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sahen sich an. Ihre Augen glitzerten in dem schwachen Widerschein des Wassers. Sie ahnten, daß die Besatzung dieses Schiffes schlimme Stunden hinter sich hatte. Sie wußten nur zu gut, wie es war, wenn man mehr tot als lebendig irgendwo unter Deck zu Boden sank und sofort schlief, ganz gleich, wo man gerade lag.

      Fast zuckte in Ferris Tucker so etwas wie Bedauern hoch, wenn er daran dachte, was diese Männer erwartete. Aber dann schüttelte er unwillig den Kopf.

      Sie oder wir, dachte er und schob das Floß mit energischen Schwimmstößen voran.

      Sie erreichten das Heck der Karavelle ohne den geringsten Zwischenfall, als der Seewolf plötzlich stutzte. Er hob die Hand, gleichzeitig flüsterte er: „Stopp!“

      Die Männer und Dan verharrten augenblicklich. Und dann sahen sie es auch. Durch den Nebel, gerade noch erkennbar für ihre scharfen Augen, schimmerte gebliches Licht zu ihnen herunter. Es mußte sich um die Fenster der Kapitänskammer im Achterkastell der Karavelle handeln.

      „Er ist noch wach“, flüsterte Hasard. Gleichzeitig überlegte er. Und dann hatte er auch schon seinen Entschluß gefaßt.

      „Wir bringen das eine Faß am Ruder an. Aber seid vorsichtig, das geringste Geräusch jagt uns die ganze Bande sofort auf den Hals. Dann enter ich auf und hieve das zweite Faß auf die Galerie. Schöpft der Kapitän Verdacht, wird er nachschauen. Tut er es nicht, nehme ich ihn mir vor.“

      Er wandte sich an Dan.

      „Du tauchst jetzt zum Ruder der Karavelle. Nimm einige der Leinen und bereite dort alles vor, so daß wir das Faß samt Lunte sofort anbringen können. Aber keine Extratouren, Dan“, fügte er warnend hinzu. Und er nahm sich vor, dem unternehmungslustigen Bürschchen sofort zu folgen. „Ihr anderen schiebt euch mit dem Floß langsam heran. Dicht unter dem Heck der Karavelle bleibt ihr liegen, bis Dan fertig ist und euch ein Zeichen gibt. Dann an das Ruder mit dem Faß und bereitet alles zur Zündung vor. Aber paßt auf, daß man euch nicht von Bord der Karavelle aus bemerkt.“

      Dan hatte sich ein paar der Leinen gegriffen und versank gleich darauf vor ihren Augen lautlos im Wasser.

      Hasard blickte unterdessen zu den gelblich schimmernden Flecken der Fenster des Achterkastells hinauf. Und in diesem Moment änderte er seinen Plan.

      „Ich gehe an Bord“, flüsterte er. „Ich schleiche mich ans Achterkastell heran und sehe nach, was dort los ist. Ihr haltet das zweite Faß bereit, denn ich fürchte, es wird alles verdammt schnell gehen müssen. Zündet aber erst, wenn ich es euch sage!“

      Hasard schwamm in dem ihm eigenen Stil zur „Minouche“ hinüber. Er hielt jedoch nicht auf das Heck zu, sondern auf das tiefer gelegene Schanzkleid des Hauptdecks an der Backbordseite der Karavelle. Innerhalb weniger Minuten hatte er das Schiff erreicht, und seine Hände tasteten die Bordwand ab. Dann hatte er gefunden, wonach er suchte. Ein dickes Tau hing über die Bordwand und verschwand neben ihm im Wasser der Bucht.

      Hasard probierte vorsichtig, indem er an dem Tau zog. Es hielt. Hasard packte zu. Geschmeidig zog er seinen Körper hoch und erreichte innerhalb von Sekunden das Schanzkleid. Hier verhielt er einen Moment lauschend.

      Von irgendwo drang Schnarchen an seine Ohren. Es mußte von unten aus dem Schiff kommen.

      Hasard zog sich aufs Schanzkleid und ließ sich an Deck der Karavelle gleiten. Zwischen den Zähnen hielt er ein Entermesser. Als er an Deck der Karavelle stand, nahm er es in die Rechte. Dann huschte er auf das Quarterdeck zu und zum Achterkastell hinüber.

      Vor dem Achterkastell blieb er abermals lauschend stehen. Im Schiff rührte sich nichts. Alles schien hier in tiefem Schlaf zu liegen.

      Alles?

      Er huschte die Stufen zum Achterkastell hinauf. Das schwache Licht der Bordlaternen beleuchtete seinen nackten Körper sekundenlang.

      Es war zwar ungewöhnlich, daß Karavellen eine Heckgalerie hatten, aber dieses Schiff hatte eine, das erkannte Hasard sofort. Ob sie nachträglich angebaut worden war oder nicht – er wußte es nicht, und es war ihm auch gleichgültig. Viel wichtiger war für ihn, daß er jetzt nicht lange nach dem Zugang zur Kapitänskammer zu suchen brauchte, daß er keine Tür öffnen mußte, die vielleicht laut in ihren Angeln knarrte. Von der schmalen Heckgalerie aus mußte es auf jeden Fall einen Zugang geben.

      Hasard bewegte sich nur noch langsam vorwärts. Dann blieb er abermals lauschend stehen, denn er hatte Schritte gehört. Die Schritte eines Mannes, der in seiner Kammer hin und her ging.

      Hasard glitt lautlos weiter. Ein Blick zeigte ihm, daß es nicht schwer war, auf die Heckgalerie zu gelangen. Er trat an die Reling des Achterkastells, lief ein Stück an ihr entlang und ließ sich dann auf ihrer Außenseite nach unten gleiten. Sein fettiger, glatter Körper rutschte lautlos am Holz entlang, das Entermesser hielt er wieder zwischen den Zähnen.

      Er erreichte die Galerie, indem er sich den letzten halben Yard einfach fallen ließ. Mit federnden Knien fing er den Sprung ab. Lediglich ein dumpfes Geräusch wurde hörbar.

      Hasard spähte über die Reling. Seine scharfen Augen erblickten das Floß mit den Pulverfässern, die beiden Männer, die es heranschoben. Von Dan sah er nichts, aber er wußte, daß der Junge seine Aufgabe gut erledigen würde.

      Hasard trat an eins der Fenster und wollte in die Kabine spähen. Er fuhr zurück, und sein Entermesser flog in seine Rechte. Er hatte gerade noch gesehen, wie der Kapitän der Karavelle die Tür zur Heckgalerie öffnete – und schon vernahm er das Geräusch sich drehender Angeln.

      Hasard verschwand und preßte sich an die Außenwand des Achterkastells. Dann trat der Kapitän der Karavelle aus der Tür auf die Galerie hinaus. Er hörte ihn etwas murmeln, verstand ihn aber nicht. Er hörte sein gequältes Lachen und beobachtete, wie er sich über die Reling der Galerie beugen wollte.

      Hasard schnellte sich auf den Hai zu. Er registrierte noch, wie höllisch schnell dieser Mann reagierte, nach seinem Entermesser griff und ihm die Linke entgegenrammte.

      Dann war Hasard heran. Die Faust seines Gegners glitt an seinem fettigen Körper ab, die Rechte Hasards mit dem Entermesser stieß vor – aber sein Gegner hatte die Gefahr erkannt und wich blitzschnell zurück.

      Hasard wußte, daß es jetzt nur noch um Bruchteile von Sekunden ging, bis dieser Mann das ganze Schiff alarmierte.

      Mit einem Riesensatz flog er heran. Seine Linke schlug dem Hai das hochgerissene Entermesser zur Seite, dann prallte er auf seinen Gegner. Der Anprall war so heftig, daß er den Hai durch die offene Tür in seine Kammer katapultierte und selbst ebenfalls hinterherflog.

      Hasard kam mit einer Rolle wieder auf die Füße. Er sah, wie sein Gegner den Mund aufriß zu einem Schrei, wie er ihn, einen nackten schwarzhaarigen Teufel, aus weit aufgerissenen Augen anstarrte – dann war Hasard heran und stieß zu.

      Die Klinge seines Entermessers bohrte sich dem Hai in die Brust, er fiel zurück, riß den Mund auf – und ein Blutstrom quoll zwischen seinen Lippen hervor.

      „Der Rächer – die Toten auf dem Wrack – die Zigeunerin, sie hatte recht ...“ röchelte der Hai, und Todesfurcht schüttelte ihn. Das Entermesser, das seine Rechte noch umschlossen gehalten hatte, rutschte aus seiner erschlaffenden Hand, seine Augen brachen.

      Sein massiger Körper zuckte noch ein paarmal, dann lag er plötzlich still.

      Hasard beugte sich zu ihm hinunter. Er fühlte Bedauern. Sein Messer hatte den fremden Kapitän zu gut getroffen. Aber er hatte keine andere Möglichkeit gehabt.

      Er zog die lange Klinge aus der Brust des Toten und lief auf die Galerie hinaus.

      Er beugte sich über die Reling, lauschte. Im Schiff blieb alles still, nur das Schnarchen einiger Männer drang zu ihm herauf.

      „Schnell, das Faß!“ rief er leise und fing gleich darauf eine ihm zugeworfene Leine auf. Er spürte, wie sie sich straff zog, dann holte er das Pulverfaß Hand über Hand hoch.

      „Ich hab’s!“ rief er leise hinunter. „Wie weit seid ihr?“

      „Fertig“,

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