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ist, weiß ich noch nicht. Gut, Massenvernichtungswaffen und Gewehre würden nicht mehr funktionieren. Aber die Aggression kriegst du damit nicht weg. Auch im Mittelalter haben sich Millionen von Leuten mit Hellebarden und Schwertern umgebracht und es genossen.«

      Er nahm sich die nächste Bluse vor. »Trotzdem, das ist eine reizvolle Idee. Das Problem bleibt dabei dasselbe. Du musst Vektoren haben, die unsere kleinen Freunde ins Ziel tragen.« Benjamin hatte den Rücken und die Ärmel fertig und drehte die Bluse um. »Ballon, hast du gesagt. So ein Ballon trägt nicht viel. Wenn der mit Helium gefüllt ist, kann der vielleicht gerade mal ein Kärtchen tragen. Ein paar Gramm vielleicht. Und dann hast du auch keinen Auslösemechanismus. Die Fracht würde ja wieder mit nach unten kommen.« Er strich den Stoff unter den Abnähern glatt.

      »Es gibt noch ganz andere Möglichkeiten, was wir mit unserem Wissen anstellen könnten, Charlie«, Benjamin sah zu ihr hinüber, wie sie da hingegossen auf dem Sessel hing. »Wir könnten mit Pseudomonas auch das ganze CO2 aus der Atmosphäre holen, mit kleinen Änderungen am Genom.«

      »Dann ist dir der Friedensnobelpreis gleich sicher«, neckte sie ihn.

      »Klar. So was von. Oder tatsächlich für Regen sorgen, Wasser fehlt überall, die Wetterextreme nehmen überall zu. Noch besser, wir verbinden das alles miteinander. Möglich wäre das alles. Aber es sind alles nicht mehr als Schnapsideen, es sei denn, dass wir das als Wissenschaftler alles bis zum Ende durchdenken und dann entsprechend handeln.«

      Er hatte ein Hemdchen von ihr vor sich liegen und strich gedankenverloren mit der Hand darüber, gefühlvoll, als ob er ihr über die Brust strich.

      »So eine Wolke kann viele Tonnen wiegen«, fuhr er fort. »Und in einem Wettersystem sind viele Wolken unterwegs, viele Tausende von Tonnen Wasser. Du brauchst eine große Menge an Vektoren, wenn sich das ausreichend verbreiten soll. Ein paar Hundert Kilo pro Flug, so viel wie so ein kleiner Flieger halt trägt«, dozierte er. Das Hemdchen war fertig, er gab ihm an zwei Stellen den letzten Schliff und legte es zusammen.

      Ihr Gesicht konnte er im Gegenlicht vor dem Fenster nicht erkennen. Hörte sie ihm zu?

      »Red weiter.« Ihre Stimme klang nach gespannter Erwartung. Benjamin nahm sich die nächste Bluse aus dem Korb.

      »Wir müssten oft fliegen. Bei großen Einzugsgebieten brauchst du jede Menge von dem Zeug. Deshalb die Idee mit dem Fliegen.«

      Er bügelte schneller und dachte nach. »Wir könnten die doch getrocknet mit nach oben nehmen, als Pulver. Dann hast du nur noch einen Bruchteil des Gewichtes, die bestehen fast nur aus Wasser.«

      »Du klingst fast so, als ob du das alles ernst meinst.« Charlotte schlenderte zurück zur Sitzgruppe und sah zu ihm herüber.

      »Na ja. Ich denke nur über die theoretische Möglichkeit nach«, antwortete er. »Als Gedankenspiel. Was wäre, wenn.« Sie nickte.

      Benjamin wandte sich dem Vorderteil zu und brachte mit der einen Hand den Stoff in Form, während er mit dem Eisen hinterherfuhr.

      »Da fliegen doch ständig Leute rum, die Wolken impfen, damit es regnet«, sagte er schließlich. »Vielleicht kann man sich da bewerben. Wenn man einen Flugschein hat. Und als Biologen könnten wir das mit Pseudomonas statt mit Silberjodid sehr glaubhaft vertreten. Ich glaube, das macht wirklich Sinn, je länger ich darüber nachdenke, weißt du das? Vielleicht können wir das gleich als Uni-Projekt oder als EU-Projekt durchziehen. Und ich glaube, einige Länder oder Regionen würden uns sogar dafür bezahlen, wenn wir ihnen Regen machen.«

      Er hatte die Bluse fertig und legte sie weg.

      »Und du würdest einfach so Millionen von Menschen solchen Versuchen aussetzen?«, fragte Charlotte. Ben hörte Angst in ihrer Frage mitschwingen.

      »Wir würden dafür doch nur ganz harmlose Pseudomonas einsetzen, um niemandem zu schaden, als Test«, fuhr er fort, während er sich eine Hose vornahm. »Also tatsächlich zum Beregnen, um zu sehen, ob das funktioniert. Vielleicht mit bestimmten Bakterien, die wir vorher konditionieren. Um zu sehen, ob sie das überleben, und was sie am Boden machen. Außerdem haben wir doch gar nichts, das wir wirklich zu anderen Zwecken einsetzen könnten. Eine schöne Übung wäre es allemal. Und überleg mal. Wir nehmen Flugunterricht und gehen zusammen in die Luft. Ich bin jetzt schon ganz aufgeregt.«

      »Wir müssten das sehr sorgfältig testen. Nicht dass wir da was Brandgefährliches zusammenbrauen und in die Welt entlassen.« Charlotte sah ihm beim Bügeln zu.

      »Klar.« Benjamin stellte das Bügeleisen um, von Seide auf Baumwolle, und musste ein wenig warten, bis das Eisen heiß genug war. Er sah zu Charlotte hinüber.

      Gestern mussten sie sich ziemlich nahegekommen sein. Im Moment fühlte er sich zu wackelig für eine weitere Annäherung.

      »Ich würde mir als Erstes die Zeit nehmen, alle ethischen Aspekte mit meinem Bruder durchzusprechen. Ich bin mir gar nicht mehr so sicher, ob das mit der allmählichen Verkleinerung der Weltbevölkerung wirklich eine gute Idee ist. Vermutlich ist das alles völliger Unsinn. Das ist doch wieder ein Versuch, alles durch Handeln zu verbessern, und letzten Endes bewirkt es das Gegenteil, wie beim Geo-Engineering, wie bei der Düngung der Ozeane mit Eisen, klappt alles nicht. Am besten halten wir die Füße still und tun gar nichts.«

      Charlotte hatte auch ihre Zweifel. »Mir ist auch unwohl bei dem Gedanken.«

      Benjamin knöpfte sich das nächste Kleidungsstück vor.

      »Ich denke das trotzdem mal zu Ende. In Kassel-Calden gibt es Kurse für einmotorige Maschinen, glaube ich«, bemerkte Charlotte. »Mein Vater bewirtet dort manchmal Gäste, als Catering. Ich war da auch schon zweimal und habe geholfen. Ganz nett dort. Ob wir das machen wollen oder nicht: Lust, mit dir in die Luft zu gehen, habe ich ohne Ende.«

      Benjamin trank seinen Kaffee aus und sah sie an.

      »Ich auch. Wahnsinn, das machen wir! Vielleicht fangen wir mit Segelfliegen an. Da soll es sehr still sein, hoch oben in der Luft. Das würde mir gefallen.«

      Dann kann ich dich gleich meinen Eltern vorstellen, wenn wir in Kassel sind, lag Charlotte auf der Zunge. Sie konnte es sich gerade noch verkneifen. Sie kannte Benjamin erst drei Tage. Ob sie ihn mögen würden, einen Vegetarier, der all ihre französischen Pasteten und Schnecken verschmähen würde?

      Bisher kannte sie nur seine Schokoladenseiten. Oder fast nur. Betrunken war er auch noch lustig. Vor allem war er im Suff nicht aggressiv geworden. Sie kannte Männer, die ihr sofort an die Wäsche gegangen wären, drei Vergewaltigungsversuche hatte sie gerade noch abwehren können. So einer war er nicht.

      Wer weiß, was noch alles in ihm steckt, dachte sie.

      »Weißt du, was das kostet?« Die Idee würde wie immer am Geld scheitern, dachte Benjamin. Dabei wäre er gern mit Charlotte ganz allein ganz oben gewesen.

      »Ach, egal.« Charlotte kam mit einer wegwerfenden Handbewegung zu ihm herüber. Sie nahm ihm einen Slip aus der Hand und warf ihn zurück in den Korb. »Meine Unterwäsche bügele ich selber. Vergiss die Kosten, Geld ist nicht das Thema. Ich bezahle das.«

      Sie nahm die Hosen vom Stapel Blusen herunter und begutachtete seine Arbeit.

      »Du machst Fortschritte. Für heute ist es genug.« Sie umarmte ihn und küsste ihn flüchtig auf den Mund. »Ich mache uns was zu essen. Die bessere Welt kann solange noch ein wenig warten.«

      Während Charlotte Spaghetti Puttanesca zubereitete, ihm zuliebe ein Gericht ohne Fleisch, las sich Benjamin auf seinem Handy die Nachrichten, seine Mails und seine Tweets durch. Nichts wirklich Wichtiges, aber etwas Privates.

      Seiner Mutter in Bovenden ging es nicht so gut. Seitdem sie nach dem Tod seines Vaters dorthin gezogen war, weil sie dort ein paar gleichaltrige Freunde vermutete, war sie nicht mehr dieselbe. Er musste da mal wieder vorbei.

      Er stand auf und half ihr, den Tisch zu decken. Sie setzten sich.

      »Ich habe da noch mal drüber nachgedacht«, sagte Charlotte, während sie ihre Nudeln mit der Gabel aufrollte, »eigentlich

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