige Wanderer, klar, die Entfernungen zwischen den Orten sind auch gewaltig. Auch nach Soulac-sur-Mer sind es weitere 17 Kilometer.
In diesem kleinen Ort muss ich leider Abschied vom Jakobsweg nehmen, dieser Jakobsweg war wahrscheinlich mein Letzter. Ich gönne mir eine Tagebuchpause hinter der Wallfahrtskirche Notre-Dame-de-la-Fin-des-Terres (was für ein Name!). Es ist schon später Nachmittag und ich brauche nun doch wenigstens ein paar Kekse … ab in den Supermarkt, wo Lana del Rey zum ersten Mal seit Rota wieder Video Games „für mich“ singt. Draußen gibt ein Mann seinem Baby einen Schmatzer, mir kommen die Tränen. Von Soulac Richtung Norden ist der Radweg auch deutlich befahrener, es ist Freitagnachmittag, viele Familien sind unterwegs. Je weiter der Tag voranschreitet, desto ruhiger wird es wieder. Einer der letzten Radfahrer des Tages kommt mir entgegen, hält neben mir und fragt mich, ob ich einen guten Schlafplatz während der letzten Kilometer gesehen habe. Schwierig. Philipp (25) aus Erfurt campt eigentlich nicht wild, aber auch nicht auf Campingplätzen. Stattdessen sucht er sich meistens einheimische Familien, die ihm für eine Nacht Obdach gewähren, entweder im Haus oder in ihrem Garten, wo er sein Zelt aufbauen darf. Das klappe bisher in Frankreich prima, was mich sehr überrascht. Die Franzosen seien sehr gastfreundlich, berichtet Philipp, meist wird er sogar zu den Mahlzeiten eingeladen. In Frankreich ist es wichtig, dass man auf die Leute zugeht und es dabei immer in ihrer Sprache versucht. Offensichtlich hat Philipp vom Schulfranzösisch noch nicht soviel vergessen wie ich. Da ist er ganz klar im Vorteil, bisher kann ich jedoch auch nicht klagen, schließlich lebe ich noch. Philipp empfiehlt mir, es demnächst auch mal zu versuchen, nur Mut, man hat ja dabei nichts zu verlieren. Vor allem bei Bauern sind die Erfolgschancen groß. Von seiner Offenheit Menschen gegenüber kann ich noch viel lernen, nicht umsonst war er es, der neben mir stehen blieb und dadurch erst diese interessante Begegnung ermöglichte. Mitten auf dem Radweg plaudern wir über dies und das, erfahren dabei, dass der andere genauso am Tag zuvor die Viertausend-Kilometer-Marke geknackt hat, Philipp auf dem Rad, ich zu Fuß. Einhundert Kilometer am Tag radeln, dass ich nicht ohne, möglicherweise würde ich das nicht so gut meistern, wie vierzig Kilometer am Tag zu laufen. Seine Rundreise startete er in der thüringischen Heimat, fuhr weiter über Nordrhein-Westfalen nach Belgien, anschließend bis nach Brest (Bretagne) und immer in der Nähe zur Küste hier runter. In Bordeaux war er schon, ihm hat es dort sehr gefallen … schade drum. Als nächstes soll mit der Freundin, die bald zu ihm stößt, nach Spanien und Portugal geradelt werden. Gutes Stichwort, ich werde endlich mein Kartenmaterial los, jetzt habe ich ein reines Gewissen und ein Kilogramm weniger Gepäck. Selbst solch ein Fakt, dass das Gepäck nun dauerhaft etwas leichter ist, bringt neue Zuversicht. Es war verdammt schlau, die Reise mit 25 Kilogramm Gepäck zu beginnen, denn dadurch werde ich nicht vergessen, was ich imstande bin zu leisten, es gibt also keinen Grund, bei 20 Kilogramm zu jammern. Spontan hat Philipp die Idee, dass wir die kommende Nacht gemeinsam im Zelt verbringen könnten, er hat ein paar hundert Meter zuvor einen Picknickplatz gesehen, hinter dem man im Wald das Zelt aufbauen könnte. Wir laufen gemeinsam dorthin, setzen uns als erstes an einen Tisch, wo mich Philipp zum Abendessen einlädt, denn mein Proviant ist mal wieder aufgebraucht. Wir sind allein, von den unzähligen Mücken mal abgesehen. Wir vertilgen einen ganzen Laib Brot; Philipp schmiert sich Avocado auf die Brotscheiben, streut Salz drauf … ich probiere, interessanter Geschmack … Wir essen vegetarisch, zum Brot gibt es außerdem Banane, Gurke und Honig. Als Dessert gibt es ein Kuchengebäck, von dem wir auch kein Stück übriglassen. Was für eine Mahlzeit! Dazu die tolle Stimmung, das angenehme Gespräch. Philipp hat sein Lehramtsstudium weitestgehend hinter sich gebracht und ist nun zu dieser beeindruckenden Fahrradtour aufgebrochen. Er erzählt von einer Frau, die einen Fahrradschaden hatte, er ihr schließlich half und sie ihn unbedingt dafür bezahlen wollte. Er lehnte immer wieder ab, aber sie steckte das Geld ihm heimlich zu. Als er es bemerkte, wäre er ihr am liebsten hinterher gerast, um es ihr zurückzugeben. Widerwillig nahm er den Zehner mit und will nun das Geld so schnell wie möglich loswerden … und da hat er auch schon den Einfall, dass es ja eine gute Sache wäre, wenn er mich mit den zehn Euro sponsert. Im Gegensatz zu Philipp ist es mir nicht möglich, das Angebot abzulehnen … im Gegenteil, ich freue mich riesig über dieses Blutgeld … wieder etwas Aufschub. Jedoch stimme ich mit ihm überein, dass es irgendwie übel ist, in einer Gesellschaft zu leben, wo Dankbarkeit anscheinend ganz automatisch mit Geld ausgedrückt wird. Als gäbe es nichts anderes …
30 Meter in den Wald hinein finden wir einen recht ebenen Platz für das Zelt. Philipp baut das