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in diesen Tagen. Wo war seine innere Ruhe geblieben, diese ätherische Freude am Sein?

      Und nun wollte er mit dieser wunderschönen Frau vor ihm, halb im Scherz, halb als Fantasie, den gentechnischen Umbau der Gesellschaft anstoßen? Wollte er nicht lieber viele, viele Kinderchen aus ihr herauspurzeln sehen? Seine Kinder? Warum kam sein Geist nur auf so völlig unterschiedliche Ergebnisse wie sein Körper? Hatte sein Bauch nicht sonst auch immer recht gehabt?

      Sein Geist sagte ihm, dass diese Geilheit und Lust genau das war, was er doch loswerden wollte, das Übel, das die Menschheit die Natur ruinieren ließ.

      Sein Bauch dachte heute ganz anders. Er erklärte ihm, dass er schon immer am besten gewusst hätte, was gut für Benjamin war, dass er langsam mal zum Schuss kommen sollte, und dass der Kopf nicht so rumspinnen sollte. Der würde sowieso immer nur die Hälfte verstehen und die auch noch falsch interpretieren.

      Nimm sie dir, sagte der Bauch. Aber der Kopf drängelte sich vor, wenn der Bauch Sprechpause hatte.

      »Weißt du was«, sagte er schließlich, nachdem er ihr dabei zugesehen hatte, wie sie die Suppe in Angriff nahm, »wir müssen da mal ganz nüchtern drüber reden, ob das tatsächlich Sinn macht. Und wir sollten auch mit niemand anderem darüber reden.«

      »Ist ja nur ein Gedankenspiel«, sagte Charlotte zwischen zwei Löffeln Suppe. »Lecker, übrigens. Hättest dir auch eine bestellen sollen.« Sie stießen mit ihren Gläsern an und tranken noch einen Schluck. »Aber interessant ist die Idee doch. Wir können das doch als reines Gedankenexperiment weiterverfolgen. Nimm dir was von meinem Brot«, forderte sie Benjamin auf. »Das ist echt lecker.«

      Benjamin nippte nachdenklich an seinem Wein und aß ein Stück Brot. Er nickte. Es war lecker.

      Charlotte suchte in seinem Gesicht nach seinen Gedanken.

      Sie hatte ihre Suppe ausgelöffelt und wischte sich mit ihrer Serviette den Mund.

      »Nehmen wir mal an, das klappt alles. Aber weißt du, wie groß die genetischen Datenmengen sind, die du brauchst, um den kompletten weiblichen Zyklus umzustellen? Das schaffen deine Bakterien nie. Vielleicht sollten wir ganz woanders ansetzen.«

      Sie faltete ihre Serviette wieder zusammen.

      »Vielleicht sollten wir als erstes den Männern die Aggressivität nehmen, denke ich. Wäre ein guter erster Schritt. Ich glaube nämlich, dass es das ist, was unsere Zivilisation so destruktiv macht. Die Aggression, unsere Schimpansen-Gene. Vielleicht sollten wir die in Bonobo-Gene umtauschen. Schluss mit Krieg und Aggression machen. Gegeneinander und gegen Frauen. Die ist nämlich auch alltäglich, mein Lieber.«

      Benjamin sah seine Vision von einer triebbefreiten menschlichen Gesellschaft, die die Natur in Ruhe ließ, dahinschwinden. »Das wäre viel schwieriger. Und beides können wir nicht durchziehen. Aggressivität ist viel tiefer verankert. Da kommen wir niemals ran.«

      Er sah den Unwillen, der ihre Mundwinkel nach unten zog. Ihr war das wichtig. Hatte sie da was erlebt? Als Frau?

      Er goss Charlotte und sich nach. Die Flasche war schon fast leer, und langsam spürte er die Wirkung des Weins. Er schaute auf dem Etikett nach. »Dreizehn Umdrehungen«, teilte er Charlotte mit, während er seinen Blick stabilisierte. Er hatte schon zu viel getrunken und war den Alkohol nicht gewohnt. Doch das durfte er sich als Mann nicht anmerken lassen.

      Sie ergriff ihr Glas und trank es fast aus. »Guter Geschmack hat auch was mit Salz zu tun«, sagte sie. »Man trinkt dann einfach mehr.«

      »Da verdienen die auch mehr dran als am Essen«, steuerte Benjamin bei. »Ich glaube, ich bestelle noch mal ein Fläschchen Wasser für uns und zwei Gläser Wein zum Hauptgang.« Er schaute sich nach der Kellnerin um. Da sie fast allein in dieser Ecke des Restaurants saßen, war niemand zu sehen.

      »Ich mag jetzt nicht an Arbeit denken«, gestand Benjamin. »Lass uns das Thema ein andermal fortsetzen.« Er klopfte an sein leeres Glas.

      Die Kellnerin war in der Küche gewesen, war aber in Gedanken bei ihnen gewesen. Sie erschien mit dem Hauptgang, einer Lammhaxe vom Harzer Weidelamm für Charlotte und rotem Thai-Curry mit gebratenem Tofu für Benjamin. Das Lamm roch verführerisch, selbst für den Vegetarier Benjamin. Fett, Salz und karamellisierter Zucker, alles was ein menschlicher Jäger und Sammler vor zehntausend Jahren noch dringend benötigt hätte, dachte er. »Können wir bitte zwei Gläser von dem Barolo bekommen, bitte?« Die Kellnerin nickte, sammelte Charlottes Teller und Löffel ein und schlich davon.

      »Das Ganze wäre eine Art Stafettenlauf«, fing Benjamin wieder mit seinem Thema an. »Eine Information wird über Vektoren weitergegeben. Wir haben die Werkzeuge dafür. Aber wir bräuchten auch eine Art Software, ein Programm, das steuert, wie das Ganze ablaufen kann und soll. Sonst ist das völlig chaotisch. Versuch und Irrtum. Ein amorphes Netzwerk, ein biologisches Internet, ohne Kopf, aber mit vielen Schwänzen.«

      Charlotte grinste ihn spöttisch an. Männer.

      Benjamin grinste zurück.

      »Ich glaube, ich kenne da wen«, sagte Charlotte vorsichtig. »Ein völliger Netzwerk-Freak. Du weißt schon.« Sie wedelte erklärend mit den Händen in der Luft und hüpfte dabei ein wenig auf und ab, was schöne wellenförmige Schwingungen über ihren Oberkörper laufen ließ. Komm, wir lassen das Essen stehen und gehen zu dir, hätte er fast gesagt. War das der Alkohol?

      Charlotte leckte sich die Lippen und griff zu ihrem Besteck. »Das können wir unmöglich kalt werden lassen«, freute sie sich. So viel zum Thema Essen stehen lassen, dachte Benjamin. Er machte sich ebenfalls an sein Curry. Es war wunderbar aromatisch und auch scharf genug für seinen Geschmack.

      »Daniel könnte uns helfen«, fuhr sie fort. »Ein Software-Spezialist, ein Freund, den ich kenne.«

      Daniel. Ein Typ also. Irgendwie törnte ihn das wieder ab. Hatte Charlotte eigentlich einen Freund? Er war noch nicht dazu gekommen, das herauszufinden. Er kannte sie erst seit Kurzem, auch wenn ihm das vorkam wie eine ganze Woche.

      »Ja«, krächzte er. Soeben hatte er doch eine schärfere Chili-Schote erwischt. Eine höllisch scharfe, und ausgerechnet die war ihm ans Zäpfchen geraten. Charlotte tupfte sich mit der Serviette etwas Fett von den vollen Lippen, die verführerisch glänzten. Es schien ihr zu schmecken.

      »So was zu entwickeln würde einiges kosten. Geh mal von etlichen zehntausend Euro aus. Pro Version. Da kommen leicht ein paar Hunderttausend Euro zusammen.«

      »Wenn man das übrighätte«, überlegte Benjamin. »Und wenn wir das wirklich machen würden, ist ja nur ein Gedankenspiel.«

      Sie sah ihn nachdenklich an und kaute weiter. Beim Kauen traten ihre dreieckigen Grübchen jedes Mal zum Vorschein. Sie schluckte und leckte sich mit einer kleinen, leicht spitzen rosa Zunge über die Lippen. Das allein ließ Benjamin wieder tiefer atmen, vielleicht war es auch ihr Duft. Das Fenster hinter ihr stand leicht offen und wehte ihr Chrysanthemen-Zimt-Aroma zu ihm hin. Benjamin spürte, wie sich seine Hoden erneut hin und her wälzten, wie in Vorfreude.

      »Was Geld angeht, lässt sich vielleicht auch was machen«, sagte Charlotte schließlich. »Ich könnte mal mit meiner Anlageberaterin reden, Amy. Die kann ich dir auch gern vorstellen«, sagte sie, während sie mit dem Messer das Fleisch des Lamms von den Knochen löste. »Das ist immer das beste Stück«, freute sie sich, als sie seinen Blick bemerkte. »Vielleicht könnte die uns helfen. Kennt sich gut mit Fonds aus. Mein Geld verwaltet sie auch.« Sie kostete und sah glücklich aus.

      »Aber erst mal müssten wir wissen, was wir überhaupt wollen, wenn wir überhaupt was wollen.« Sie fuchtelte mit dem Messer in der Luft herum. »Bin ich gar nicht von überzeugt. Ich selbst fände es wichtiger, die menschliche Aggressivität zu besiegen. Damit wäre unserem Planeten mehr geholfen. Auch wenn das schwieriger sein dürfte. Lieber bessere, friedlichere Menschen als weniger. Aus denen werden dann doch rasch wieder mehr, und es war alles umsonst.«

      »Sprich doch mal mit ihr.« Benjamin wunderte sich, in was der Koch die Tofu-Stücke eingelegt hatte. Das war jedenfalls nicht der marinierte Tofu aus dem Bioladen.

      Balsamico

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