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habe, dass mir geholfen werde.“8 Diesen Vorsatz sollte er nach 1945 mit seinem Einsatz für junge österreichische Literaten einlösen, nicht nur mit der Herausgabe der Anthologiebände Stimmen der Gegenwart

      Bei der Literarischen Welt, wo Weigel von 1. April 1927 bis 1. April 1928 arbeitete, schrieb er Adressen und Aufforderungen für Inserate, bearbeitete Einzelbestellungen und betreute das Mahnwesen. Doch seine wichtigste und für ihn lohnendste Aufgabe war es, Besuchern die Tür zu öffnen und sie anzumelden. Wen sah er da nicht alles: Bekannte Literaten der Vorkriegsjahre wie Ernst Toller, Walter Hasenclever, Joachim Ringelnatz, Felix Braun, Jakob Wassermann oder Hugo von Hofmannsthal bekam er neben vielen anderen zu Gesicht. Fast alle von ihnen konnte seine Erinnerung viele Jahre später in seiner Autobiografie mit einer Anekdote verknüpfen.

      Wenn er etwas für die Literarische Welt schreiben sollte, Buchbesprechungen, einen Weihnachtsratgeber für Musik oder über einen stürmisch verlaufenen Abend mit Adolf Loos, so war das nicht nur in seinen Augen „unterdurchschnittlich“, denn er war „mit zwanzig noch ein miserabler oder gar kein Schriftsteller“.9

      Weigel belegte zwar weiterhin Jusvorlesungen für den Fall, dass er wirklich weiterstudieren sollte, spielte sogar kurzfristig mit dem Gedanken, zur Germanistik zu wechseln, doch sein Schutzengel, „auch sonst nicht faul“, sollte ihn vor der Germanistik bewahren, denn in seinen Augen verhielt sich „Germanistik zu Literatur wie Gynäkologie zu Liebe“.10

      Erst im Frühjahr 1928 kehrte Hans Weigel nach über einem Jahr in Berlin nach Wien zurück. Im Zeugnis, das sich im Nachlass in der Wienbibliothek befindet, wurde ihm „gern bestätigt, dass er alle ihm übertragenen Arbeiten und Aufgaben zu unserer vollsten Zufriedenheit durchgeführt hat, aber darüber hinaus, durch eigene Initiative, eigentlich vielmehr ein wertvoller Mitarbeiter für uns war, als eine untergeordnete Hilfskraft“.

      Die Vorgänge des Jahres 1927 in Österreich – die Erschießung zweier sozialistischer Schutzbündler durch christlichsoziale Frontkämpfer in Schattendorf und deren Freispruch, der Brand des Justizpalastes und die Niederschlagung der sogenannten Julirevolution durch die christlichsoziale Regierung von Ignaz Seipel – hatte er in den Zeitungen in Berlin genau mitverfolgt. Mit scharfen Worten verurteilte er viele Jahre später in seiner Autobiografie Ignaz Seipels Reaktion sowie das Vorgehen des verantwortlichen Wiener Polizeipräsidenten Johann Schober und fragte sich, warum er nach Wien zurückgekehrt war, während Ödön von Horváth, Karl Kraus, Alfred Polgar und Robert Musil zu dieser Zeit Berlin vorzogen. Er gab sich selbst nach längerem Nachdenken eine Antwort: „[…] vermutlich aus Loyalität gegenüber jenen vierzig Prozent Verfolgter, denen ich mich verbunden fühlte“.11 Schon hier zeigt sich, dass er als eingefleischter Österreicher Österreich sein Leben lang liebte und gleichzeitig daran litt. Es war für ihn keine Kunst, dass er Österreicher war, wohl aber eine, dass er es nach diesen Vorfällen und dem späteren „Anschluss“ Österreichs an das Dritte Reich nicht nur blieb, sondern auch nach seiner Emigration mit Überzeugung wieder Österreicher wurde, „was ihm so viele Österreicher mosaischer Konfession [sein Leben lang] übelnahmen“.12 Dabei war er aber, so oft er konnte, noch vor 1933 in Berlin, wie er in Das Land der Deutschen mit der Seele suchend vermerkte: „[…] so, wie man sonst eine geliebte Landschaft immer wieder aufsuchte. Ich wollte das Hier-zu-Hause-Sein wiedererleben, auskosten, ich wollte versuchen, ob es nicht doch eine Möglichkeit gab, hier zu arbeiten. Im Sommer 1932 zum letzten Mal. Hätte ich damals eine Stelle gefunden, wäre ich gewiß, freudig und erfüllt, um diese Fünf-Minuten-vor-zwölf-Zeit nach Berlin übersiedelt. Ich riet noch damals allen Wiener Freunden, doch unbedingt nach Berlin zu gehen.“ Und: „[…] seit ich damals, 1932, von Berlin weggefahren bin, war nun doch dieses Berlin die Stadt meiner Träume geworden. – Eine Sehnsucht, die sich niemals erfüllte.“13 Berlin hatte ihn auf seinem ersten großen Umweg „von Wien nach Wien“14 zu sich selbst geführt. Später sollte er es als persönlichen Affront empfinden, dass trotz seiner Liebe zu Berlin durch die Nürnberger Gesetze des Dritten Reichs ein „unüberwindliches Ehehindernis“ zwischen ihm und Berlin gleich einer Mauer aufgerichtet worden war.

      Die literarische Situation in Österreich in der Zwischenkriegszeit schilderte Weigel rückblickend so: Es gab die Etablierten wie Anton Wildgans, Franz Karl Ginzkey, Rudolf Hans Bartsch, Franz Werfel, Stefan Zweig, Felix Salten, während Robert Musil, Hermann Broch und Franz Kafka in den Dreißigerjahren kaum wahrgenommen wurden und die Jungen in Weigels Alter keine Chance hatten. Friedrich Torbergs Roman Der Schüler Gerber dürfte die Ausnahme der Regel gewesen sein: „Wäre ich der nächste Rilke oder der nächste Schnitzler gewesen, wäre dies nicht bemerkt worden und hätte nichts bewirkt.“15 Doch war er nach eigener Aussage damals noch weit davon entfernt.

      In einem undatierten Manuskript für ein Interview mit der Kärntner Tageszeitung, im Nachlass erhalten, antwortete Hans Weigel auf die Frage, welche Kontakte er mit den „jüdisch-österreichischen Intellektuellen“ der Zwischenkriegszeit gepflegt hatte: „Ich war befreundet mit Medizinern und Ärzten, die mit Freud und Adler sympathisierten und war selber von deren Theorien sehr fasziniert. Ich stand aber in leidenschaftlicher Opposition zum literarischen Establishment der 1. Republik, also Leuten wie Franz Werfel, Stefan Zweig und Hugo von Hofmannsthal […, da ich sie] wahrscheinlich für die schreckliche Zeit mitverantwortlich machte, obwohl Bundeskanzler Prälat Seipel das Judentum beschimpfte, unternahmen diese Literaten nichts gegen ihn. Die Literatur stagnierte […] Die neue Musik war im Ghetto. Nur wenige wirklich bedeutende Denker konnten erfolgreich arbeiten. Werfel und Zweig waren Exponenten des Systems und mussten für mich als einen jungen Oppositionellen als Galionsfiguren der Seipel-Ära erscheinen.“

      Bis 1932 war Weigel Hörer und Leser von Karl Kraus, der ihn sehr beeinflusste und auf den er sich später des Öfteren berief. Zeugnis dafür ist sein viel beachtetes, 1986 Elfriede Ott gewidmetes Buch Karl Kraus oder die Macht der Ohnmacht, ein Versuch eines Motivberichtes zur Erhellung eines vielfachen Lebenswerks, wie der Untertitel erläutert. Doch unterstützte er die polemischen Angriffe seines kritischen Vorgängers nicht immer und wandte sich von ihm ab, als dieser mit dem Dollfuß-Regime sympathisierte.

      Durch die Freimaurerbeziehungen seines Onkels erhielt Hans Weigel in der Abteilung für Herstellung und Vertrieb im Paul Zsolnay Verlag in den Jahren 1929 und 1930 eine Stelle. Dafür hatte er sich mit einem Buchdruckkurs an der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt, damals noch in der Westbahnstraße, weiters mit einem Kurs für Prinzipale und einem ergänzenden Volontariat in der Druckerei Waldheim-Eberle vorbereitet. Auch später sollte Weigel sicher noch so manche Druckerei besuchen, denn noch 1983 betonte er in Das Schwarze sind die Buchstaben: „Ich war so gern in Setzereien und Druckereien, ich sah in jedem, der dort arbeitete, meinen Freund und Helfer.“16

      Für Weigel waren diese zwei Jahre bei Zsolnay eine ruhige, gemächliche Zeit, ein „Aschenputtel-Dasein“, wie er es nannte, in denen er jedoch Anstoß an der Kommerzialisierung der Literatur nahm. Einen Platz in diesem Verlag, „der mir zusagte, der mich und den ich ausgefüllt hätte“17, sah er nicht, er zog die Konsequenzen und verließ den Verlag. Im am 31. Dezember 1930 ausgestellten Zeugnis wurde er dennoch sehr gelobt: „Wir hatten in Herrn Weigel einen ungewöhnlich befähigten, hingebungsvollen und äusserst strebsamen Mitarbeiter, der der Abteilungsleitung dank seiner besonderen Begabung tatkräftigst zur Seite stand und ihr wertvolle Dienste leistete.“ Doch zumindest den Umgang mit dem grafischen Gewerbe empfand er als lehrreich. Zudem hörte er im Verlag zum ersten Mal den Namen Doderer, weil seine Kollegin Lisa Ludassy, Tochter eines heute vergessenen, doch zu seinen Lebzeiten am Beginn des vorigen Jahrhunderts beliebten Schriftstellers, ein Buch von Doderer ihrer Freundin Lili Bier empfahl. Über die Jahre und den Krieg hinweg blieb dieser nicht gerade gewöhnliche Name in Hans Weigels Gedächtnis hängen. Bei einer großen Kunstausstellung 1946 in der Ausstellungshalle Zedlitzgasse wurde er dem damals nur wenigen bekannten Heimito von Doderer schließlich vorgestellt. Seit damals, seit seinem aus der Erinnerung emportauchenden, bewundernden „Jöh!“ entwickelte sich eine über den Tod hinausgehende Freundschaft, die sich durch die „Einbeziehung des Ganzen in Zustimmung“, der „ganzen Person namens Heimito von Doderer mitsamt allen Schrullen und Menschlichkeiten“18 auszeichnete.

      

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