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Küchentrakt und setzte einen neuen Kessel mit Wasser auf. »Vielleicht kann man was tun«, rief sie Benjamin zu. »Vielleicht können wir ja etwas ändern. Wir beide. Du und ich.«

      Eine Weile war es still in der Wohnung. Dann stand Ben auf und ging ihr nach.

      »Selbst wenn wir alle friedlich wären, sind wir trotzdem einfach zu viele«, behauptete er. »Wenn alle reich genug sind, werden wir vielleicht weniger. In hundert Jahren. Aber können wir darauf warten? Die meisten Leute auf der Erde sind jung, gerade in Indien, China und Afrika, die werden noch lange leben und viele Kinder kriegen.« Jetzt reden wir schon übers Kinderkriegen, dachte er.

      »Wir müssen anders leben. Wir müssen zurück. Auf einer technologisch höheren Stufe, die uns ein gutes Leben ermöglicht, aber trotzdem zurück, mit weniger leben, damit die ganze Welt überleben kann.«

      »Da hast du schon recht, Zen«, antwortete sie sanft. »Das ist der Natur aus dem Ruder gelaufen, dass wir uns so vehement vermehren, ohne Kontrolle, ohne Gegengewicht. Normalerweise regelt sich das von selbst. Über Fressfeinde. Über Seuchen. Über Selbstregulierung. Über Kriege. Und da ist der Punkt, wo ich die Kurve nicht kriege. Da komme ich mit meinem Ansatz nicht weiter. Wenn wir weniger aggressiv wären, gäbe es noch weit mehr Kinder. Wenn wir wie die Bonobos alle Konflikte friedlich lösen würden. Müssen wir so aggressiv sein? Ist das unser Auftrag? Das ist doch schrecklich!«

      Sie sah zum Kessel, der stumm blieb. Stattdessen trat sie zu ihm und schmiegte sich mit ihrem Kopf an seine Brust. So als ob er sie von nun an behüten sollte.

      »Tja«, stimmte Benjamin ihr zu und schluckte. »Für uns gibt es keine natürliche Regulierung mehr. Wir haben alle Fressfeinde ausgerottet und alle Krankheiten besiegt. Glauben wir zumindest.«

      Charlotte löste sich von ihm und sah ihn an.

      »Glauben?«

      »Unsere wirklich gefährlichen Fressfeinde werden wir niemals besiegen. Bakterien, Viren, Pilze. Die haben wir eine kurze Zeit lang, hundert, hundertfünfzig Jahre, in Schach gehalten. Aber bald haben wir mehr resistente Arten, als wir Mittel dagegen entwickeln können. Schon heute gibt es Arten, gegen die auch noch so gute Breitband-Antibiotika nicht mehr helfen. Die tauschen ihr Erbgut schneller untereinander aus, als wir hoppla sagen können.«

      »Bakterien? Ich dachte, zum Tausch von Genen braucht man Sex?« Sie trat näher an ihn heran, ihr Busen berührte ihn unter seiner Brust. Benjamin fühlte seinen Atem schneller gehen.

      »Schon richtig«, pflichtete er ihr bei. »Sex ist wichtig.« Und jetzt reden wir über Sex. Rein wissenschaftlich, natürlich. Benjamin machte einen Schritt zurück, als ob er den Teekessel überprüfen wollte.

      »Bei komplexen Mehrzellern wie uns, ja. Da hat Sex sich als Vorteil erwiesen.« Benjamin konnte sich nicht recht konzentrieren. Wo war er stehen geblieben? Er fühlte, wie sein Glied sich regte und wie sich seine Hoden langsam hin und zurück drehten. Die Präsenz von Charlotte war zu überwältigend.

      Ach ja. Er hatte seinen Faden noch. »Bakterien. Die brauchen keinen Sex. Wenn genug davon versammelt sind, werden sie richtig kommunikativ und sehr basisdemokratisch. Quorum Sensing nennt man das, das kennst du bestimmt. Das ist wie bei einer Abstimmung. Sie tauschen dabei massiv Informationen aus.«

      Sie grinste. Er musste seine Theorie verteidigen.

      »Wirklich, die reden miteinander, über chemische Signale, über kleine Moleküle. Über die reden sie untereinander und sogar mit uns, mit unseren Darmzellen zum Beispiel. Ihre Plasmide besitzen ringförmige DNA-Abschnitte, mit denen sie Resistenzen und andere nützlichen Informationen übertragen können, auch an andere Bakterienarten oder sogar an Mehrzeller wie uns.« Benjamin dachte kurz nach.

      »Die verändern sich schneller als die Polizei erlaubt. Vor Kurzem haben Forscher ein Virus beobachtet, das sich in einer neuen Umgebung innerhalb von zwei Wochen selbst so umgebaut hat, dass es Bakterien knacken konnte, die es vorher noch nie getroffen hatte. Noch nie. In zwei Wochen.«

      Charlotte sagte nichts und trat an den Herd. Der Kessel fing für ihn erst zu pfeifen an, als sie ihn bereits erreicht hatte. Was für ein feines Gehör, dachte Benjamin.

      »Das sind die dominanten Arten auf dem Planeten«, fuhr er fort, während sie den Tee aufgoss. Sie gingen zurück ins Wohnzimmer und setzten sich. Benjamin fuhr fort.

      »Nicht der Homo sapiens, der doch eher ein Homo fatuus ist. Der dumme Mensch. Bakterien leben seit Milliarden von Jahren hier, die haben alle Bereiche erobert, von den unwirtlichsten Stellen der Erde über unsere Därme und unsere Haut bis in die Atmosphäre, sie machen die Hälfte der gesamten Biomasse aus, sie entwickeln sich fortwährend weiter und sind hoch anpassungsfähig. Sie haben uns kolonisiert. Die überstehen jede Katastrophe, wir nicht. Die benutzen uns wie wir unser Vieh. Die sind die Herren des Planeten, nicht wir.«

      Hatte sie ihm eigentlich zugehört? Sie schien nachzudenken, hatte ihre Position auf dem Sessel wieder eingenommen, mit überkreuzten Beinen, zurückgelehnt in den Polstern, die Hände im Schoß. Sie sah ihn an oder durch ihn hindurch, so genau konnte er das nicht erkennen.

      »Ich arbeite an etwas ganz anderem«, sagte sie nach einer Weile. »Nämlich der Beziehung zwischen der Verfügbarkeit von Nahrung und sexueller Vermehrung. Tee?«

      »Gleich. Äh – wo ist denn deine Toilette?« Sie lachte. »Ach so. Da drüben.« Sie zeigte auf eine Tür schräg hinter sich.

      Als er zurückkam, hatte sie ihm bereits neuen Tee eingegossen. Im Hintergrund perlte leise Klaviermusik. Benjamin setzte sich wieder.

      »Was ich meine, ist was anderes«, fuhr Charlotte fort, »Bei Nahrungsmangel bleibt bei vielen sich sexuell fortpflanzenden Spezies der Zyklus aus, auch bei Säugetieren. Mit der Ernährung verschiebt sich über die Zeit alles. Du kennst das«, behauptete sie.

      »Die Mädchen heute bekommen ihre Periode früher und früher und die Frauen bleiben länger fruchtbar.« Sie sah ihn an.

      Benjamin schloss die Augen und zog die Knie nach oben. Er durfte sie nicht so ansehen, wenn sie über Fruchtbarkeit redete.

      »Das war nicht immer so«, erklärte sie. »Es gibt Gensequenzen, die all das regeln. Das kann sich auch wieder umkehren. Oder umkehren lassen. Verstehst du?«

      »Willst du die Leute aushungern? Das ist doch nicht dein Ernst, Charlie.« Benjamin glaubte ihr nicht.

      Sie lachte. »Nee. Was man früher für DNA-Müll gehalten hat, ist eher die eigentliche Software, die kodierenden Sektionen der DNA sind eher der Speicher, die Bibliothek. Nicht alles läuft über Proteine.« Sie knipste eine Stehlampe neben sich an, es war dunkel im Raum geworden. »In den nicht kodierenden Abschnitten befinden sich die eigentlichen Schätze, die Moderatoren der kodierenden DNA. Die hat noch niemand wirklich gehoben.«

      »Ich verstehe den Zusammenhang nicht«, gab Benjamin zu.

      »Na ja – ich habe ein paar Sequenzen entdeckt, die die weibliche Periode verkürzen oder verlängern können oder sogar komplett ausfallen lassen. Bei den Schimpansen am Primatenzentrum hat das funktioniert.«

      »Ihr experimentiert mit Menschenaffen?«, empörte er sich.

      Sie schüttelte den Kopf. »Nee, so war das nicht. Eine Schimpansin war krank, sie hatte riesige Probleme mit ihrer Regel, die dauerte zwei Monate, viel länger als die üblichen fünfunddreißig Tage, und sie hatte die ganze Zeit wahnsinnige Schmerzen. Durch sie bin ich überhaupt erst auf dieses Phänomen gestoßen.«

      »Die haben fünfunddreißig Tage lang ihre Tage?«, fragte Benjamin ungläubig.

      »Ja.« Sie nickte ernsthaft. »Aber nicht so regelmäßig wie Menschen. Bei vielen Säugetieren ist das saisonal bedingt. Du weißt doch, Katzen und Hunde. Einmal im Jahr, vielleicht zwei- oder dreimal. Das kann völlig unterschiedlich sein. Bonobos zum Beispiel können und wollen immer, wie Menschen.« Benjamin nickte mit gerunzelter Stirn. Langsam gingen ihm die Hinweise auf das Lustverhalten dieser Hippie-Affen auf den Keks.

      »Andere Arten haben im Leben überhaupt nur zwei, drei

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