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– und in seinen Sympathien.

      Seine Großzügigkeit erwähnte ich schon. Ein besonderes Beispiel: Nach der Öffnung der tschechischen Grenze kam ein Strom von Tschechen mit ihren alten Autos nach Wien. Er war glücklich, weinte fast, verehrte er doch Václav Havel sehr. Es war am Donaukanal: eine Schlange dieser alten tschechischen Vehikel. Ich sollte beim Überholen langsamer fahren. Er winkte, klopfte an die Scheibe. Ein Tscheche kurbelte seine Scheibe hinunter; er nahm einen Tausender aus seiner Brieftasche und hat ihn ihm gegeben. – Ich hatte an diesem Tag Unterricht, wir hatten uns danach verabredet. Er kam und kam nicht. Spät war er dann doch da; er war auf der Kärntner Straße gewesen, hatte sich eine Frau ausgesucht, eine ärmlich aussehende Tschechin, ging mit ihr in ein Schuhgeschäft, kaufte ihr ein Paar Schuhe. Ich hoffe, sie haben ihr gepasst, denn er erzählte, dass sie sich genierte, in dem teuren Geschäft Schuhe zu probieren.

      Auch von seinem Fleiß war schon die Rede. Sein ganzes Leben hat er in seiner Schriftstellerwerkstatt gearbeitet; er zählte zu den ganz großen Handwerkern. Viel hat er geschrieben, sehr, sehr viel. Er war doch auf allen Gebieten so beschlagen, hat zu so vielem in seiner Zeit Stellung bezogen. Im Laufe der Jahre nach seinem Tod ist es still um ihn, um seine Schriften geworden. Oft habe ich mir gedacht, es könnte aus dem Werk Hans Weigels etwas entstehen. Nichts ist bisher entstanden. So hege ich bei dieser Biografie den Wunsch, dass doch noch etwas entsteht, dass einiges aus seinem vielschichtigen Werk, seinen Ideen, seinen Aussagen, seinen Bemühungen, seinen Ansichten, seinen Grundsätzen auferstehen möge.

       Maria Enzersdorf, im Mai 2015

       mit Hans Weigel

      Wie das von Elke Vujica herausgegebene Styria-Buch mit Erinnerungen an Hans Weigel, Im Dialog mit Hans Weigel, seinen Weg in unseren Bücherschrank fand, kann ich nur deshalb sagen, weil ich darin ein Glückwunschbillett zu meinem 60. Geburtstag, unterzeichnet von Hanni und Hans Hagen, fand. Seit 2004 stand es jahrelang ungelesen neben einigen Taschenbüchern von Hans Weigel, die ich schon viel früher erstanden hatte. 1998 zu Weigels 90. Geburtstag und sieben Jahre nach seinem Tod erschienen, hatte ich es damals nicht gekauft, obwohl es mich als Weigel-Anhänger interessiert hätte. Und eben dieser Hans Hagen war es, durch den ich Hans Weigel noch zu Lebzeiten kennengelernt hatte.

      Ganz im Nebel meiner Erinnerung liegen Hans Weigels Theaterkritiken im Bild-Telegraf. Im Haushalt eines Auslandsjournalisten hatten wir jeden Morgen in den Fünfziger- und Sechzigerjahren alle Wiener Zeitungen im Haus, so auch die Boulevardblätter Bild-Telegraf und Express. Als Student der Theaterwissenschaft habe ich beim Frühstück alle Feuilletonseiten der Tageszeitungen regelrecht studiert, so auch die Kulturseite des Bild-Telegraf. An Spezielles von Hans Weigel kann ich mich nicht erinnern, es ist alles schon mehr als vierzig Jahre her. Nur ganz dunkel ist in meiner Erinnerung hängen geblieben: Seine Artikel waren pointiert, oft scharf und gelegentlich sehr subjektiv, seine Glossen In den Wind gesprochen waren aktuell und trafen oft den Nagel auf den Kopf.

      Wir Theaterwissenschaftler besuchten damals alle wichtigen Wiener Generalproben und am Stehplatz die Premieren im Theater in der Josefstadt. Meine Kollegin Renate Wagner mit der hinreißenden Radiostimme wurde wenige Jahre später in Hans Weigels Bannkreis gezogen. Im Weigel-Erinnerungsbuch hält sie fest: „[…] ich schien ein Geschöpf, über das Hans Weigel gewillt war, seine schützende und auch fördernde Hand zu halten, ohne dass ich ihn je darum bitten musste. […] Dass er mich gefördert hat, fand ich deshalb so besonders ehrenvoll, weil ich schließlich nicht – wie viele andere seiner ‚Kinder‘ – eine Dichterin, sondern nur eine Journalistin war, wenn auch mit dem Anspruch, solide und dabei lesbare Sachbücher zu schreiben. Und dabei hat er mich nach Leibeskräften unterstützt. Er war, man kann’s nicht anders sagen, Mentor aus Leidenschaft.“1 Es war das Theater in der Josefstadt, in dem ich Aufführungen der geschliffenen, musikalisch klingenden Molière-Übersetzungen von Die Schule der Frauen und des Menschenfeind von Hans Weigel in deutschen Alexandrinern als Student Mitte der Sechzigerjahre zum ersten und leider einzigen Mal hörte und sah.

      Das sind die wenigen vagen Erinnerungen aus meiner Studentenzeit, in der der Weigel, geohrfeigt von der durch eine seiner Kritiken erzürnten Burgschauspielerin Käthe Dorsch – auch das war uns Studenten der hohen Kunst des Theaters natürlich bekannt –, weit entfernt und unnahbar erschien.

      Es mussten erst Jahre, nein Jahrzehnte vergehen, bis ich ihm, dem überall bekannten Hans Weigel, gegenüberstand. Ich war dem Theater abtrünnig geworden und erb- und familienbedingt in der Papierindustrie gelandet. Einer meiner Freunde, der als Leiter des niederösterreichischen Heimatwerks im Bezirk Scheibbs weithin bekannte Hans Hagen Hottenroth, war damals Direktor der Volksschule in Reinsberg bei Scheibbs und wollte in unserem niederösterreichischen Städtchen literarisch-musikalische Abende organisieren, fand aber dafür keinen passenden Saal mit Atmosphäre.

      Eines Abends, bei einem guten Glas Wein, klagte er mir sein Leid. Wir hatten in dem zu dieser Zeit uns gehörenden Schloss Neubruck mehr als einen Saal, der für derartige Veranstaltungen geeignet war, und wir wählten den ebenerdigen sogenannten Speisesaal aus. Er war wunderschön an Decke und Wänden getäfelt, mit echten, die Arbeiten in den Jahreszeiten zeigenden Kachelbildern und einem großen offenen Kamin. Mit wenigen anderen zusammen gründeten wir den vom niederösterreichischen Heimatwerk geförderten Verein Literatur am Kamin. Den Saal rüsteten wir mit viel Liebe, einem Podium, Lichtspots auf den Lesetisch mit alter Leselampe – sie steht heute noch auf meinem Wiener Schreibtisch – und zu dimmendem Saallicht aus.

      Hans Hagen Hottenroth lud 1983 Hans Weigel zu einer Lesung ein. Wir hatten schon davor eine illustre Runde von Vortragenden: Von 1980 bis 1982 versprühten unter anderem Reinhard P. Gruber, Humbert Fink, Julian Schutting, Barbara Frischmuth, Alois Brandstetter, Hans Krendlesberger und Andreas Okopenko ihren hohen Geist in unseren getäfelten Wänden. Jörg Demus hatte sein fingerfertiges Klavierspiel wiederholt bei uns unter Beweis gestellt – und nun sollte Hans Weigel, der große, alte Herr, das Literaturjahr 1983 bei uns anlässlich des Erscheinens seines neuen Buches Das Schwarze sind die Buchstaben eröffnen.

      Es war ein besonderer Abend. Als Honorar hatte Hans Weigel sich – und als Einziger unter all den Vortragenden – etwas Besonderes ausbedungen: Zu unserer Verwunderung nichts weiter als eine Schale Kaffee mit einer Buttersemmel und für die junge Dame, die ihn chauffierte, ein paar Blümchen. Dies war für unseren kleinen Verein eine besondere Großzügigkeit, hatte doch Hans Weigel ein Jahr davor für eine Lesung von der Gemeinde Neusiedl 5.000 Schilling erhalten.

      Schon eine halbe Stunde vor Lesungsbeginn brachte ihn an einem feuchten, kalten Februarabend die damals noch unbekannte Autorin Marianne Gruber in einem eher wackeligen Gefährt die über hundert Kilometer aus Maria Enzersdorf in unser Nest Neubruck. Jeder, der ihn kannte, sieht ihn vor sich: heller Rollkragenpulli mit dunkler Brille und einer zweiten auf der Stirn, die vom Zahn der Zeit und seinen vielen Auftritten abgeschabte lederne Schultasche – nicht wie sonst so oft dick gebauscht, sondern eher spärlich mit einigen losen Manuskriptseiten, zwei, drei seiner Bücher und seinen unbedingt notwendigen zusätzlichen Brillen gefüllt. Er lehnte es ab, in unserer Wohnung auf den Lesebeginn zu warten, sondern zog sich bescheiden in mein damaliges Büro zurück.

      Ich brachte ihm sein Honorar: das Schalerl Kaffee mit der Buttersemmel. Es tat beiden gut, sich bei uns erst einmal aufzuwärmen. Auch waren sie erfreut über das rege Interesse der kulturbeflissenen Scheibbser. Hans Weigel gefiel es, dass unsere Buchhändlerin Christa Radinger den Büchertisch nicht nur mit teuren Hardcoverbüchern, sondern auch vielen preiswerten Taschenbüchern bestückt hatte. In seinem Manuskript aus dem Nachlass, Über den Umgang von Autoren mit Buchhändlern und umgekehrt, äußerte sich Hans Weigel zum Büchertisch: „Da lass’ ich ihnen [den Buchhändlern] vorher sagen, sie mögen, bitte, von meinen Büchern auch preiswerte Taschenbücher anbieten. Wenn ich das nicht sagen lasse, liegen auf dem Büchertisch nur wenige oder keine preiswerten Bücher. Da ärgere

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