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war ganz besonders erfreulich, sie war ein ,Musterschulhaus‘ des Vereins Freie Schule, ein Verein im Rahmen der Sozialdemokratischen Partei mit entsprechend fortschrittlichen Lehrern und Lehrerinnen, einem gescheiteren Lehrplan“12 sowie „modernen Methoden: Knaben und Mädchen in einer Klasse [und das 1914!], beim Religionsunterricht sass ein Lehrer einer anderen Konfession mit dabei, auch gab es den obligaten Französisch-Unterricht“.13

      Für den Sohn war seine Mutter von größerer Bedeutung als der Vater, alleine schon durch dessen Kriegsgefangenschaft, durch die Vater und Sohn das Aufwachsen des Jungen nicht gemeinsam erleben konnten. Seine Mutter war für ihn perfekt, modern, witzig, erzog ihn zur Selbstständigkeit, bei ihr durfte er schon sehr früh alles lesen, was er wollte. Sie führte ihn in Konzerte, wodurch für ihn sein Leben lang Musik vorrangig gegenüber dem Theater und der Literatur wurde.

      Seinen Vater beschrieb Hans Weigel als gütig, liebevoll. Er bemühte sich vor allem nach seiner Kriegsgefangenschaft um ihn, doch war es dann nach 1920 zu spät, eine wirklich gute Beziehung zwischen Sohn und Vater aufzubauen. In den Augen des Sohnes galt der Vater als erstaunlich gebildet und ambitioniert, aber auch schwermütig und ernst, er sprach Französisch und Englisch. Obwohl er die eigentliche Karriere seines Sohnes nach 1951 nicht mehr miterlebte, war er zeitlebens sehr stolz auf ihn.

      Mit Kriegsbeginn begann eine rege Korrespondenz der Männer an der Front mit den Daheimgebliebenen. Wenn auch nicht alle, so sind doch sehr viele Briefe erhalten, die Veronika Silberbauer in ihrer Diplomarbeit und als szenische Lesung für eine Bühne in vorbildlicher Weise aufgearbeitet hat. Der Vater an der Front hatte alle ihm zugestellten Briefe aufgehoben. Als er 1920 aus der russischen Gefangenschaft nach Hause kam, konnten sie mit seinen Briefen an seine Frau und seinen Sohn zusammengelegt werden. Sie wurden in die Emigration der Eltern nach Amerika mitgenommen und kamen nach der Rückkehr aus dem Exil wieder nach Wien zurück, weshalb sie im Zweiten Weltkrieg nicht verloren gingen und nun im Nachlass von Hans Weigel in der Wienbibliothek im Wiener Rathaus erhalten sind. Der Brief von Hans vom 21. September 1914 an den Vater ist ein kleiner, einseitig mit der Maschine beschriebener Zettel:

      Liebster Vater

      Ich hoffe es geht Dir gut. Denn mir und der Mutter geht es gut. Morgen beginnt meine Schule. Ich freue mich schon sehr darauf. Dort werde ich recht brav und fleissig sein. Damit Du und die liebe Mutter Freude hat.

      Grüsse und Küsse Hans14

      Einblick gewährt auch Hans’ kurrent geschriebener Wunsch ans Christkind, auf Kinderbriefpapier aufgezeichnet:

      Liebes Christkind

      Landkarten von jedem Kriegsschauplatz und von jedem Land. 2. 3 Geografische Spiele. 3. Der Tausendkünstler.

      4. Motorwagenbau.

      5. sämtliche botanische Geräte

      6. 100 Stück Reklame-Marken

      Unterstrichenes bei Pichler zu kaufen.

      Hans Weigel

      Viele Jahre später gab Hans Weigel eine Erklärung, warum für ihn die „Landkarten von jedem Kriegsschauplatz und von jedem Land“ an erster Stelle seiner Wünsche gestanden waren. In seiner Autobiografie hielt er zum Zeitraum ab dem frühen Winter 1914, also mit sechseinhalb Jahren und in den ersten Volksschulklassen, fest: „Ich konnte lesen, ich konnte (wenn auch nicht schön) schreiben, meine Mutter erlaubte mir, Zeitung zu lesen, ‚nur die Kriegsberichte‘, natürlich las ich die ganze Zeitung und habe auch nicht Schaden an meiner Seele genommen. – Das Kriegsgeschehen und das politische Geschehen faszinierten mich (so frühreif war ich), obwohl ich von all dem nichts verstand (so frühreif war ich wieder nicht). Ich liess mir von einem etwa zehn Jahre Älteren vieles erklären, fragte ihn aus, und als ich den Sommer in Eisenstein verbrachte (1916 oder 1917), führte ich mit ihm eine ‚politische Korrespondenz‘.“15

      Eduard Weigel war als Oberleutnant im Kronland Galizien in Przemyśl stationiert, das wegen seiner verkehrswichtigen Lage ab der Mitte des 19. Jahrhunderts zur imposanten Festung ausgebaut worden war. Am 9. November 1914 begannen die Russen, Przemyśl bereits zum zweiten Mal zu belagern. Sie erreichten ihr Ziel, die Festung auszuhungern. Als Ende Februar 1915 Conrad von Hötzendorf den Festungskommandanten davon informierte, dass keine weiteren Hilfsmaßnahmen zu erwarten seien, hatte Feldmarschall-Leutnant Hermann Kusmanek keine andere Wahl, als mit 117.000 Soldaten am 22. März 1915 zu kapitulieren. Erfasst wurden neun Generäle, 93 höhere Stabsoffiziere und 2.500 Offiziere, darunter auch Eduard Weigel, die alle in russische Gefangenschaft kamen. Seine Verwandten dürften vom Fall Przemyśls aus der Zeitung erfahren haben. Sie waren anfangs entweder im Unklaren über das Schicksal von Eduard Weigel oder sie erfuhren von seinem Überleben und seine Gefangennahme durch seinen Offiziersstatus aus der Zeitung.

      Der erste Brief von Eduard Weigel aus der Gefangenschaft an seine Frau ist, wie einige weitere auch, erhalten:

       Birsk in Russland [kleine Stadt im südlichen Uralvorland], 25. April 1915

      Meine Liebe!

      Es ist wieder ein Sonntag und der erste Sonntag in Birsk! Vier Wochen seit jenem schaurigen 22. März seit der Übergabe Przemysls, seit meiner neuen Eigenschaft als russischer Kriegsgefangener. – Und in dieser Gefangenschaft der erste Sonntag eines menschenwürdigeren Daseins. Es läßt sich kaum schildern, was diese Zeit seit Przemysl an Erlebnissen traurigsten Angedenkens enthält. […] Es ist in diesem Sinne eine Errungenschaft, daß ich mit unserem ehemaligen Regim. Adjutanten Dr. Alfred Spitzer, ein Wiener, allein in einem primitiven aber ziemlich reinlichen Häuschen wohne, und halbwegs wie ein zivilisierter Mensch leben, schlafen, mich reinhalten kann, ausgehen darf und im Rahmen dieses Städtchens von ca.12000 Bewohnern nach Art eines Pensionisten, wenn auch beobachtet, mich bewegen und benehmen kann. […] Soweit wäre nach diesen bitteren Wochen Ruhe und etwas Menschlichkeit abseits der Kriegsfurie eingezogen; […] es ist nur eine andere Form der Haft, so unendlich weit von Dir mein Alles, von meinem Kind, von Euch allen […]16

      In einem anderen Brief nimmt Eduard Weigel ebenfalls auf die Situation seiner Familie zu Hause Bezug:

       Birsk, Sonntag 2. Mai 1915

      […] Ich habe Nachricht von Dir – das trägt mich über all das hinweg! Am 29/​4 ist die Depesche von Schönfeld eingetroffen: ‚Ihre Familie wohlbehalten‘. Und ich will hoffen, daß dem auch wirklich so ist, daß Du mein Lieb, mein Hans, meine Eltern, Ihr alle, alle gesund und aufrecht seid! […] Ich möchte so gerne wissen, ob Du meinen Przemysler Brief vom 11/​II erhalten hast, worin ich Dich gebeten habe, im Sommer doch auf´s Land zu gehen, eventuell nach Eisenstein. Weder Du noch unser Kind sollen nach dieser Richtung büßen müssen – und da das Ende so ferne wie je, soll für Euren Sommer gesorgt sein nach bester Möglichkeit! […]

      Im Mai 1915 feierte Hans seinen siebten Geburtstag. Der Wunschzettel, an die Mutter adressiert, blieb erhalten und darf als nicht gerade bescheiden gewertet werden, wünschte er sich doch unter anderem einen Atlas, sechs Bücher, eine Theaterkarte und eine komplette Uniform.17 Er erhielt aber wohl nicht alles, denn seinen ersten Besuch im Theater stattete er erst nach der Rückkehr des Vaters aus der russischen Gefangenschaft ab.

      Wie der Vater in seinem Brief geraten hatte, verbrachte Hans den ersten Kriegssommer bei den Großeltern Weigl in Eisenstein (ersichtlich aus einer Feldpostkarte an den Vater vom 30. August 1915), in Karlsbad und auch in Chotieschau bei den zahlreichen Verwandten, denen er sich mit eigenen Briefchen ankündigte. Es wurde jedoch eine tragische Zeit: „Während des Sommeraufenthaltes 1915 ereilte die Familie eine schreckliche Nachricht: Onkel Hugo war gefallen. Ein großer Schock für die Familie – man trauerte sehr um den Sohn, Onkel und Bruder“, wie sich Hans Weigel erinnerte. „Doch es sollte noch schlimmer kommen: Onkel Theo wurde kurz darauf als vermisst gemeldet, er ist nie aus dem Krieg zurückgekommen.“18

      Viele Einzelheiten der ersten Kriegsjahre, die Hans aus den Zeitungsberichten aufsog, blieben ihm, wie er in seiner Autobiografie anmerkte, in Erinnerung. Jahre später setzte er sich mit der unglücklichen Rolle des letzten Habsburger-Kaisers Karl I. auseinander: „Vermutlich hätte auch ein weniger Unbedeutender, ja sogar ein Napoleon oder Bismarck, vom Dezember 1916 an die Katastrophe nicht mehr aufhalten können. Karl war

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