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zu sein, durch der auch ein Jakobsweg führt. Vor einem großen Supermarkt sehe ich einen alten VW-Bus, intuitiv schaue ich nach dem Kennzeichen … oh, aus Deutschland … ich gehe hin, weil ich einen Mann neben dem Fahrzeug stehen sehe, eine Frau steigt aus … sie wollen gerade in den Supermarkt gehen, als ich sie anspreche, was ja so gar nicht meine Art ist … die Not ändert den Charakter eines Menschen … ich frage geradeaus, ob sie etwas Essbares für mich hätten … beide fühlen sich offensichtlich etwas von mir überrumpelt … wir unterhalten uns ein wenig, ich erwähne meine Probleme mit meiner Geldkarte und dass ich schon seit Spanien unterwegs bin … beide scheinen dann doch ein gutes Gefühl bei mir zu haben, öffnen noch einmal den Bus, um ein paar Lebensmittel für mich zusammenzusuchen … er gießt mir noch ein Glas Apfelsaft ein und reicht mir einen Fünf-Euro-Schein … wenn man nur noch vier Cent hat, fühlen sich fünf Euro wie der Jackpot im Lotto an … dementsprechend bedanke ich mich bei Karsten und Ilse aus Königsdorf (Bayern) und ziehe beglückt weiter, das bevorstehende Wochenende ist schon mal gesichert ... Weil ich gerade so einen Lauf habe, versuche ich es dann auch noch beim Bäcker, frage nach Backwaren nach, die sie morgen nicht mehr verkaufen können, aber die gute Frau holt mich zurück auf die Erde, sie hat nichts für mich. Man darf auch nicht zu gierig werden, wobei ich hier einfach nur mal sehen wollte, ob ich auch ohne Not zu leiden um Hilfe bitten kann. Auf dem Rathausplatz von Mimizan bin ich ganz allein, alles hat bereits geschlossen, es ist kurz vor sieben Uhr. Ich komme in den Genuss endlich mal wieder richtiges Schwarzbrot zu essen. In der öffentlichen Toilette kann ich auch endlich mal meine Füße waschen und die völlig durchlöcherten Socken entsorgen. Der Himmel hat sich den ganzen Tag über nicht aufgelockert, eine Regennacht droht.

      Etwas außerhalb von Mimizan komme ich am See Étang d'Aureilhan vorbei, hier will ich mir einen Schlafplatz suchen. Nur noch wenige Leute sind am etwa zwei mal drei Kilometer großen, vom Wald umschlossenen See unterwegs. Ein Wanderweg führt um den See, dabei sieht man sogar hin und wieder eine Jakobsmuschel. Ein stoischer Dachs steht am Ufer, schaut mich an, schaut wieder zum See raus … erst als ich ganz nah komme, springt er ins Wasser und dreht ein paar Showrunden in Ufernähe, es scheint mir, als würde er mir sogar winken … Mücken scheint es zurzeit keine zu geben, zumindest werde ich verschont. Ich würde gern zum Feierabend hier am See eine rauchen, aber nichts mehr da. In einer ruhigen Ecke des Sees, abseits der Campingplätze, wo auch keine Autos lang können, beschließe ich unter einem großen Baum mein Nachtquartier aufzuschlagen, nur fünf Meter vom Ufer entfernt. Das Blätterdach des Baumes und der umliegenden Bäume imponiert nicht wirklich. Da es ein perfekter Tag war, hoffe ich, dass mein Glück anhält und es in der Nacht trocken bleibt. Eine Nacht an einem See ist ganz nach meinem Geschmack, denn ich mochte schon immer diese Idylle, die von einem See ausgeht, der mitten im Wald liegt. Vielleicht liegt es an irgendwelchen eingestaubten Kindheitserinnerungen, keine Ahnung, aber mir gefällts. Nachdem ich noch etwas gespeist habe, gehe ich auf dem Wanderweg am Ufer spazieren, nach nur 200 Metern sehe ich ein Zelt, direkt am Wasser aufgebaut. Ein junges Pärchen sitzt daneben, mit Bier, Zigaretten, Zelt, zwei Angelruten und Schlauchboot … ach ja … an einem romantischen Ort wie hier fehlt sie mir am meisten … noch einmal unschuldig jung sein, Zweisamkeit ausleben, sich oft und überall lieben, davor und danach ein Bier trinken … oder auch als Familie hier sein, zusammen sein, nur das zählt … ich spreche die Beiden an, bitte dabei um eine Zigarette … sie lächeln, der Kerl reicht mir eine Kippe … ich gehe wieder zurück zu meinem Nachtquartier, möchte sie in diesem schönen Moment ihres Lebens nicht stören. Aber auch mein Tag war schön, ein voller Erfolg. Fast 50 Kilometer gelaufen. Genug zu essen. Angenehme Begegnungen. Wieder ein paar Euro in der Tasche. Ein idyllischer Schlafplatz. Sogar eine Gute-Nacht-Kippe habe ich nun … morgen ist ein neuer Tag! Nun genieße ich den Augenblick, liege in meinem Schlafsack, blicke auf den Wasserspiegel, rauche, während sich das letzte Tageslicht in der Nacht verliert.

      Ab zwei Uhr beginnt es zu nieseln, im Halbschlaf verkrümle ich mich noch tiefer in meinen Schlafsack, darauf hoffend, dass es gleich wieder aufhört. Die Strafe folgt wenige Minuten später, es gießt aus vollen Kübeln. Ich stehe auf, krame schnell meine Sachen zusammen, suche unter einem anderen Baum Schutz, was aber auch nichts bringt, weil es nun auch zu stürmen anfängt. Es ist stockduster, ich sehe fast gar nichts, habe schwer damit zu tun meine Sachen einzupacken, hier und da ein Blitz bringt etwas Licht. Ich brauche schnell einen Platz, wo ich geschützt bin. Es ist erst das zweite Mal, dass ich mein Nachtquartier wegen Regen verlassen muss. Vom Weg hierher weiß ich, dass vierhundert Meter zurück ein paar Baracken eines Wassersportvereins stehen. Also renne ich dorthin, habe Glück im Unglück, weil sich die Kajaks unter einer großen Zeltplane befinden. Dort muss ich als erstes aus meinen nassen Klamotten heraus, lege mich dann in meinen Schlafsack, der Gott sei Dank nur außen klitschnass ist. Das Schlafen fällt schwer, da es stundenlang schüttet, am schlimmsten ist der starke Wind, der mir die Regentropfen unter die Plane weht. Der Boden neben mir wird immer schlammiger, mitten drin mein Rucksack, immerhin hat die Plane keine Löcher und ist fest genug angebunden, um nicht fortzufliegen. Gegen acht Uhr höre ich die ersten Stimmen, junge Männer und ihr Coach. Dieser begrüßt mich mit einem „bonjour“, ich befürchte, nun auch noch mit meinen nassen Klamotten fortgejagt zu werden … aber kein Problem, der Mann ist nett, wir kommen ins Gespräch. Er ist begeistert, dass ich schon fast viertausend Kilometer in den Beinen habe. Der Trainer geht zu seinen Nachwuchssportlern, redet über mich, sagt soviel wie: schaut, was man alles mit Willensstärke erreichen kann. Ändert freilich nichts an der Tatsache, dass ich im Dreck liege, wie ein begossener Pudel. Der Trainer errät was ich brauche, bittet einen der Jugendlichen, mir die Kabine zu zeigen, wo ich mich duschen und meine Sachen reinigen kann. Ich bin dankbar, so durchnässt und schmutzig nicht aufbrechen zu müssen. Stattdessen breite ich meine nasse, schmutzige Ausrüstung in der ganzen Kabine aus, befreie alles nach und nach vom Schlamm und lass es noch etwas neben der Heizung trocknen. Auch die erste Dusche in Frankreich tut gut. Ich bin erstaunt, dass die jungen Kerle, die sich bereits umgezogen haben, ihre Sachen hier mit mir allein lassen, anscheinend nicht damit rechnen, dass ich etwas stehlen könnte. Das ehrt mich, weil ich rein äußerlich sicherlich einen Vorzeigelandstreicher abgebe. Zu weiteren Gesprächen kommt es jedoch nicht. Erst nach zwei Stunden bin ich soweit wieder gereinigt, vor allem mental, um aufbrechen zu können. Ich bin froh, dass es aufgehört hat zu regnen, zwischen den kleinen Ortschaften findet man so gut wie keinen Regenschutz. Ich bedanke mich beim Coach, der lächelt, wahrscheinlich wird er später seiner Frau von mir berichten. Netter Gedanke.

      Auf Radweg geht es 15 Kilometer zum nächsten See Lac de Biscarrosse et de Parentis, recht groß, etwa 25 Kilometer Gesamtuferlänge, nur fünf Kilometer vom Atlantik entfernt. Im kleinen Ort Gastes setze ich mich auf eine Bank bei einem Spielplatz, direkt am See. Obwohl keine Sonne scheint, hänge ich meine nassen Klamotten auf den Ästen mehrerer Bäume auf, nebenbei schreibe ich in meinem Tagebuch. Nur kurz, denn ein 14jähriger Junge kommt von der Schaukel direkt zu mir und wir plaudern etwas auf Französisch. Es ist leicht zu merken, dass er schnell Gefallen an mir findet, in gewisser Weise zu mir aufschaut … sein zarter, verträumter, nachdenklicher Charakter gefällt mir, daraus sind oft die schönsten Menschen hervorgegangen. Obwohl wir nicht alles verstehen was der andere sagt, weiß er schnell wie er mir eine Freude bereiten kann. Er sagt zu mir, dass ich kurz warten soll, und verschwindet auf einem nahen Campingplatz. Nach fünf Minuten taucht er wieder auf, mit einem Beutel, wo sich ein Baguette, eine Konserve Wurst und eine Tüte Chips befinden. Ich bin erstaunt, habe ich ja um nichts gebeten, auch nicht erwähnt, dass ich nichts zu essen habe. Ich bin beeindruckt von soviel Feingefühl, als Jugendlicher hätte ich so etwas nie zustande gebracht … wahrscheinlich nicht mal jetzt, trotz aller Erfahrungen, die ich seitdem sammeln durfte. Eine Frau kommt zu uns an die Bank, fragt mich ob ich auf dem Weg nach Santiago bin. Sie verrät mir, dass ihr Mann und sie vor drei Jahren den Camino Francés gelaufen sind und dass sie sogar mal ehrenamtlich in der Pilgerherberge von Saint-Jean-Pied-de-Port ausgeholfen haben. Sie lädt mich auf eine Tasse Kaffee ein, im Wohnwagen nur ein paar Meter hinter meiner Bank. Ich nehme gern an, möchte aber noch ein paar Minuten mit Thomas, so heißt der Junge, verbringen. Es beginnt dann wieder zu regnen, gemeinsam sammeln wir meine Klamotten zusammen und finden anschließend unter dem Dach einer Spielanlage Schutz. Mit seinen Eltern macht er hier am See Campingurlaub. Es scheint Thomas hier zu gefallen, jedoch fehlt ihm irgendetwas … immer wieder bewundert er meinen Mut und wünscht sich auch eines Tages so mutig zu sein, um ein bisschen von dieser Welt

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