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halb bewusst daran beteiligt und heute hielt ich mich sozusagen gewaltsam vom Aufwachen zurück, um die Handlung noch zu einem folgerichtigen Ende zu führen. […] Immer wieder habe ich an das Leben anknüpfend, oder ganz von selbst Ideen, aber nachdem sie mich eine Zeitlang beschäftigt haben, entschwinden sie, ich vergesse sie. Nur ganz Weniges habe ich vor dem Vergessen bewahrt, weil ich mir vornahm, es wirklich auszuarbeiten, bin zwar nie über einige Seiten hinausgekommen, aber ich weiß wenigstens, was es war und komme oft in Gedanken darauf zurück.“ Dazu entwarf er das Exposé zu einer Novelle, in der ein junger Mann seiner Angebeteten Tagebuchblätter – ähnlich seinen eigenen – schickt und von ihr Tagebuchblätter, ihre abwartende Liebe gestehend, zurückerhält … Er schrieb die Novelle, schickte sie einer Redaktion, fügte aber gleich hinzu: „[…] aber da ist wohl so gut wie gar keine Aussicht.“

      Im Jahresrückblick am 31. Dezember 1925 bekannte Hans Weigel nach dem Überfliegen des bisher im Tagebuch Geschriebenen: „Ich habe es gelesen wie irgend ein besonders kitschiges Buch und muss sagen, es hat mir gefallen, wenn ich ehrlich sein soll. […] Lisl hat nicht aufgehört, der Mittelpunkt meiner Gedanken zu sein.“ Er habe nicht aufgehört, „auf bessere Zeiten zu hoffen“ und ihr ein „leicht gestimmtes Neujahrsgedicht, das unter dem Motto stand: ‚Ärger kann nichts mehr werden, höchstens besser‘“ geschickt.

      In der ersten Eintragung des Jahres 1926 hielt Weigel erkennend fest: „Ich möchte wirklich gerne Schriftsteller werden. Wenn ich auch Kaufmann werden soll, trotzdem. Ich mache ca. alle 2 – 3 Wochen dieselbe Entwicklung durch: 1) das Leben freut mich schon gar nicht mehr, 2) Selbstmord, 3) vielleicht den Selbstmord in Romanform festhalten, 4) der Roman wird nichts – abwarten! Wenn man diese Wiederkehr nicht recht deutlich festhalten kann, der Roman spielt eine große Rolle in meinem Leben. Ich sehe Menschen immer als Figuren, sehe alles auf seine Eignung festgehalten zu werden hin an. Ich möchte [mir in dem vorgestellten Roman] momentan so gerne die Leiden eines kleinen Jungen von der Seele schreiben, der vor der Matura steht, Familie hat, liebt etc. etc.; ich glaube, es müßte eine harmlose, schülerhafte aber doch ganz nette Erzählung werden …“

      Eine Antwort oder Dank erhielt er auf seinen Neujahrsbrief an Lisl nicht. Er wertete dies, nachdem er sie auf der Straße getroffen hatte, in einem drei Seiten langen Gedicht – datiert mit 13. Jänner – als Ende:

      […] Kaum redet sie und drängt alsbald zum Gehen.

      So wußte ich denn, was ich nie gewagt zu ahnen,

      Daß es vorbei, mit einemmal vorbei. […]

      Für mich gibt es nur eines jetzt: Vergessen […]

      Bei einem Kurzbesuch Mitte Februar 1926 in Gösing gegenüber dem niederösterreichischen Ötscher bei „herrlichem Wetter“ und „herrlicher Gegend“, die er voll genoss, glaubte er auf dem besten Wege zu sein, sich von „ihr innerlich loszutrennen. Vielleicht hat dazu auch mein erster Ball (am 11.) etwas beigetragen. Es ist gar nicht so unmöglich, daß ich mit der Zeit noch sogar ganz gerne tanzen werde“. Hans Weigels Stimmung hatte sich gebessert und er stellte „mit Vergnügen“ fest, dass seine „schriftstellerischen Produkte, welcher Art auch immer, nicht so schlecht sind und daß in letzter Zeit eine gesteigerte Produktivität im heiteren Genre eingetreten ist; man findet da ein Faustlibretto, Aphorismen, eine Wagnernachempfindung, ein Drama […] Vielleicht wäre das ein Weg“.

      Abgesehen von seinem pubertären Liebesbekenntnis und den ersten Schreibversuchen gewährt dieses Tagebuchfragment noch weitere Einblicke in Weigels Jugendwelt. Wiederholt äußert er sich über die Schule und die Ungeduld, diese zu verlassen, wie dies etwa auch eine Eintragung vom 15. September 1925 einmal mehr zeigt. Und am Ende seiner Eintragung vom 23. Oktober ein Stoßseufzer: „Wie froh werde ich sein, die Mittelschule, trotz allem, hinter mir zu haben!“ Auffallend ist dabei, dass er dann jedoch nichts über die Matura selbst und das Gefühl der Erlösung danach berichtete.

      Wesentlich interessanter sind Weigels Anmerkungen über seine anderen Aktivitäten. Er besuchte sehr häufig Theater, Oper, Vorträge und vor allem Konzerte, denn Musik war für ihn einerseits „die einzige Flucht und Rettung“, andererseits „ein Laster, wie Nikotin, ich kann ohne sie nicht sein, habe den Drang […] möglichst viel zu ‚konsumieren‘“. War seine Stimmung auch noch so schlecht, die Musik befreite ihn. Und wie auch in späteren Jahren war Franz Schubert „Regent auf allen Linien“. Seine Lieder spielte er auf der Flöte gelegentlich ganze Nachmittage und er war „immer auf ’s neue begeistert“. Das Gesehene und Gehörte beurteilte er in Stichworten, wobei schon seine kritische Vorliebe zum Vorschein kommt: „[…] das Stück [Pygmalion von George Bernard Shaw] als ganzes geschickt gemacht, aber ziemlich unbedeutend, einzelnes, wie immer bei Shaw hervorragend, Aufführung recht gut. Gestern Meistersinger Volksoper […] Die Oper hat nicht den erwarteten ganz großen Eindruck auf mich gemacht, einzelnes sehr schön, aber als Ganzes, als Eindruck kein Vergleich mit Tristan oder dem Ring.“ Nach solchen Worten nimmt es auch nicht wunder, dass Weigel seine Musikbegeisterung am 4. Oktober 1925 in Verse fasste:

      O meine Liebe und meine Flöte,

      Was tät ich, wenn ich Euch nicht hätte?

      Dann gäbe es nichts auf der ganzen Welt,

      Was mich bewegt, was mir gefällt

      Und nicht vermöchte mir zu wehren,

      Der bösen Welt den Rücken zu kehren.

      Drum seid bedankt ihr lieben beiden,

      Ihr meine einzigen irdischen Freuden,

      Ich weiß nicht, was ich ohne euch täte,

      Ohne die Liebe und ohne die Flöte.

      Begeistert fügte er am Abend desselben Tages hinzu: „Es gibt doch noch etwas Schönes auf der Welt, z. B. den heutigen Nachmittag: zuerst musiziert […], dann improvisiert, etc., dazwischen unterhalten (auch das Blödeln hat oft etwas Befreiendes).“ Weigel sollte auch später als Erwachsener bekannt für sein „geistreiches“ Blödeln sein, das in dem schmalen Bändchen Blödeln für Anfänger (1963 bei Diogenes erschienen) mit Zeichnungen von Paul Flora seinen Höhepunkt fand. Für Weigel war Blödeln „höherer Blödsinn: Blödsinn, welcher im Idealfall derart erhöht wird, dass er nicht mehr blöd und nur noch Sinn ist – Unsinn zum Zweck der Überwindung des Unsinns“, wie er am Buchrücken vermerken ließ.22

      Im Tagebuchfragment folgten darauf nur mehr zwei unbedeutende Eintragungen. Es endete am 14. Mai 1928 mit der relativierenden Selbsterkenntnis: „Ich finde ja, damals ein recht dummer Junge gewesen zu sein, mit unwirklichen Vorstellungen romanhafter Art von ihr.“ Über seine Matura, seine Aufenthalte in Hamburg und Berlin schrieb er nichts mehr, er ließ aber in seine späteren Schriften mehrfach Erinnerungen an diese Schulzeiten bis zur Matura einfließen.

      In den Osterferien 1926 besuchte Hans Weigel zusammen mit einem gleichaltrigen Freund mit großem Interesse die Museen, Konzertsäle und Theater von München. Für ihn war es die erste fremde Großstadt, die ihm sehr gut gefiel. „Vielleicht“, so meinte er in Das Land der Deutschen mit der Seele suchend, „imponierte mir die Regelmäßigkeit, die Übersichtlichkeit der breiten Straßen und Plätze. Das Deutsche sprach mich an. […] Ich war ein Freund des Deutschen und der Deutschen geworden. Und das mag damit zusammenhängen, dass mir Deutschland nicht nur sauberer schien, sondern daß mir auch das Deutsch der Deutschen sauberer schien, als das, was rund um mich gesprochen wurde.“23

      Das Hauptereignis dieses Jahres war jedoch die Matura: Es war damals am Beethoven-Gymnasium obligatorisch, die schriftliche Reifeprüfung in den Fächern Latein, Griechisch, Deutsch und Mathematik abzulegen und eine „Matura-Arbeit“ zu verfassen, vergleichbar einer Seminararbeit. Zur mündlichen Prüfung musste ein Gegenstand der vier schriftlichen und ein frei ausgesuchtes Fach gewählt werden. Weigel entschied sich für Geografie und Deutsch. Das Thema der Arbeit lautete: „Die Alpenbahnen Österreichs.“ Dafür recherchierte er in Archiven, auch im damaligen Eisenbahnministerium. Diese Arbeit machte ihm Spaß, umso größer war seine Enttäuschung, darauf nur ein „Gut“ erhalten zu haben, weil er die 28 Kilometer lange Strecke von Friedberg nach Hartberg nicht erwähnt hatte. Diese – ihm bestens bekannt – hatte für ihn im engeren Sinn nicht zu den

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