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zwischen Bundesheer und Heimwehr auf der einen und dem zuvor schon verbotenen Republikanischen Schutzbund auf der anderen Seite für sich und gegen die Demokratie entscheiden konnte. Dabei waren auf beiden Seiten 375 Tote zu beklagen – die Hälfte davon waren unbeteiligte Zivilisten. Es traf, wen es eben traf: Rentner, Spaziergänger, Bundesbahnwitwen, junge Mütter, selbst Kinder und Familienväter auf dem Weg zur Arbeit. Darüber hinaus gab es über tausend Verwundete. Der Heimwehrführer und Innenminister Emil Fey ließ mit besonderer Härte gegen die Sozialdemokraten vorgehen, die am 14. Februar die Waffen streckten.

      In den schrecklichen Wochen und Monaten des Jahres 1934 hielt sich Hans Weigel in Wien auf. Zusammen mit Jura Soyfer verfasste er für eine Veranstaltung am Faschingssonntag in einem Arbeiterheim eine Conférence, in deren Mittelpunkt sie den Soldaten Schwejk auftreten und sagen ließen: „Dass der nächste Krieg kommen wird, ist klar. Aber vor Mittwoch kommt er nicht. Weil bis dahin ist der Fasching.“ In seiner Autobiografie fügte Weigel später hinzu: „Wir waren zu optimistisch gewesen. Denn er kam schon am Faschingsdienstag, dem zwölften Februar. […] Ich war zweierlei nie in meinem Leben: Soldat und Parteimitglied … nur letzteres mit voller Absicht. [Am Beginn seiner Schweizer Emigration sollte sich Weigel für den Eintritt in die französische Armee bewerben, sein Ansinnen wurde abgelehnt.] Aber ich sympathisierte mit allen, die nicht ‚bürgerlich‘, reaktionär, faschistisch oder nationalsozialistisch waren.“12

      Weigel stellte in diesen Tagen die Wohnung seiner in Prag weilenden Eltern allen zur Verfügung, die sich auf Freunde von links beriefen. „Zunächst brachte Jura seine Freunde, ‚Februar-Kämpfer‘, Mitglieder des sozialdemokratischen Schutzbundes, die untergetaucht waren und möglichst bald außer Landes geschafft wurden. Einige übernachteten bei mir in der Margaretenstraße. Dann wurde Material in meinem Zimmer deponiert, Broschüren, eine Vervielfältigungsmaschine. Auch fanden bei mir immer wieder Besprechungen statt. Ich war nicht aktiv an all dem beteiligt – ich stellte nur meine Wohnung jedem, der darum bat, zur Verfügung.“13

      Unter jenen, die sich bei ihm trafen, war auch Christian Broda. In seiner Radiosendung der Achtzigerjahre, Plauderei um drei, erzählte Weigel später, dass dieser unter dem Decknamen „Morgenstern“ jeweils vorab angerufen hatte, um zu erfragen, ob die Luft auch rein sei und er mit seinen Gesinnungsgenossen kommen könne. Broda wurde in der Zweiten Republik Rechtsanwalt, später Justizminister, der Weigel nicht nur als Freund, sondern auch als Rechtsbeistand bei diversen Verfahren beistehen sollte.

      In seiner Autobiografie fasste Weigel im Rückblick die Ereignisse der 1930er-Jahre zusammen: „Von den vielen Tragödien, die meine Erinnerung gerade aus jenen Jahren belasten, ist diese eine der schauerlichsten: Märtyrer der Demokratie, die aus der Hölle zu fliehen meinten und in die tiefere Hölle stürzten.“14 Für ihn hatte Dollfuß die Demokratie mutwillig zerstört, Hitler dagegen böswillig, und die Zeit in Österreich nach dem 12. Februar 1934 nannte er „die schlampigste Diktatur der Welt“.15

      Bei den Kabaretts war Hans Weigel vom „,Augustin‘ in die ‚Stachelbeere‘ gekommen, schon vor ihrem Untergang in die ‚Literatur‘“; „ich arbeitete für das ABC und eine ephemäre ‚Kleinkunst im Kasino‘ (KIK), eine ‚Seeschlange‘, die nur drei Tage spielte, weil am vierten der 12. Februar 1934 war“.16

      Es war wohl in der Literatur am Naschmarkt, dass Hans Weigel Gertrude Ramlo (eigentlich Gertrud Marianne Friederika Kugel, am 4. April 1913 geboren und Udi genannt) kennenlernte. Sie hatte von 1929 bis 1932 das Wiener Max Reinhardt Seminar besucht, am Salzburger Landestheater debütiert und eine Anstellung am Stadttheater Nürnberg erhalten, wo ihr, der Halbjüdin, nach zwei Monaten gekündigt wurde, weshalb sie ins elsässische Straßburg ging. 1935 kehrte sie in ihre Geburtsstadt Wien zurück und trat in der Literatur am Naschmarkt, aber auch im Theater in der Josefstadt und im Volkstheater auf. 1936 gastierte sie in Leopold Steckels Inszenierung von Dodie Smiths Der erste Frühlingstag als Ann am Schauspielhaus Zürich. Für die Saison 1936/​37 erhielt sie dort ein Jahresengagement. Unter anderem spielte sie in Leopold Lindtbergs Inszenierungen das Klärchen in Goethes Egmont, die Berta in Schillers Die Verschwörung des Fiesco zu Genua und wirkte in Steckels Uraufführungsinszenierung von Blaubart von Albert Jakob Welti mit. Da ihr Vertrag in Zürich nicht verlängert wurde, sie auch keine weitere Schweizer Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung erhielt, kehrte sie nach Wien zurück, wo sie am 8. Oktober 1937 Hans Weigel im Wiener Rathaus heiraten sollte. Trauzeugen waren der Schriftsteller Wolf Menasse und der Musiker Erich Simon.

      Ein Telefonanruf im Frühherbst 1934 des ihm nur flüchtig bekannten Hans Ewald Heller hatte Hans Weigels Tätigkeiten auf eine zweite Schiene gesetzt: Er sollte Kontakt mit dem Theater in der Josefstadt aufnehmen, wo Otto Preminger mit Oskar Karlweis als Weinberl Johann Nestroys Einen Jux will er sich machen inszenierte. Dafür wurden Zusatzstrophen benötigt. In der Josefstadt erhielt er den Auftrag für Couplets. Darunter war auch jenes berühmte aus den Papieren des Teufels: „Das ist wohl nur Chimäre, aber mich unterhalt’s“, jedoch abgeändert in: „Es ist ja nicht wahr, aber mich unterhalt’s.“ Weigel schrieb zu allen einige Strophen, aber nur eine wurde für den Stückschluss genommen, die Karlweis sang. Da es das erste von unzähligen Nestroy-Couplets war, die er bis ins hohe Alter für viele Theater im deutschsprachigen Raum schreiben sollte, sei es hier, soweit Weigel sich erinnern konnte, wiedergegeben (das einsilbige Wort der zweiten Zeile ließ sich nicht mehr rekonstruieren):

      Wir zeigten euch heut im Verlauf unsres Stücks

      Weder […] noch Dressur, noch artistische Tricks,

      Es ist nur eine Posse und gar nicht von heut,

      Nicht einmal ein Bearbeiter hat sie erneut;

      Doch wir hoffen trotzdem, daß wir heute Nacht

      Nicht nur uns, nein auch euch einen Jux haben gemacht,

      Und ihr sagt beim Heimgehn: Es war zwar was Alt’s,

      Schon lang nimmer wahr, aber uns unterhalt’s.

      [Auch merkte er an,] dass kein Bearbeiter das Stück erneuert hatte, war gelogen.17

      Die Premiere mit Oskar Karlweis als Weinberl, Friedl Czepa als Christopherl und Hans Moser als Hausknecht Melchior fand am 16. Oktober 1934 als Festvorstellung statt. Damit war zum ersten Mal in einem großen Theater ein Text von Hans Weigel zu hören, der unter Nestroys Stern stand – ein Stern, der ihm stets sehr lieb war und dem er sein Leben lang treu bleiben sollte.

      Im Frühjahr 1935 bestellte das Raimund Theater bei Rudolf Weys und Hans Weigel eine literarische Revue, die sie Kehret zurück – alles verziehen nannten. Die beiden Autoren griffen auf bewährte Nummern der „Literatur am Naschmarkt“ zurück, die zusammen mit neu erarbeiteten eine bunte Folge ergaben. Premiere war am Samstag, den 1. Juni 1935, die am selben Tag in der Neuen Freien Presse angekündigt wurde: „Ein heiterer Wiener Bilderbogen mit einer Handlung, zwei Teilen, sechs Hauptgestalten und 24 Bildern, dem Raimund-Theater auf den Leib geschrieben von Hans Weigel und Rudolf Weys. Unter Musik gesetzt von Walter Drix und Hans Horwitz.“ Die Besprechung in der Neuen Freien Presse vom 4. Juni 1935 zeigte dann sehr treffend die Umstände der Kleinkunst auf: „Es gibt jetzt in Wien eine Menge junger Talente fürs Kabarett, für Spotteinfälle, karikierte Dramatik, verschleiertes Bonmot. Die Verfasser, Schauspieler, Regisseure und auch Komponisten, alles en miniature, sind so zahlreich, daß sie auf den vielen und immer mehr werdenden kleinen Podien nicht unterkommen können. […] Daher das Experiment im Raimund-Theater, das fürs erste geglückt ist und von einem starken äußeren Erfolg begleitet schien.

      Hans Weigel und Rudolf Ernst Weys haben aus alten Stücken, die früher schon auf dieser Bühne zu sehen waren, sehr geschickt ihren Bilderbogen zusammengestellt, mit Figuren von Raimund, dem braven Schwejk, Mackie Messer usw. Es war alles lose und fast improvisiert, mit kleinen, guten Einfällen verbunden. Es wurden lustige Anspielungen gemacht, wirksame aktuelle Scherze gebracht, Parodien und Verulkungen, wozu auch schmissige Musik von Walter Drix und Hans Horwitz eingesetzt wurde. […] Einige ganz vorzügliche Leistungen wurden mit stürmischer Heiterkeit bedacht […] Der Fall war neu und darum besonders reizvoll und der laute Beifall am ersten Abend gab den Veranstaltern recht.“

      Auch in der jüdischen Wochenschrift

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