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ahnte schon, was da kam.

      »Er wollte, dass ich da arbeite und den Laden übernehme. Du weißt schon. Junge, attraktive Tochter, gute Figur, bringt Kunden. Das war mir zu blöd, wo ich doch schon eine Zusage aus Cambridge hatte. Das wollte ich nicht aufgeben. Da hat er mir dann seinen Zuschuss gestrichen, um Druck zu machen. Weißt du, ein Restaurant zu betreiben ist auch nicht schlechter als irgendein anderer Job, ich hab’ nix dagegen zu arbeiten, aber dann hätte ich in Kassel bleiben müssen. Vielleicht noch hier in Göttingen.«

      »Du hättest doch auch in Cambridge was finden können.«

      »Na ja, dazu hätte ich erst mal da sein müssen, ohne die Stütze von meinem Alten. Ich hatte zwar etwas BAFöG, aber allein reichte das nicht.«

      »Und?« Benjamin traute sich nicht zu denken, was er dachte.

      »Nicht was du denkst.« Sie sah ihn verärgert an, als ob sie Gedanken lesen könnte. »Ich wollte mit einer Freundin verreisen, nach Réunion, das gehört zu Frankreich, bei Mauritius.« Benjamin nickte, er hatte davon schon gehört.

      »Jana. Eine Russin. Eine damalige Freundin von mir, lebt heute in den USA.« Charlotte wirbelte mit den Händen in der Luft vor ihm herum, als ob es das erklärte. »Ich kannte sie aus einem Psychologie-Seminar. Jana, na ja, also, wie soll ich das sagen.«

      Charlotte räusperte sich. »Sie strippte da in Düsseldorf in einem Lapdance-Laden. Sie machte schwer Kohle, und sie meinte, ich wäre da der Hammer.« Sie strich sich unbewusst und zärtlich mit der Linken über ihre rechte Brust. Für diese Bewegung hätte er töten können, dachte Benjamin. Er nahm einen tiefen Zug aus seiner Bierflasche. »Und? Hast du da etwa mitgemacht?«

      »Ja.« Sie hielt sich an der Flasche fest. Benjamin schluckte.

      Die Wirtin kam mit dem Aquavit, und sie schwiegen beide, bis die kalten Gläser auf dem Tisch standen. Benjamin kippte seinen weg. »Noch einen«, sagte er zur Wirtin. Den brauchte er jetzt. »Du auch?« Charlotte schüttelte den Kopf, die Wirtin ansehend, und hielt sich weiter an ihrer Bierflasche fest. Ihren Schnaps ließ sie vor sich stehen. Die Wirtin verschwand mit Benjamins leerem Glas auf ihrem schwarzen, runden Tablett.

      »Erst habe ich nur an der Stange getanzt. Na ja, was heißt getanzt. Mich irgendwie erotisch bewegt, mir hat keiner gezeigt, wie das geht. Du hast da zwei silberne Sterne vorne drauf, das absolute Minimum an Bekleidung. Du würdest dich wundern, man fühlt sich weniger nackt mit diesen Sternchen. Damit traust du dich dann raus. Das erste Mal konnte ich die Hände gar nicht runternehmen«, sie zeigte ihm, wie sie das gemacht hatte, die Handflächen überkreuzt auf den Spitzen ihrer Brüste. Gott, dachte Benjamin, aufstehen sollte ich jetzt besser nicht.

      »Unten rum hast du einen Tanga an, sehen kann man da nichts.« Sie nahm einen Schluck Bier und wischte sich mit dem Handrücken der anderen Hand den Mund ab. »Beim zweiten Mal hat mir das dann schon Spaß gemacht, an der Stange zu tanzen«, gab sie zu. »Wie die Männer kucken, mit offenem Mund, wenn du deinen Arsch kreisen lässt und die Stange zwischen die Brust nimmst. Ein Gefühl der Macht, ich weiß. Große Macht über die armen Kerle da unten. Geschämt habe ich mich aber nur die ersten fünf Minuten.«

      »Und dann?« Benjamin war zwischen verschiedenen Gefühlen hin und her gerissen. Lust, Abneigung, Angst vor Enthüllungen, die ihn abtörnen würden.

      »Jana hat mir vorher alles erzählt. Mit Tanzen ist es nicht getan. Das soll die Gäste nur weichkochen. Geld bekommst du dafür nicht viel.« Benjamin trank sein Bier aus. Hoffentlich nicht, dachte er. Bitte nicht. Ich hatte mich schon so auf dich gefreut, Charlie.

      »Ins Bett musst du mit keinem, da läuft nichts, falls du das denkst«, sie schaute ihm direkt in die Augen. »Du sprichst die Leute an. Die stehen da, kucken wie die Ölgötzen und sind steif wie ein Brett und trinken ihr Zeug, einige stehen auch da und geben vor ihren Freunden an. Aber wenn du hingehst und sie ansprichst, sind sie wie Wachs. Du siehst, was sie denken und wollen. Aber mit anfassen oder mehr ist nichts. Nicht erlaubt. Sie können dich einladen, was teuer ist, da mit ihnen zu stehen, dein Körper nur Zentimeter vor ihnen entfernt, sie reden dann bemüht mit dir, zahlen viel Geld für jede Minute, obwohl ihr Körper brennt. Helle Aufruhr. Die meisten wollen dann, dass du für sie tanzt, du weißt schon, private Dancer.«

      »Tina Turner.«

      »Genau. Du machst schöne erotische Bewegungen vor ihnen, kreist mit dem Hintern über ihrem Schoß, wiegst den Busen, aber nie zu vulgär, sonst kippt das.«

      Die Wirtin kam mit einem vollen Glas und verzog sich wieder.

      Benjamin war noch nie in so einem Laden gewesen. »Geht das denn? Da will doch jeder mehr. Mir ist schon von deinen Worten ganz anders.«

      »Mit dir würde ich so was auch nicht machen, Benjamin Zeno«, sagte sie zärtlich. »Dafür habe ich dich jetzt schon viel zu gern.«

      Benjamin musste schlucken. Um das zu überspielen, trank er schnell die Hälfte von seinem zweiten Aquavit.

      Charlotte sprach weiter. »Das ist sogar verboten, die Polizei würde den Joint sofort zumachen. Die sind natürlich immer da, in Zivil. Soll ein beliebter Job sein.« Charlotte schob Benjamin ihr Schnapsglas rüber. »Ich will lieber noch ein Wasser.«

      »Und dafür bekommst du dann Kohle?«, fragte Benjamin. »Warte, ich muss eh mal raus. Ich bestell dir eins.« Er stand auf, lächelte sie an und merkte, wie wacklig er auf den Beinen war. Er konnte aber noch gerade gehen. Das beschäftigte sein Hirn eine Weile. Besser noch gerade gehen können, als gerade noch gehen können, dachte er.

      Vielleicht sollte er ewas essen, etwas Fettiges gegen den Alkohol. Er ging nach oben zur Theke und bestellte ein Bier und ein Wasser, anschließend fand er die Toilette versteckt hinter dem Hinterzimmer.

      Es dauerte ein bisschen, bevor er sich soweit beruhigt hatte und pinkeln konnte, aber dann stellte sich Erleichterung ein, physisch und im Kopf. Also hatte sie nur gestrippt. Auch scheiße, aber wenigstens war sie ehrlich, dachte er. Und sie hatte ihr Nest sauber gehalten.

      Aber warum dann Muschi sucht neues Herrchen, fragte er sich. Bisher konnte er ihr alles verzeihen, vielleicht mochte er sie sogar noch etwas mehr.

      Charlotte saß etwas zusammengesunken am Tisch, die beiden neuen Getränke standen schon vor ihr. »Habe ich dir gefehlt?«, fragte er. »Ja«, sagte sie leise und legte ihm ihre Hand auf die seine. »Sehr.«

      Sie machten simultan ihre Flaschen auf und freuten sich über den Sound des Bügelverschlusses. Charlotte nahm einen Schluck Wasser.

      »Ich habe da an einem Abend manchmal über zweitausend Euro verdient«, sagte sie leise. Es klang wie eine Klage. »Die glauben natürlich alle, sie kriegen dich doch noch rum, stecken dir Scheine an den Tanga oder ins Dekolleté, zahlen den privaten Service, bestellen jede Viertelstunde ein teures Getränk.«

      »Privaten Service?«

      »Habe ich dir doch gerade erzählt. Lap Dance.«

      »Ach so.«

      »Ja. Ach so. Anschließend sind alle enttäuscht. Du solltest die mal hören, wenn die wieder draußen sind. Jeder schimpft. Eine Woche später sind sie wieder da, Banker, Broker, Anwälte, was weiß ich. Selten mal jemand, der Geburtstag hat oder so. Um die tut es einem dann ein wenig leid, aber die anderen haben es verdient.«

      »Und keiner will deine Nummer haben oder dich abschleppen?« Benjamin trank den dritten Aquavit, den von Charlotte, obwohl der zweite noch halb voll vor ihm stand.

      »Jeder.«

      »Und? Hattest du nicht mal Lust, mitzugehen?«

      »Na ja, es gibt natürlich auch nette Leute, mit denen könnte man sich schon was vorstellen. Aber da läuft nichts, das geht gegen das Image und das Prestige des Ladens, das ist eine Art Ehrenkodex. Macht man nicht. Und habe ich auch nicht. Du.« Sie sah ihn mit einem weichen Blick an. Kannst Du mir glauben.

      Benjamin glaubte ihr.

      Er nahm einen Schluck Bier. »Wie lange hast du das dann gemacht? Du wolltest

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