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wir auch. Aber wer sind wir denn, das zu ändern? Haben wir das Recht dazu? Außerdem, zwei kleine Biologen, und so ein großes, weltbewegendes Projekt? Überleg mal. Was wir uns da so ausdenken, kann doch überhaupt nicht funktionieren. Irgendwie ärgert mich das jetzt, dass wir uns die ganze Zeit mit so einem Quatsch befassen.«

      Benjamin war hungrig und aß weiter. Er senkte den Kopf, damit sie sein Stirnrunzeln nicht sah. Charlotte sprach weiter.

      »Schau mal, du willst massiv in die Natur eingreifen. Eigentlich ist doch der ganze Zweck unserer Gene, dass wir sie weitergeben, dass wir uns vermehren. Die Natur würde sich massiv wehren. Das kann gar nicht gehen, diese Schnapsidee.« Sie steckte sich die aufgerollten Nudeln in den Mund und sprach mit vollem Mund weiter. »Wir sollten uns was anderes überlegen, Zen. Vergessen wir das lieber.«

      Benjamin hielt beim Kauen inne und sah sie etwas verstört an. »Ich dachte, wir hätten da gerade eine gemeinsame Idee entwickelt«, sagte er leise. Er schluckte, eine Olive kratzte ihm im Hals, der sich noch nicht wieder gut anfühlte. »Klar, natürlich nur theoretisch. Ich dachte, du wärst genauso fasziniert von solchen Möglichkeiten. Davon, was wir beide zustande bringen können, mit moderner Technik. Wie wir auf einen Schlag die Welt in Ordnung bringen können. Wir sind doch beide fit. Ich dachte…«

      Er setzte den Satz nicht fort und schob sich mit dem Löffel Soße über die Nudeln.

      »Das ist ja wirklich nur ein Gedankenspiel.« Er schnaubte. »Aber auch wenn das alles Quatsch ist, Quatsch mit Soße«, Benjamin häufelte noch etwas mehr Tomatensoße über seine Spaghetti. »Ich fand das schon irgendwie faszinierend. Als Idee. Natürlich ist die Wahrscheinlichkeit, dass so was wirklich funktioniert, minimal. Aber… ach, Charlie, ich weiß auch nicht.«

      Er schob sich das Essen in den Mund, mit gesenktem Kopf. Irgendwie war er enttäuscht. Charlotte sah von ihrem Essen auf. War etwas mit der Soße nicht in Ordnung? Ihr schmeckte es.

      »Ich hab’ da auch kein gutes Gefühl bei.« Sie schob ihren Teller ein kleines Stück von sich weg. »Wir würden da in Dinge eingreifen, die viel zu groß für uns sind. Und ich bezweifle, dass wir das überhaupt können. Viel zu viele Schnittstellen, viele zu viele Unsicherheiten, an jeder Stelle kann was schieflaufen. Nachher sterben Millionen Menschen an Krebs, was weiß ich. Und wir sind es dann natürlich nicht gewesen.«

      Sie zog ihren Teller wieder an sich und aß weiter. »Wir können doch nicht einfach mal Gott spielen.«

      »Ist ja auch Blödsinn«, sagte Benjamin bockig. Er hatte von Anfang an gewusst, dass das Ganze nur eine Idee war, eine Seifenblase. Aber es hatte ihm Spaß gemacht, diese Idee mit ihr auszuspinnen und von einem Gedanken auf den nächsten zu kommen, bis hin zum Traum vom Fliegen. Aber jetzt zerstörte Charlotte das mit ihren Zweifeln alles wieder. Er spürte, wie sich die Härchen auf seinen Oberarmen aufrichteten.

      Charlotte bemerkte seinen Widerwillen nicht.

      Als mittleres Kind war Benjamin es gewohnt, Niederlagen einstecken zu müssen. Vielleicht hatte er deshalb stets danach gestrebt, zu den Siegern zu gehören, im Sport und in jungen Jahren beim Erobern von weiblicher Beute. Trotzdem konnte er mit Niederlagen noch immer nicht gut umgehen. Eine seiner Reaktionen darauf war Zynismus.

      »Wir wissen doch, wie Krebs ausgelöst werden kann. Da muss man halt aufpassen.« Er wusste genau so gut wie sie, dass das in dieser einfachen Form nicht stimmte. Gerade bei genetischen und vor allem epigenetischen Eingriffen konnten krebsartige Prozesse ausgelöst werden. Ihre auf einmal so negative Ansicht reizte ihn zum Widerspruch. »Das lässt sich doch locker umgehen.«

      »Du weißt genauso gut wie ich, dass das nicht stimmt.« Jetzt war auch Charlotte verstimmt. Wieso versteifte sich der Kerl plötzlich auf einen so unhaltbaren Standpunkt? »Wenn du beim Genom was falsch machst, provozierst du alle möglichen krankhaften Veränderungen. Vor allem Krebs. Das weißt du doch.«

      Benjamin mochte keine Belehrungen, aber er hasste Streit. »Na ja, wahrscheinlich hast du recht. Vielleicht ist das wirklich alles Quatsch.« Er aß lustlos weiter, obwohl er Hunger hatte und es ihm schmeckte.

      »Ich will nur nicht, dass wir uns in etwas verrennen und unsere Zeit für etwas verschwenden, über das wir uns nachher ärgern«, sagte Charlotte versöhnlich und legte ihm eine Hand auf den Unterarm. Benjamin hob den Arm, um weitere Nudeln aufzudrehen. Charlotte zog ihre Hand wieder zurück.

      Warum streiten wir uns jetzt wegen dieser dämlichen Schnapsidee, fragte sich Benjamin. Mehr war es doch wirklich nicht. »Lass uns mal über was anderes reden. An was arbeitest du eigentlich am Max-Planck-Institut?«

      Charlotte nahm ihr Besteck wieder auf. »Tja, eher am genauen Gegenteil von dem, was wir hier so planen.«

      Sie lachte auf, sie fand das lustig, aber Benjamin ließ sich nicht anstecken. »An Problemen der Fertilität, vor allem bei Haustieren, und natürlich wie immer bei Mäusen. Vor allem bei Kühen und Säuen gibt es immer mehr Probleme mit der Fruchtbarkeit, liegt wahrscheinlich an der industriellen Tierhaltung. Die Natur wehrt sich dagegen.«

      »Ha.« Benjamin identifizierte eines seiner Lieblingsthemen. »Genau das, was Natur und Umwelt zerstört. Ein Viertel aller Treibhausgase kommt aus der industriellen Tierhaltung. Kuhpupse und Rülpser.«

      Charlotte sah beim letzten Wort auf. »Ich weiß. Können wir gern in Ruhe und ausführlich besprechen, Benjamin. Du wolltest doch gerade wissen, was ich mache.«

      Gott, warum dieser belehrende Ton, fragte sich Benjamin. Was war denn nur los?

      »Na ja, sorry, wenn ich wieder damit anfange«, lachte Charlotte bitter. »Aber das ist die gleiche Geschichte, nur andersrum. Wir untersuchen, warum Säugetiere unfruchtbar werden, und wir versuchen, das zu ändern. Zum Positiven. Wir wollen mehr freundliche, fruchtbare Kühe, die uns gern noch mehr von ihrem Fleisch und ihrer Milch abgeben. Etwas Positives.«

      Benjamin hörte zu. Aha. Und was er sich da ausgedacht hatte, war wohl etwas Negatives. Etwas Böses.

      Sie erzählte weiter. Er hörte nur mit halbem Ohr zu.

      Das Essen hatte Benjamin müde gemacht. Die Tablette und die Nachwirkungen des Alkohols taten ein Übriges. Dazu kam diese blöde Missstimmung mit Charlotte.

      Heute war nicht sein Tag. Die große Nähe, die er zu ihr verspürt hatte, war wie weggeblasen. Er stand auf, nahm die beiden Teller und das Besteck und brachte alles in die Küche. »Du, ich glaube, wir lassen es für heute dabei. Ich werde mich zu Haus noch ein wenig hinlegen. Meiner Mutter geht’s nicht so gut. Ich fahr da heute mal vorbei.«

      »Lass, ich mach das schon«, sagte Charlotte, obwohl Benjamin schon mit dem Tablett auf dem Weg war. »Deine Mutter? Wo musst du denn hin?«

      »Nicht so weit. Bovenden.« Benjamin nahm seine Jacke, die über dem Stuhl hing, gab ihr zwei Küsschen auf die Wangen und wandte sich zum Gehen. Eigentlich war ihm eher zum Heulen.

      »Ich melde mich dann wieder. Ciao.«

      Charlotte brachte ihn zur Tür und hielt sie ihm auf. »Okay. Pass auf dich auf, Zen.« Sie schloss die Tür hinter ihm. Warum zum Teufel konnte sie bloß ihre Zunge nicht besser im Zaum halten? Und warum war dieser große Kerl nur so eine verdammte Mimose?

      Benjamin ging nach Haus. Vermutlich hatte er ihr am Abend vorher nur noch Quatsch erzählt oder sie beleidigt. Oder schlimmer, angegrapscht.

      Er ärgerte sich über seinen Filmriss. Wahrscheinlich hatte er alles verbockt.

      In seiner Wohnung angekommen, legte er sich für eine Weile auf sein Sofa. Die Verstimmung mit Charlotte machte ihm mehr zu schaffen, als er gedacht hätte.

      Er rollte sich auf dem Sofa zusammen. Eine Stunde später wichen seine schwarzen Gedanken einem unruhigen Schlaf.

      *

      Charlotte brachte die gebügelte Wäsche zu ihrem Schrank und legte sie weg. Du blöde Kuh, dachte sie, das war dumm gelaufen, aber warum war der Typ auch so empfindlich?

      Erst kotzte er ihr die Straße und die Treppe voll, ließ sich sauber machen und ins Bett bringen

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