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Substanz darüber wahr. Gern hätte er seine Hand weiter über ihren Bauch geführt, wie eben beim Bügeln, vielleicht bis an den Brustansatz, aber nicht weiter. Das traute er sich nicht. Er war sowieso schon zu weit gegangen, mit dieser Berührung, fand er. Er ließ los.

      Stattdessen, und überrascht von sich selbst, leckte er ihr mit der Zungenspitze über ihren linken Mundwinkel. »Du hattest da noch Wein.«

      Sie hielt ihn an seinem Hemd fest, am obersten Knopf, streckte sich zu ihm hoch und drückte ihm einen Kuss auf, nicht mit gespitztem Mund wie beim letzten Abschied, sondern mit weichen, entspannten Lippen. Benjamins Hand kam wie von selbst zurück auf ihre Hüfte und wanderte auf dem Rücken nach oben. Sein Mund erwiderte den leichten Druck, und er öffnete leicht seine eigenen Lippen und legte den Kopf schief, weil sich ihre Nasen im Weg waren.

      Wenn das jetzt so weiterging, würde er in zehn Sekunden mit ihr im Bett liegen.

      Aber es ging nicht so weiter. Charlottes Hand, die immer noch seinen obersten Hemdknopf umschloss, drückte ihn von sich weg. »Setz dich und trink deinen Wein«, befahl sie ihm, ließ ihn los und trat selbst hinter das Bügelbrett.

      Benjamin setzte sich und leckte sich unwillkürlich die Lippen. Charlotte senkte den Blick, sah nur auf das Hemd. »Das hast du ganz ordentlich gemacht, diesmal«, sagte sie halblaut. »Ich mach das mal kurz fertig.«

      Benjamin sah ihr zu. Sie machte das ganz anders als er. Sie ließ das Eisen praktisch kaum aus der Hand, die andere Hand zupfte und zuckelte am Stoff, während die andere mit dem Bügeleisen hinterherkam. Mit kurzen Rucken brachte sie das Hemd in die Lage, in der sie es haben wollte. »Das war heute noch zum Einüben«, fuhr sie fort, während sie die Schultern bearbeite. »Aber du hast gemerkt, wie der Stoff den Leib einhüllt und wie er fallen soll. Das gibt dir ein Gefühl für das Kleidungsstück. Du musst zum Kleidungsstück werden, wenn du bügelst.«

      In einer fließenden Bewegung rollte sie den Kragen über das Brett und folgte mit dem Eisen nach. Benjamin sah, dass er aus mindestens zwei, wenn nicht drei Lagen und mehreren Nähten bestand, wahrscheinlich Handarbeit.

      Charlotte bügelte ihn so, als sei er rund, nicht flach auf dem Tisch, mit geschickten und perfekt sitzenden kleinen Handgriffen. »So. Fertig«, sagte sie, stellte das Eisen ab und schaltete es ab. Sie knöpfte ein paar Knöpfe zu, nicht alle, und begann das Hemd auf dem Bügelbrett zu falten, von hinten her. Sie drehte es um, knickte es mit einem weich gezielten Handkantenschlag und legte es auf dem Brett ab. Das Hemd lag da, als ob es neu aus dem Laden gekommen wäre, aber sie beachtete es nicht weiter.

      »So«, sagte sie. »Jetzt trinken wir aus, und du gehst nach Haus. Sonst geht mir das alles viel zu schnell. Wir machen morgen weiter. Zahlen musst du heute auch nichts.«

      Benjamin erhielt wider Erwarten keinen Kuss, als sie ihn kurze Zeit später zur Tür brachte. Was hatte er falsch gemacht?

      Der Weg zurück nach vorn

      Am nächsten Tag um vier brachte Benjamin Charlotte eine Packung Darjeeling-Tee mit, für den er sich im Teeladen zehn Minuten lang beraten lassen hatte. Diesmal gab sie ihm wieder ein Küsschen zum Empfang.

      Charlotte setzte Tee auf, Benjamin nahm den gleichen Platz ein wie am Vortag.

      »Was machst du eigentlich als Biologe?«, setzte sie das Gespräch fort, als sie bequem vor ihrem Tee saßen, umwabert von Räucherstäbchen-Duft. »Und wenn du ein Jahr Auszeit genommen hast, wie hat sich dieses Sabbatical auf deine Arbeit ausgewirkt?«

      Jetzt musste Benjamin nachdenken. Hatte das seine Arbeit beeinflusst?

      »Na ja.« Er blies die Backen auf und stieß die Luft aus wie nach einer überstandenen Gefahr. »Vielleicht. Vielleicht hat sich mein Interesse an anderen Lebensformen verstärkt und sich das Interesse an Menschen, na ja, relativiert. Vor allem, wenn ich sehe, wie wir Menschen mit der Natur umgehen, und welchen Reichtum, welche Schönheit wir da gedankenlos vernichten.« Charlotte nickte.

      »Weißt du, wir machen nur ein Drittel Promille der weltweiten Biomasse aus, aber wir nutzen weit mehr als die Hälfte aller Landflächen, Südpol, Sibirien und Grönland mitgezählt, wir verbrauchen zwei Drittel allen Süßwassers, das gesamte Grundwasser, alle Rohstoffe und einen Großteil aller Nahrungsmittel für uns selbst. Für die Natur bleiben nur Brosamen.« Benjamin hatte sich erregt bei seiner Aufzählung wiederholt auf den rechten Schenkel geklopft, und Charlotte sah gebannt auf seine Hand.

      »Ja.« Sie ließ sich Zeit mit der Antwort. »Das ist mir bekannt. Aber was willst du machen? Das Rad zurückdrehen geht nicht. Zurück zur Natur? Schön wär’s. Wir würden alle zugrunde gehen, die Verteilungskriege würden die Welt dann vollends vernichten.«

      »Hm.« Benjamin war nicht überzeugt. »Technologie hat uns hierhergebracht, Technologie muss uns auch wieder rausbringen. Außerdem müssen wir diesen Raubbau zurückfahren. Wir müssen sparsamer mit allem umgehen, nicht mehr entnehmen, als wir zurückgeben. Eigentlich müssten wir sogar mehr zurückgeben, als wir entnehmen. Frag mich nicht wie. Wir sind so viele, über sieben Milliarden. Von denen will jeder am Liebsten so leben wie die Reichsten unter uns. Völlig unmöglich.«

      Er sog hörbar Luft durch die Nase ein. »Ich fürchte, angesichts dieser weiter wachsenden Zahl werden alle wie auch immer gearteten Bemühungen scheitern. Das macht mich traurig und nimmt mir den Mut.« Benjamin ließ die Hände auf seinen Schoß gleiten und starrte auf seine Strümpfe. Die Schuhe hatte er diesmal gleich ausgezogen.

      »Wir haben nur diesen einen Planeten, und wir gehen rücksichtslos damit um, wir vernichten und verdrängen alles andere, Tiere, Pflanzen, das Leben im Meer, zum Schluss dann auch uns selbst. Wie die Hefe in der Maische. Sie vermehrt sich so lange, bis sie am Alkohol erstickt, den sie selbst erzeugt. Wir sind zu viele, viel zu viele für diese Welt, so wie wir leben, so wie wir alle Ressourcen nur in eines verwandeln, in Müll. Auf dem Land, in allen Ozeanen, sogar auf dem Mount Everest ist alles zugemüllt.«

      Benjamin seufzte, erschöpft und betreten angesichts seines Gefühlsausbruchs.

      »Ist das der Sinn unserer Zivilisation? Müll? Manchmal habe ich exakt diesen Eindruck.«

      Er nahm seine Tasse und trank den Tee in einem Zug durstig aus. »Das ganze Wachstum, dieses allein selig machende Allheilmittel, dieses viel gepriesene Wachstum, ist doch am Ende nur die Summe dessen, was wir verbraucht und weggeworfen haben. Am Ende landet alles auf dem Müllplatz, und ich fürchte, wir auch.«

      Charlotte schnaufte durch die Nase. Benjamin war nicht sicher, ob das ein Lachen oder Widerspruch gegen das war, was er gesagt hatte. Ihr schöner Busen zappelte, als sie bei diesem Schnaufer den Kopf leicht zurückwarf. »Putzig«, sagte sie schließlich.

      »Wie bitte?«, fragte Benjamin ungläubig nach. Putzig?

      »Du hast mir zwar nichts von deiner Arbeit erzählt, aber mich an meine eigene Arbeit erinnert«, sagte sie und griff zu ihrer Teetasse, trank aber noch nicht. Stattdessen lehnte sie sich im Sessel zurück und stellte die Tasse auf ihren hochgezogenen Knien ab.

      »Genau damit beschäftige ich mich seit einer Weile, am Institut«, erklärte sie. »Mit der Bevölkerungsproblematik, dem exponentiellen Wachstum. Egal wie wir wirtschaften, egal wie viel Kohlendioxid wir einsparen, egal ob wir alle aufhören, Fleisch zu essen oder Auto zu fahren. Mit einem exponentiellen Wachstum der Menschheit ist alles von vornherein verloren. Es ist schrecklich. Dass wir selbst das sind. Wir beide eingeschlossen.«

      So betrübt hatte Benjamin sie noch nicht gesehen. Wo war ihre allgegenwärtige Fröhlichkeit geblieben?

      »Aber am meisten zerstören wir durch unsere Aggressivität«, seufzte sie. »Überall wo du hinschaust, gibt es Krieg und Zerstörung. Wir sind zu aggressiv. Schimpansen. Alles, was erfunden wird, kann und wird als Waffe verwendet werden. In dem Bereich findest du das allergrößte Wachstum und die größten Profite. Macht bewegt die Starken. Vernichtung ist egal, solange es die Vernichtung der anderen ist. Das Streben nach Macht, das ist unser größtes Übel, nicht Sex, und die aus dem Machtstreben folgende Vernichtung von Menschen, Kultur und Werten.« Sie bemerkte seinen offenen Mund. »Und der Natur, ich weiß, was du sagen willst.«

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