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nannte und ein prominenter Psychoanalytiker wurde.

      Hans Weigel fiel der Übertritt von der Volksschule ins Gymnasium leicht: „Ich musste eine Prüfung in einer öffentlichen Schule ablegen, um für das Gymnasium angemeldet zu werden, diese Prüfung war lächerlich einfach für mich, und dann die Aufnahmeprüfung im Akademischen Gymnasium, Wien, Beethovenplatz, die war ärgerlich einfach.“1

      Der Herbst 1918 war vor allem durch das Ende des Ersten Weltkriegs geprägt. Die Ausrufung der „Republik Deutschösterreich“ durch die Nationalversammlung erfolgte am 12. November 1918 vor dem Parlament. Allerdings sollten die Siegermächte im am 10. September 1919 unterfertigten Staatsvertrag von Saint-Germain-en-Laye diese Bezeichnung verbieten, weshalb „der Staat, den keiner wollte“, schließlich den Namen „Republik Österreich“ erhielt. Seinen 1978 im Artemis Verlag erschienenen Bericht Das Land der Deutschen mit der Seele suchend (einem „Bericht über eine ambivalente Beziehung“, so der Untertitel) begann Hans Weigel mit dem Ausruf: „,Jetzt sind wir also Deutsche.‘ Ich höre meine Mutter, […] ich sehe sie vor mir, sie und das Morgenblatt der ‚Neuen Freien Presse‘, das die Entscheidung der neugegründeten Republik Deutschösterreich bekanntgab. […] Daß die Monarchie gestürzt und die Republik ausgerufen wurde, habe ich hingenommen. […] Mit dem Zusammenbruch der Monarchie war für mich nichts zusammengebrochen. Ich nahm hin, sehr interessiert, aber noch nicht kritisch, was sich vollzog. […] Ich war glücklich gewesen, dass ich ein Deutscher hätte werden sollen.“2

      Trotz seiner zwangspatriotisch-monarchistischen Erziehung sollte Weigel von diesem 12. November 1918 an, an dem er mit seiner Mutter die Proklamation vor dem Parlament verfolgte, unwiderruflich Republikaner bleiben. In seiner Autobiografie berichtete er: „Meine Mutter war eine sehr vernünftige und unkonventionelle Frau. Sie wusste, wie sehr ich mich als frühreifes Kind für alles Politische, heute würden wir sagen: alles Zeitgeschichtliche, interessierte. So dachte sie, es werde für mich, den zehnjährigen Buben, wichtig sein, die Ausrufung der Republik mitzuerleben.

      Wir gingen am frühen Nachmittag des 12. November 1918 stadtwärts. Alles ging stadtwärts, alles ging zu Fuss, schlecht gekleidet, schlecht aussehend, es war nichts Festliches, nichts Freudiges; wer konnte, hatte etwas Rotes an oder auf – es gingen Einzelne und ganze Züge, manchmal hörte man zögernd und zaghaft ‚Hoch die Republik!‘ rufen. Wir […] standen am Gitter, das den Volksgarten einschließt, mitten in einer großen Menge. Man sah nur undeutlich, was sich oben vor dem Parlament abspielte, es gab damals noch keine Lautsprecher – man war dabei, aber nicht mit einbezogen.

      Reden wurden gehalten, dann stand der große Augenblick bevor: An den riesigen Fahnenmasten sollten die rot-weiss-roten Fahnen gehisst werden, der Vorgang schien sich zu verzögern, etwas schien dazwischen gekommen zu sein, meine Mutter sagte: ‚Ein böses Omen.‘ Dann gingen statt der rot-weiss-roten Fahnen schäbige kleine rote Fetzen in die Höhe. (Die Rote Garde hatte in einem Handstreich die Fahnen zerrissen.) Man hörte Schüsse. Wir gingen nach Hause. Irgendjemand sagte mit typisch jüdischem Tonfall: ‚Geschossen ham se. Waas ich, warum?‘ […] Ich war – in die Monarchie hineingeboren – monarchistisch erzogen worden – [aber] vom 12. November 1918 an unwiderruflicher Republikaner […]“3

      Auch das erste Kapitel Begegnung am 12. November von Raoul Auernheimers Wiener Gesellschaftsroman Die linke und die rechte Hand, der in der Ersten Republik spielt, schildert anschaulich den Tumult bei der Ausrufung der Republik – sicher mit ein Grund, warum Weigel den Roman 1985 in seine Reihe Wiedergefunden bei Styria aufnehmen sollte.

      Die Zeit der Ersten Republik, die der Schüler Hans bewusst miterlebte, bezeichnete Weigel von ihrer Gründung bis zu den Etappen des Untergangs als „unselige erste Republik […] Wir erlebten die Misere, die Armut, die Ratlosigkeit, die Deklassierung, den blinden Hass gegen ,Rite‘ und Juden …“. Eine Zeit, die „keine gute alte Zeit war“4, wobei die Kontinuität des Mangels die Endphase der Monarchie mit den Anfängen der Republik verband, wie er in seiner Autobiografie festhielt.

      Der Erste Weltkrieg war zwar zu Ende, Eduard Weigel jedoch nach wie vor in Russland in Gefangenschaft, während sich Hans ganz an seiner sehr fortschrittlichen Mutter orientierte. Später sollte er sich wundern, woher sie diese Fortschrittlichkeit gehabt hatte.

      Sie ließ ihm große Freiheit, hatte ihm aber angewöhnt, gleich nach Tisch die Hausaufgaben zu machen. Sie schickte ihn in eine private Tanzschule, wo er Menuett, Quadrille, Lancier, Polka, Kreuzpolka und Washington Post kennenlernte und dabei Zwirnhandschuhe trug. Sie ließ ihn Schlittschuh laufen und er sollte sich später auch an Intermezzi von Fechtunterricht und sportlichem Schwimmen erinnern. Doch Sport gehörte nicht gerade zu seinen Lieblingstätigkeiten, ja er sah Turnen, Tanzen, Fechten als fruchtlose Freizeitbelastungen an und alles, was beim Wintersport über das normale Rodeln hinausging, war ihm zuwider. Regine Weigel sorgte sich um ihren Sohn wie jede Mutter, doch – und das rechnete er ihr hoch an – war sie nicht so egoistisch, ihre Angst auszuleben, und gewährte ihm äußerste Selbstständigkeit. Er durfte etwa schon früh alleine mit der Elektrischen fahren, umsteigen, irgendwohin gehen.

      Hans genoss nicht nur zusätzlichen Französisch-, sondern auch privaten Englischunterricht. In seiner Autobiografie gab er dem Gymnasium am Beethovenplatz ein denkbar schlechtes Zeugnis: „Ich habe dieser Schule nichts zu verdanken als verschwendete Vormittage vom Herbst 1918 bis zum Frühjahr 1926. Was immer ich in diesen acht Jahren profitiert habe, habe ich mir neben der Schule oder gegen die Schule angeeignet.“5 An anderer Stelle relativierte er diese Aussage jedoch ein wenig und ging im Zusammenhang mit seiner Gymnasialzeit auch auf die Rolle seiner Mutter ein: „Ich bemühte mich als Gymnasiast, in allen offiziellen Zusammenhängen möglichst unauffällig zu bleiben, was mir recht gut gelang. Nur im Lateinunterricht brachte ich gelegentlich metrische Übersetzungen von Versen des Catull, Horaz und anderen mit. […] Das Gymnasium war insofern doch keine verlorene Zeit, als es mir Freunde brachte, die viel musizierten. Ich habe Latein gelernt und davon einiges behalten, in Mathematik war ich stets nahe am Durchfallen, Griechisch ist eine Terra incognita, Geschichte musste ich mir später holen, wo ich sie brauchte, Geographie konnte ich eh, Naturgeschichte, Physik, Chemie sind durch mich durchgegangen, ohne Spuren zu hinterlassen, auch der Deutschunterricht. […] Ich hatte immer ein durchschnittliches Zeugnis. […]

       Weigels Schülerausweis vom Akademischen Gymnasium

      Der unschätzbare Anteil meiner Mutter war der absolute Mangel an Ehrgeiz. ,Schau, daß du durchkommst – alles andere ist egal.‘ […] Dies alles ging von meiner Mutter aus und wurde von meinem Vater gern ermöglicht. Zwischen ihm und mir ging es [als er 1920 aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekommen war] nicht recht gut, ich war ein Mini-Ödipus geworden, die Kriegsjahre hatten zerstört, was vielleicht hätte blühen können.“6

      An seine Lehrer hatte Hans dann gute Erinnerungen, wenn sie ihn im Mittelschülerorchester als Triangelspieler oder Flötist einsetzten, oder an den „ungemein liebenswerten“ Mathematikprofessor, der Humor besaß und mit seinen Schülern nicht nur blödelte, sondern auch über Fußball sprach. Sonst aber hielt er die meisten Lehrkräfte für „arme, mehr oder weniger skurrile Statisten […] Karikaturen alten Stils“7, nicht nur weil der eine oder andere deutschnational war oder „nicht ganz unpsychopathisch“. Dies schien ihm als nichts Außergewöhnliches bei einem aus Schlesien stammenden Direktor, der „sehr hilflos und nicht von dieser Welt war. […]“.

      Die Schüler seiner und höherer Klassen bezeichnete Hans Weigel als „eine große Bagage, wir lärmten und tobten, wir bewarfen einander in den Pausen mit brennenden Papierknödeln, wir schwindelten natürlich“.8 In jeder Klasse gab es mindestens einen, der zum Gaudium der Mitschüler die Professoren imitieren konnte. Die Schüler waren nicht revolutionär eingestellt, sondern wollten, nein mussten nur ihren inneren Widerstand ausleben. Es gehörte einfach dazu, dass Streiche ausgeheckt wurden: Eine auf dem Dachboden der Schule entdeckte Kaiser-Franz-Joseph-Büste setzten sie als „neuen Schüler“ in die letzte Bank. Sie riefen mit verstellter Stimme den hilflosen Direktor an, nur um zu fragen, ob „der alte Scheissbock

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