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gute Menschen, jeden einzelnen, überall auf der Welt. Er sieht meine leeren Wasserflaschen und geht diese auf dem Campingplatz für mich auffüllen, bringt mir auch ein Messer mit, damit ich mir die Wurst aufs Baguette schmieren kann. Das mach ich auch gleich, Thomas selbst möchte nichts, es gab vorhin erst Mittag. Nach meiner Mittagsmahlzeit gehen wir zurück Richtung Bank, es nieselt noch etwas, als uns ein Mann entgegenkommt … er reicht mir die Hand, stellt sich als Joël vor … er ist der Mann von Josette, die vorhin bei uns an der Bank war … ich bin nun bereit für einen Kaffee im warmen und trockenen Wohnwagen, verabschiede mich herzlich von Thomas, der mir in seiner ganzen Zartheit eine gute Reise wünscht …

      Bei Joël und Josette im als Wohnwagen ausgebauten Mercedes-Transporter begegne ich der Offenheit und Freundlichkeit, die ich mir schon seit Tagen in Frankreich gewünscht und erhofft habe. Wir unterhalten uns über das Pilgern, Joël spricht etwas Englisch, was ich gleich ausnutze, um mir das ein oder andere in Französisch übersetzen zu lassen. Der heiße Kaffee tut gut, dazu gibt es eine Rührkuchenspezialität aus der Region. Das ältere Pärchen entpuppt sich immer mehr zu einer glücklichen Begegnung für mich. Sie können mir nämlich wertvolle Tipps für das Pilgern in Frankreich geben. Zum Beispiel könnte ich morgen in Sanguinet (etwa 25 km entfernt) ins Rathaus gehen, um nachzufragen, ob noch ein Platz in der kostenlosen Pilgerherberge des Ortes frei ist. Hier in Frankreich soll das in den kleineren Orten oft möglich sein, einfach im Rathaus nachfragen. Ein guter Tipp. Das beweist, dass der Kontakt zu den Einheimischen einige Vorteile bringen kann, erst recht wenn man nichts mehr zu verlieren hat. Joël und Josette kommen aus Pau, vor drei Jahren liefen sie die achthundert Kilometer auf dem Jakobsweg, es war gleichzeitig der Abschluss ihres Berufslebens. Beide arbeiteten mit behinderten Kindern und finden es schön, dass ich auch in Zukunft mit Kindern arbeiten möchte. Immer wieder bieten sie mir etwas von dem leckeren Rührkuchen an, ich lange ordentlich zu … auch eine zweite Tasse Kaffee gibt es … sie wollen mir etwas Gutes tun und Josette ruft im nächsten Ort Parentis-en-Born im Rathaus an, ob es dort eine kostenfreie Schlafmöglichkeit gibt. Sie erfährt, dass wir zu einem Campingplatz fahren sollen und dort noch mal nachfragen müssten.

      Das machen wir dann auch, nach wenigen Minuten erreichen wir Camping Municipal Le Pipiou, drei Kilometer außerhalb von Parentis-en-Born, nun an der Ostseite des gleichen Sees. Zum Wochenende ist die Rezeption unbesetzt, Josette ruft wieder an, wenig später kommt eine junge Frau. Übernachtung? Kein Problem. Es ist für Pilger kostenlos, die Gemeinde von Parentis macht dies möglich, denn hier läuft auch einer der französischen Jakobswege lang. Da morgen Sonntag ist, könnte ich auch bis Montag bleiben. Ich habe allen Grund begeistert zu sein, denn wieder mal bin ich überrascht, was einem Vagabunden so alles widerfahren kann. Man kommt in Situationen, mit denen man am Morgen nie und nimmer gerechnet, diese sich nicht einmal erträumt hätte. Joël und Josette freuen sich mit mir, er will mir einen Zehner geben, als Josette meint, dass es hier doch gar keinen Supermarkt gibt, und stattdessen mir einen Proviantbeutel zurechtmacht. Dank Kaffee, Äpfel, Joghurt und einem Päckchen Kartoffelsuppe, dazu die Sachen von Thomas, ist auch für die Abendverpflegung und das Frühstück am Morgen gesorgt … Schritt für Schritt geht es voran, die Hauptsache ist nur, dass ich immer weiterlaufe, nirgendwo festklebe. Nach einer herzlichen Verabschiedung brechen Joël und Josette auf, ich bin ihnen zutiefst dankbar. Nach der Horrornacht, die Sachen sind noch immer durchnässt, habe ich nun die Möglichkeit, wieder alles in Ordnung zu bringen … und auch mein Körper wird mir etwas Ruhe und Komfort danken. Die nette Frau an der Rezeption gibt mir noch eine Übersichtskarte vom Campingplatz, erklärt das Wichtigste und dann kann ich mit einem Schlüssel in der Hand über den großen Campingplatz stolzieren, auf der Suche nach Appartement 488. Der Platz ist gut gefüllt, auch deutsche Kennzeichen sind zu sehen. Erst als ich mit dem Schlüssel die Tür meines kleinen, schmucken Häuschens öffne und eintrete, fühle ich mich sicher; es ist kein Witz, ich darf wirklich bleiben und hier übernachten – es ist einer dieser wunderbaren Glücksmomente.

      Ich schaue mich im Appartement um, alles da was man braucht, modern eingerichtet, zwei Schlafzimmer. Nur mit dem Gasherd habe ich meine Probleme, obwohl die Gasflasche offen ist, zündet nichts. Ich frage bei meinen französischen Nachbarn nach. Erst kommt ein Mann, dann ein anderer, aber sie haben auch keine Ahnung – weshalb ich mich nicht mehr ganz so dämlich fühle. Ein Campingplatzarbeiter tauscht die Gasflasche aus, aber auch nichts. Erst die Frau einer meiner Helfer weiß Rat, indem unter der Spüle ein Hahn aufgedreht werden muss – Frauen sind gar nicht immer so doof wie Mann denkt. Ich bedanke mich bei meinen Helfern, am liebsten hätte ich sie alle auf ein Bier eingeladen … das ist doch mal ein Tag! Nun auch in der Praxis die Erkenntnis: Franzosen können ja nett sein! Da ich viel Zeit habe, kümmere ich mich erst einmal eine Stunde um meine Kleidung. Draußen am Wäscheständer aufgehängt und als es wieder zu regnen beginnt, drehe ich alle Heizkörper auf, um die Klamotten bis morgen zu trocknen. Die letzte akkurate Wäsche gab es bei Joao Miguel in Lissabon, das ist nun doch schon einige Wochen her. Zum Abendessen gibt es einen ganzen Liter Kartoffelsuppe, wobei der größte Teil an Kartoffeln von den von Thomas spendierten Chips stammt, was dem Ganzen etwas Würze bringt. Als Dessert gibt es Joghurt und ohne Unterbrechung Kaffee oder Tee. Einen Fernseher gibt es nicht, dabei hätte ich große Lust auf das Champions League Finale zwischen Bayern und Chelsea. Halb neun breche ich zum Abendspaziergang auf, in der Hoffnung ein Restaurant zu finden, das Fußball überträgt. Das auf dem Campingplatz liegende Restaurant ist voll, aber Fußball läuft nicht. Weiter am See lang, die Sonne geht gerade darüber unter … nach ein paar hundert Metern eine Kneipe, meine letzte Chance … ich gehe hinein, keine Gäste, frage im besten Französisch, das mir möglich ist, ob sie hier das Spiel übertragen … gestehe aber auch gleichzeitig ein, dass ich blank bin und mir kein Getränk leisten kann. Der Wirt und sein Mitarbeiter lachen … geht in Ordnung, ich darf mich setzen, sie schalten um, das Spiel beginnt gerade … endlich mal wieder auf einem Barhocker, nebenbei schreibe ich im Tagebuch, zum vollkommenen Glück fehlt nur noch ein Bier … im nächsten Moment steht ein kaltes, gezapftes Pils vor meiner Nase … geht aufs Haus … es gibt tatsächlich Tage, da funktioniert alles … nicht so toll sind die Tage, wo es genau andersrum läuft. Zum Finale drücke ich mal ausnahmsweise den Bayern die Daumen … sie sind drückend überlegen, nur ein Tor will nicht fallen … schon nach der Hälfte der ersten Halbzeit führen sie nach Ecken gefühlte 30:0. Ich bin der einzige Gast, ironischerweise aber ohne einen Cent in der Tasche. Ab und an springen ein paar kleine Kinder und ein Mops in der kleinen Kneipe herum, gehören anscheinend zur Familie. Es gibt nur einen einzigen Tisch hier … dieser wird schließlich gedeckt, wo die Familie, einschließlich der Mutter, speist. Ich trinke genüsslich mein Bier, schaue das Spiel, schreibe, genieße den Moment der heute nicht enden wollenden Euphorie. Ich muss an das Endspiel von vor zwei Jahren denken, damals verlor Bayern gegen Inter Mailand, ich war in einem Pub in der Dresdner Altstadt, gegenüber der Frauenkirche, allein, mit Guinness und Live-Musik … das war toll, aber dieses Finale hier wird sich auch in mein Gedächtnis brennen … in der 83. Minute, kurz vor halb elf, erlöst Müller die Bayern, endlich das hochverdiente 1:0 … zum Glück keine Verlängerung, nicht dass der Wirt nur wegen mir noch nicht dicht gemacht hat … Gäste werden nun auch keine mehr kommen … erste Ecke für Chelsea und Tor, Drogba wars … manchmal ist Fußball echt ungerecht … Abpfiff, Verlängerung … ich frage nach, ob sie schließen wollen, nein ich kann zu Ende schauen … Le Lagon Bleu heißt die Bar hier, das Oberstock dient als Pension, ich sehe kurz eine Familie, die hier untergekommen ist … juhu, Elfmeter, nun aber! Robben und … verschossen … irgendwie mit Ansage, warum schießt auch nicht Schweinsteiger? … Bayern vergibt noch zwei weitere Großchancen … Elfmeterschießen … Olic gehalten, Schweini Innenpfosten, Drogba Tor … der Wirt und sein Kumpel trösten mich („im nächsten Jahr klappts!“) … ich bedanke mich für die Freundlichkeit, dass ich das Finale hier sehen konnte … ärgere mich, dass Bayern verloren hat; was wäre das erst geworden, wenn meine Bundesligalieblinge aus Dortmund das Finale verloren hätten, jedoch auch müßig darüber nachzudenken, weil der BVB wohl niemals mehr im Finale der Champions League stehen wird … am Nachthimmel zwei Sterne, trocken, es ist ruhig am See, angenehme Atmosphäre. Zurück im Appartement verbringe ich meine erste „zivilisierte“ Nacht in Frankreich. Sich am Abend glücklich und zufrieden hinlegen, welch eine Seltenheit, wenn man mitten im Alltag steckt. Aber ein Vagabund kennt keinen Alltag, man nimmt wie es kommt und es kommt oft besser, als man glaubt.

      Am

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