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absolviert dem ihm bis dahin unbekannten Friedrich Torberg. „Das war ein Buch“, bekannte Weigel 1980 in Große Mücken, kleine Elefanten, „das ich gern geschrieben hätte.“19 Dieses Manuskript war dem Verlag von Max Brod empfohlen worden und Weigel hatte den genauen Umfang durch Zählen der Anschläge festzustellen. „Es war der Mittelschüler-Roman“, der „die Institution der Mittelschule genauso in Frage stellte wie ich.“20

      Weigel bezeichnete Torberg und sich selbst später als „eine Art Vettern im Geist. (Vor allem, weil Polgar unser Vorbild war.) Unsere Beziehung war eine der bestentwickelten Hasslieben dieses Jahrhunderts“.21 Denn ihre Variationen des Themas Wiener Autor Jahrgang 1908 „berühr[t]en und kreuz[t]en einander immer wieder und rieben sich auch immer wieder aneinander. Wir sind fast immer einig, wenn auch, wie man zu sagen pflegt, oft nur darüber, dass wir uneinig sind. F. T. ist mein ältester literarischer Freund. […] Er kam gerade noch dran, erfreulich und erstaunlich früh. Aber kaum dass er Zsolnay-Autor geworden war, warf Zsolnay Ballast ab, welcher dem grossen Nachbarn missfiel, und hielt sich lieber an Jakob Schaffner [den Schweizer Schriftsteller, der die nationalsozialistische Ideologie unterstützte]. Torberg war auf einen Aussenseiterverlag in Mährisch Ostrau, dann auf einen Verlag in Zürich angewiesen. Schwer, ein Romancier zu sein! Wir sind durch alles hindurch und über alles hinweg in Kontakt geblieben. Es blödelt sich so gut mit ihm, es ist auch ein Vergnügen auf höherer Ebene, mit ihm verschiedener Meinung zu sein“.22

      1931 wurde Hans Weigel durch die Geduld, das Verständnis und die Großzügigkeit seiner Eltern ein einjähriger Aufenthalt in Paris ermöglicht, den er, der „fanatische Admirateur der französischen Sprache“, die er „so gern hörte und sprach“23, vor allem dazu nutzte, die Stadt kennen und lieben zu lernen. Er wohnte im Hotel Riviera – 22, Rue Saint-Sulpice im 6. Arrondissement – in einem sehr kleinen Zimmer im fünften Stock, studierte nicht, las viel, faulenzte eigentlich, ging ins Theater und in Konzerte. Diese Liebe zu Paris und zur französischen Sprache sollte mit eine Voraussetzung für seine hinreißenden Molière-Übersetzungen nach 1962 sein.

      Als Weigel aus den Zeitungen vom Tod Arthur Schnitzlers am 21. Oktober 1931 erfuhr, schrieb er für die französische Literaturzeitschrift Les Nouvelles littéraires ein paar Zeilen – es war übrigens der einzige kleine Artikel, den er je in Französisch schrieb – „mehr Nachricht als Nekrolog“: „Als er starb, habe ich schon um ihn getrauert, nach dem Zweiten Weltkrieg begann ich ihn allmählich zu erkennen. Die Schuld an dem Lebenden kann nicht getilgt, nur eingestanden und bereut werden.“24 Immer wieder sollte Weigel sich nach dem Zweiten Weltkrieg für Schnitzlers literarisches Fortleben einsetzen. Er sah sich selbst als „Wiederentdecker der ersten Stunde“.25 Und Schnitzler sollte später für Elfriede Ott und ihn „eine Art Familienheiliger“26 werden, zu dem er eine starke Beziehung hatte.

      Aber ganz untätig war Weigel in Paris dann doch nicht: Er übersetzte Jules Supervielles L’enfant de la haute mer (Das Kind der hohen See) und die Novelle Les Mots (Die Worte) (immerhin 34 DIN-A4-Seiten) von André Baillon aus dem Französischen ins Deutsche.

      Nach seiner Rückkehr aus Paris kam Weigel zum ersten Mal aktiv in Berührung mit der Welt der Bühne: Zu Beginn des Jahres 1932 gründeten der Leiter der Bühnenabteilung der Universal Edition, Hans Heinsheimer, und der Komponist Max Brand die „Wiener Opernproduktion“, um Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny von Bertolt Brecht und Kurt Weill am Wiener Raimund Theater, das damals dem Volkstheater angeschlossen war, in Szene gehen zu lassen. Bereits 1929 war Die Dreigroschenoper aufgeführt worden. Formell befand sich der Sitz der Gesellschaft in der Margaretenstraße 22, der großen Wohnung von Weigels Eltern, seiner offiziellen Adresse. Weigel wurde mit in die abenteuerliche Produktion eingebunden, indem er für die Organisation der gesamten Vorbereitung und für die Verrechnung verantwortlich war.

       Lotte Lenya und Kurt Weill

      Nachdem ein Orchester und ein Ensemble zusammengestellt worden waren, konnten Kurt Weills Frau Lotte Lenya für die weibliche Hauptrolle der Jenny und der vortreffliche junge Tenor Otto Pasetti, der 1945 eine wichtige Rolle bei Hans Weigels Rückkehr nach Österreich spielen sollte, für die Rolle des Jimmy engagiert werden. Für die einzige Sprechrolle fiel die Wahl auf einen Anfänger: Kurt Meisel, der später als Schauspieler und Regisseur bekannt werden sollte. Die einfache Dekoration – sie bestand im Wesentlichen aus drei verschieden langen Stangen – stammte von Lizzi Pisk, die als Reinhardt-Seminaristin hauptberuflich Leiterin einer Gymnastikschule und die als Regisseurin, Zeichnerin und Choreografin „genialisch allround begabt“27 war. Mit ihr sollte Weigel in der Folge eine jahrelange Freundschaft verbinden, die nach dem Krieg wiedererstand.

      Selbst Proben fanden in Weigels elterlicher Wohnung statt, da sein Vater damals beruflich halb in Prag tätig war. Nachdem Weigel bei diesen die stumme Rolle des Tobby Higgins in der großen Gerichtsszene markiert hatte, entschied Regisseur Heinsheimer, diese Rolle bei Weigel zu belassen. Higgins wird in diesem Stück des vorsätzlichen Mordes zwecks Erprobung eines alten Revolvers angeklagt. Da er sich mimisch mit dem Gericht über eine Bestechungssumme einigt, wird er freigesprochen, geht danach „triumphierend über die Bühne und wird von den Gerichtssaalkiebitzen gefeiert. […] Es war meine erste und letzte Rolle auf der Bühne, ich stand nicht auf dem Theaterzettel, aber ich musste immerhin: sitzen, deuten, gehen. Das würde ich mich heute [Anfang der 1970er-Jahre] nicht mehr getrauen“.28

      Waren die Hauptproben chaotisch, so gestaltete sich die Generalprobe als Katastrophe. Die Premiere am Dienstag, dem 26. April 1932, lief dann jedoch ohne gröbere Zwischenfälle ab, wie sich Weigel später erinnerte: „Lotte Lenya war grossartig und wurde bejubelt. Die Gerichtsszene hatte (auch bei allen Wiederholungen) spontanen Applaus. Aber das Ganze bewirkte nichts.“29

      Die österreichischen Zeitungen lehnten Musik und Inhalt der Oper ab, manche ließen zumindest die Aufführung und die Protagonisten der Hauptrollen gelten, wie in der konservativen Neuen Freien Presse am 28. April 1932: „Und das Ganze soll eine Oper sein! Schon alleine eine solche Gattungsbezeichnung ist eine Brüskierung jeglichen Stilgefühls. […] Für die vielen kleinen Rollen hatte man junge Talente geworben, die, wenn auch nicht immer ausreichend, mit Feuereifer bei der Sache waren. [Armella Bauer und Otto Pasetti wurden vom Ensemble hervorgehoben.] Als der Star der Truppe ist Lotte Lenya anzusprechen, die mit klagender Kinderstimme, verschwollenen Augenlidern und geradezu fatalistischer Apathie der Dirne Jenny die charakteristischen Züge einer erschreckenden Dekadenz verlieh.“

      Unter dem Titel Oper der Zeit würdigte Das Kleine Blatt, ebenfalls am 28. April, die Weill’sche Musik: „Wie schon in ihrer berühmten Dreigroschenoper haben sie die Oper des Geldes geschrieben. […] Zu diesem Thema, das für eine Oper neuartig in seiner Unerbittlichkeit, in seiner schneidenden Ironie, in seiner Gesinnung ist, hat Kurt Weill eine neuartige Musik geschrieben, die von schmissigen Songs bis zur Fuge und der Nachahmung klassischer Muster vielerlei Elemente enthält […]“

      Die Reichspost jedoch verriss am selben Tag Inhalt und Musik: „Der dramatische Gehalt: Kaum der Rede wert – eine so sinnlos zügellose Orgie rohester Instinkte und Ansichten – die oft schier tollhäuslerische Musik: den Jazzrhythmus bevorzugende Musik schreckt vor grellsten Kakophonien nicht zurück – eine Pein der ganze Abend mit der Dürftigkeit fast sämtlicher Leistungen, mit seiner schon unerlaubt primitiven Bühne.“

      Die ebenfalls negative Stückkritik von Hans Ewald Heller auf der ersten Seite der Wiener Zeitung gipfelte in einem Vorwurf: „Dass aber Sensationslust einen an sich kaum nennenswerten künstlerischen Gedanken mit dem Pseudoflitter eines nicht existenten Ethos behängt, das ist der große Vorwurf, den man dem musikalischen Kampfgenossen Bert Brechts nicht ersparen kann. […] – Was soll das alles?“ Lediglich die Aufführung selbst, das Dirigat von Gottfried Kassowitz und die Leistung von Lotte Lenya fanden Anerkennung. Bei ihr steigerte Heller seine Anerkennung: „[…] eine meisterhafte Darstellerin, eine Persönlichkeit, die so eigenartig wirkt, dass die Frage, ob sie überhaupt singen, sprechen oder tanzen kann, völlig belanglos wird.“

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