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das Floß vor sich herschiebend, los. Schon nach wenigen Yards hatten der Nebel und die Dunkelheit sie verschluckt.

      Die Karavelle „Minouche“ lag im dichten Nebel der Bucht. An Deck des Schiffes konnte man nicht von einem Mast zum anderen sehen. Weißgraue Schwaden trieben träge durch das Licht der wenigen Deckslaternen, die an Bord der „Minouche“ brannten. Die Männer der Besatzung lagen total erschöpft unter Deck. Sie alle hatten schlimme Stunden hinter sich. Um die angeschossene Karavelle ihres Verbandes zu retten, hatten sie pausenlos an den Pumpen des Schiffes gestanden, während die Feldschere versuchten, die stöhnenden und fluchenden Verwundeten dieses Kampfes zu versorgen.

      Erst nach und nach war es gelungen, den Rumpf der Karavelle, die von der „Isabella“ aus allernächster Nähe eine volle Breitseite der Backbordkanonen hatte einstecken müssen, soweit abzudichten, daß sie schwimmfähig blieb. Und dann hatte die schwere Arbeit im Rigg begonnen. Großmast und Besan waren von den Kanonenkugeln der „Isabella“ zerschlagen worden. Sie mußten gekappt werden. Der Fockmast stand noch, aber Segel und Tauwerk waren den Brandpfeilen Batutis zum Opfer gefallen. Außerdem loderten trotz der Löscharbeiten im Rumpf immer wieder Brände auf, dichter, schwarzer Qualm wölkte durch die Decks und erschwerte alle Arbeiten.

      Dann kamen die Überlebenden der gesunkenen Karavelle, die sich auf das nächstgelegene Schiff zu retten trachteten. Es hatte an Bord der drei Karavellen, die diesen erbarmungslosen Kampf überstanden hatten, entsetzliche Szenen gegeben. Diejenigen, die die Feldschere nicht zu behandeln vermochten, warf man über Bord. Capitain La Roche, den seine Leute wegen seiner Grausamkeit und seiner Gier nach Beute fast nur den „Hai“ nannten, hatte an Bord der Schiffe gewütet wie ein Wahnsinniger. Er schob den Kapitänen der beiden Karavellen, die die „Isabella“ angegriffen hatten, die Schuld der Niederlage zu. Es hatte Streit gegeben, und der Hai hatte den Kapitän der zusammengeschossenen Karavelle im Duell getötet. Erst als die Männer an Bord der Schiffe zu murren begannen, als sich die Besatzungen der beiden Schiffe zusammenrotteten, die der Seewolf so vernichtend geschlagen hatte, gab der Hai Ruhe.

      Anschließend hatten sie beschlossen, ihren früheren Schlupfwinkel, die Bucht der Ile de Sein, anzulaufen und dort die beschädigte Karavelle wenigstens so weit wieder zu reparieren, daß sie die Reise zu ihrem derzeitigen Seeräubernest wagen konnten. Denn La Roche konnte es sich nicht leisten, auch noch das dritte Schiff seines Verbandes zu verlieren. Wenn sie auch weiterhin gute Beute erwerben wollten, mußten sie wie bisher zusammen ihre meist größeren und oft auch stärkeren Gegner stellen und angreifen. Mochten die anderen den Hai hassen und auch fürchten – sie erkannten seine Führerqualitäten dennoch an und ordneten sich ihm deshalb unter.

      Capitain La Roche wußte, wie erschöpft seine Männer waren. Aber er selbst schloß kein Auge. Unruhig wälzte er sich auf seinem Lager hin und her. Immer wieder zuckten die Szenen dieses entsetzlichen Kampfes durch seine Erinnerung, und sie peinigten ihn. In ohnmächtiger Wut ballte er die Hände und preßte sie gegen die Stirn. Was war das nur für ein Mann, der so mit zwei kriegsstarken Karavellen umsprang, die ihn schon in der Zange hatten? Was für eine Besatzung mußte diese verdammte Galeone an Bord haben, die so zu kämpfen verstand?

      La Roche hatte dergleichen in seinem langen Seefahrerleben noch nie gesehen. Er konnte einfach nicht begreifen, daß die Galeone es geschafft hatte, seinen vier Karavellen abermals zu entwischen, nachdem sie vorher ohnehin schon schon eins seiner Schiffe vernichtet hatte.

      Der Hai sprang auf. Die Bilanz war und blieb vernichtend. Er hatte zwei seiner kostbaren Schiffe verloren. Das dritte war zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch nicht mehr viel wert, und es blieb fraglich, ob die schweren Schäden, die besonders der Rumpf dieses Schiffes durch die Breitseite aus allernächster Nähe erlitten hatte, wirklich wieder ausgebessert werden konnten.

      Unruhig lief der Hai in seiner Kammer im Achterkastell der „Minouche“ hin und her. Und jetzt noch dieser Nebel, kaum Wind. Die beiden anderen Schiffe würden noch Stunden benötigen, bis sie diese Bucht erreichten. Es würde eine ganze Weile dauern, ehe sie die anfallenden Reparaturen durchgeführt hatten und wieder auslaufen konnten. Er wollte in dieser Bucht nicht länger bleiben als unbedingt nötig, denn der Hai war bei aller Brutalität ein abergläubischer Mann.

      Er trat an eines der Fenster seiner Kammer und starrte in die Richtung, wo das Wrack der einst von ihm geenterten Galeone lag. Und wieder hörte er die Schreie und Flüche der Sterbenden, das Röcheln derjenigen, die seine Leute auf seinen Befehl hin an den Rahen aufgeknüpft hatten. Und er dachte an jenen Abend in einem kleinen bretonischen Hafen, an dem ihm eine Zigeunerin die Handlinien gelesen hatte. Wieder sah er, wie sie plötzlich zurückzuckte, wie sie ihn aus ihren kohlschwarzen Augen anstarrte.

      Er hatte sie – betrunken wie er war – angeschrien, zu reden. Und als sie nicht wollte, hatte er sie bei ihren langen schwarzen Haaren gepackt und das Entermesser aus dem Gürtel gerissen.

      „Rede!“ hatte er gesagt und ihr die scharfe Klinge an den Hals gesetzt.

      Die Zigeunerin hatte ihn angestarrt, Angst und Schrecken in den Augen.

      „Du hast gemordet, Hai“, hatte sie dann gesagt. „Die Geister der Ermordeten jagen dich. Sie werden dich an die Stätte ihres Todes zurückholen, und dort wird ihr Rächer auf dich warten. Hüte dich vor der kleinen Insel und ihrer Bucht, in der du das Blut von Männern und Frauen vergossen hast ...“

      Den Hai hatte die Wut gepackt, er hatte ausgeholt und mit seinem Entermesser zugestoßen. Doch die Zigeunerin war schneller gewesen, hatte sich zur Seite gedreht und sich aus seinen Armen gewunden, bevor der Hai zum tödlichen Stoß ansetzen konnte. Sein Entermesser schlitzte ihr nur noch die rechte Seite auf. Er sah, wie dunkles Blut ihr Kleid verfärbte, und er hörte, wie sie ihn verfluchte.

      „Du wirst sterben, Hai, dort, in jener Bucht ...“

      Das waren die letzten Worte gewesen, die er von jener Zigeunerin gehört hatte. Er hatte sie nie wiedergesehen.

      Das alles war lange her – und dennoch trieb es ihm immer noch den Schweiß auf die Stirn. Er hatte es stets vermieden, die Ile de Sein anzulaufen, und diesen Schlupfwinkel gegen den Protest der anderen aufgegeben. Aber jetzt war er hier. Genau, wie die Zigeunerin es ihm vorausgesagt hatte.

      Der Hai fuhr sich über die Stirn. Dann stieß er die Tür zur Galerie des Achterkastells auf. Er brauchte Luft, er mußte diese verfluchten Gedanken aus seinem Gehirn vertreiben. Er krampfte seine Hände um die Reling und stieß ein gequältes Lachen aus.

      „Sterben“, murmelte er. „Ich sterbe noch lange nicht. Der Teufel holt seinesgleichen nicht zu sich in die Hölle ...“

      Er sah die große Gestalt, die plötzlich von der anderen Seite der Galerie auf ihn zuschnellte.

      Seine Rechte fuhr zur Hüfte, gleichzeitig warf er sich zurück, riß sein breites Entermesser heraus und stieß seine Linke dem Gegner entgegen. Er spürte, wie seine Faust wirkungslos auf einer fettigen, aalglatten Haut abglitt ...

      4.

      Der Seewolf und seine Männer hatten Glück gehabt. Fast auf Anhieb fanden sie die feindliche Karavelle, die nur etwa dreihundert Yards von der „Isabella“ entfernt Anker geworfen hatte. Hasard hatte sich also nicht verschätzt.

      Als das Schiff plötzlich vor ihnen aus dem Nebel aufwuchs, blieben sie wie auf Kommando reglos im Wasser liegen. Hasard hörte den Jungen neben sich voller Erregung atmen, und abermals legte er ihm warnend seine Hand auf die Lippen.

      Hasard wußte nicht, ob die bretonischen Freibeuter Wachen aufgestellt hatten, aber er vermutete es.

      Eine Weile blieben sie still liegen und horchten angespannt zu der „Minouche“ hinüber. Aber dort drüben regte sich nichts. Manchmal vernahmen sie das Glucksen des Wassers am Rumpf des Schiffes. Hin und wieder sprang irgendwo ein Fisch hoch und fiel klatschend ins Wasser zurück.

      „Zum Heck“, flüsterte Hasard schließlich und begann wieder, das Floß, auf dem die beiden Pulverfässer standen, voranzutreiben. Die anderen folgten seinem Beispiel. Niemand verursachte auch nur das geringste Geräusch. Sie bewegten sich alle

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