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Zen und die Kunst des Bügelns. Klaus Bodenstein
Читать онлайн.Название Zen und die Kunst des Bügelns
Год выпуска 0
isbn 9783750235267
Автор произведения Klaus Bodenstein
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Was wäre, wenn man statt in den Hormonhaushalt in den Fettstoffwechsel eingreifen würde? Das wäre besser für die Gesundheit. Schlanke und sportliche Mädchen würden um einiges später sexuell bereit und aktiv werden. Periode mit achtundzwanzig. Menopause mit zweiunddreißig, nur vier Jahre empfängnisbereit. Solche Frauen wären immer noch schlank und rank und kräftig und intelligent, den Männern in keiner Weise unterlegen. Und ohne Brustkrebs. Sehr wenige Kinder, pro Paar nur eins oder keines. Die Menschheit würde sich schnell gesundschrumpfen.
Sie war da und stieg aus.
Im Institut kratzte sie mit einem Zahnstocher eine Probe aus der Tasse und legte sie unter ihr Mikroskop. Na bitte, etwa ein Drittel der kleinen Kaulquappen lebte noch. Sie schabte den Rest aus, streifte ihn mit dem Holzspatel in ein Glasröhrchen, beschriftete es – Nummer, Eigentum Dr. Faber, bitte nicht entnehmen – und versenkte das Röhrchen nach den notwendigen Vorbereitungen in den mit flüssigem Stickstoff gefüllten Behälter für Bullensperma.
Der Füllstand war zwar absolut erbärmlich, verglichen mit dem in den anderen Röhrchen, aber wer würde schon darauf achten, dachte sie. Sie schloss den Behälter und wandte sich ihrem Computer zu. Es gab einiges nachzulesen und zu tun.
Hoffentlich versuchte niemand, mit dem Inhalt dieser Röhre eine Kuh zu befruchten, dachte sie, dann bekämen sie einen Minotaurus mit Benjamins Gesicht. Sie lachte bei dem Gedanken laut auf und hatte ihre gute Laune wieder.
Sie summte ein Liedchen aus ihrer Kindheit.
Ein paar Stunden lehnte sie sich zurück, geschafft, aber zufrieden mit den Ergebnissen ihrer regulären Arbeit, die sie in der halben Zeit fertiggestellt hatte.
Sie griff zu ihrem Handy. Benjamin war fast sofort dran. Er war bereits zurück in Göttingen, seiner Mutter ging es gut, sie war nur ein wenig einsam gewesen.
»Tut mir leid wegen heute Morgen«, sagte sie. »Hast du nicht Lust, heute Abend bei mir vorbei zu kommen? Ich habe dir wohl auf die Seele getreten, vorhin. Ich möchte das wieder gut machen, und ich würde dich wirklich gern sehen.«
Benjamin sagte ja, ein wenig verwundert und selbst auch im Entschuldigungsmodus.
Charlotte kramte ihre Sachen zusammen und bestellte sich ein Taxi. Sie wollte vor ihm in der Theaterstraße sein und hatte es plötzlich fürchterlich eilig.
Das Dilemma
»Wir stehen vor einem ethischen Dilemma«, erläuterte Ben ihr, als sie nach einer linkischen Begrüßung beide wieder auf ihren alten Plätzen saßen.
»Wenn wir, ich sag mal, stellvertretend für die Menschheit ein so riesiges Projekt mit so enormen Folgen vom Zaun brechen, dürfen wir das nicht ohne Zustimmung der Allgemeinheit machen. Und genau die werden wir niemals kriegen.« Er atmete tief durch die Nase ein und durch den Mund wieder aus.
»Versuch mal, den Leuten den Sex wegzunehmen. Uns in die Klapse zu sperren wäre noch das Mindeste, was uns blühen würde. Wenn das funktionieren soll, dann bestenfalls in einem ganz kleinen Gebiet oder einem winzigen Land. Im Vatikan vielleicht, die hatten doch schon immer was gegen Sex. Bhutan, mit ihrem Gross Happiness Product. So was.« Benjamin wischte sich die Stirn, obwohl es nicht heiß war. Charlotte sah ihn ruhig mit gesenktem und leicht geneigtem Kopf an.
»Eine Pazifik-Insel, die ohnehin wegen des steigenden Meeresspiegels vom Untergang bedroht ist, wenn die Leute noch Geld dafür kriegen. Und falls dann tatsächlich jemand mitmachen würde, und wir das tatsächlich irgendwo ausprobieren dürfen: Wie willst du Mikroben stoppen? Die kennen keine Kreis- und Ländergrenzen.« Benjamin zog den Mund zur Seite und zog hörbar mit einem kurzen Zug Luft durch die Nase ein.
Charlotte schürzte die Lippen und schnalzte, als sie den Mund wieder freigab. »Tja. Da sagst du was. Müssen wir’s halt heimlich machen«, sagte sie pragmatisch. »Du kannst die Leute nur zu ihrem Glück zwingen, in der Masse sind wir stumpf und blöd. Besser, als unterzugehen.«
»Vielleicht kann man das ja abstrakt und anonym in der wissenschaftlichen Community diskutieren«, schlug Benjamin vor.
»Dann hast Du das drei Tage später auf einer halben Million Twitter-Nachrichten und wer weiß wo noch, und hunderttausend aufgeregte Gegner wollen dich lynchen.«
»Echt? Ich weiß ja nicht.«
»Doch. Sicher.« Er sah Charlotte in die Augen. Ja, sie war sicher. Das überzeugte ihn.
»Na gut, vielleicht stimmt das. Aber können wir wirklich stellvertretend für alle entscheiden? Irgendwie traue ich mir das nicht zu.«
Er zupfte sich mit Daumen und Zeigefinger am Nasenflügel, als ob dort etwas klebte. »Eigentlich ist es doch immer meine Maxime gewesen, nicht einzugreifen, nichts zu unternehmen. Die Natur regelt das selbst am besten. Das ewige Managen und Eingreifen, das ist es doch in erster Linie, was den Planeten zerstört. Das ist das genaue Gegenteil von dem, was ich will. Wenn du die richtige Haltung hast, ändert sich alles von allein zum Guten, Charlie. Wir sind zu invasiv.«
Charlotte sah ihn an. So ein großer Kerl, und dabei so scheu und schüchtern.
»Zu der richtigen Haltung kommen wir noch. Wir müssen was tun, Zen. Von allein dreht sich das Rad nicht zurück.« Sie lehnte sich vor und sah ihm in die zögernden Augen.
»Du weißt doch, wie die breite Masse ist. Plebiszite haben noch nie wirklich jemanden geholfen, oder? Die Vernunft regiert nicht, sondern der Wunsch nach vollen Bäuchen und einem gesicherten Umfeld. Red doch einfach noch mal mit einem Freund darüber, einem Vertrauten.«
»Dann müsste ich ein paar Tage weg. Mein Bruder käme infrage. Der lebt auf einer Insel vor Cornwall.«
»Dann mach das, wenn es wichtig für dich ist«, sagte Charlotte und legte ihm ihre beiden Beine über seinen rechten Schenkel, sich dabei im Sessel zurücklehnend, die Hände im Schoß.
Benjamin mochte die einengende Geste; es war ein schöner Kontakt. Er nickte. Genau das würde er machen. Ein paar Tage konnte er immer weg, er musste im Institut nur ein paar Dinge veranlassen. Das konnte er morgen machen. Übermorgen konnte er dann seinen Bruder besuchen und mit ihm reden.
»Lass uns lieber noch mal darüber reden, wie das technisch gehen soll«, schlug Charlotte vor. »Irgendwie müssen wir ja die genetischen Instruktionen von deinen Wolken-Bakterien in den weiblichen Körper kriegen.«
Benjamin fühlte sich nach der beigelegten Spannung mit Charlie erschöpft, vielleicht war das auch nur die Spätwirkung des Alkohols.
»Weißt du was, es war ein langer Tag. Lass uns morgen weiterreden, ja? Ich bin müde.« Benjamin konnte ein Gähnen nicht unterdrücken, angesteckt von seinen eigenen Worten.
Charlotte lächelte freundlich und undurchsichtig, wie Mona Lisa, fand Benjamin.
»Schön.« Sie erhob sich und zog Benjamin an den Händen aus seinem Sessel. »Dann gehen wir jetzt im Bett kuscheln, du müder Krieger. Du kannst mir gern beim Ausziehen helfen. Aber unsere Höschen behalten wir an, und komm mir nicht auf dumme Gedanken.«
Benjamin nahm sie in den Arm und legte seinen Kopf neben ihren. Dann glitten ihre Wangen sacht aneinander vorbei, im gleichen Tempo, mit demselben ruhigen Wunsch, und Charlotte und Benjamin küssten sich zum ersten Mal seit den paar Tagen, die sie sich nun kannten, richtig, lang und voller Gefühl, nicht als Vorbereitung für einen nächsten Schritt. Nicht als Belohnung oder Bestechung, nicht als eine Fortsetzung der Kommunikation mit anderen Mitteln. Sie küssten sich, weil sie sich küssen wollten.
Ein paar Minuten später kam Benjamin dazu, sein Geschenk auspacken zu dürfen. Es war ihm nicht einmal mehr wichtig.
Samstagmorgen
Ben wunderte sich, wie gut er geschlafen hatte, in diesem fremden Bett, zum zweiten Mal. Diesmal nicht sturzbetrunken wie beim ersten Mal, an das er sich kaum und gar nicht gern erinnerte.
Bis auf eine kleine Tabuzone hatten Charlotte und er sich überall in aller Ruhe erkundet und waren schließlich eng umschlungen eingeschlafen.