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      „Wenn der Wind so bleibt, sind wir in zweieinhalb Tagen zu Hause“, sagte Ben Brighton. „Ich bin froh, wenn ich diese verdammte Prise endlich in Plymouth habe.“

      „Was soll uns jetzt noch passieren?“ fragte Hasard grinsend und wollte sich abwenden, um zu seiner Kammer zu gehen.

      Der helle Schrei, der durch die Planken des Mitteldecks gedämpft wurde, ließ sie alle zusammenzucken. Es war die Stimme des Kutschers, aus der die Panik herauszuhören war.

      Und was er schrie, das ließ Hasard die Haare zu Berge stehen.

      Ein Leck unter der Wasserlinie, das war das letzte, was sie jetzt gebrauchen konnten!

      Hasard dachte an den dumpfen Schlag, der die „Isabella“ erschüttert hatte, kurz bevor eine andere Kugel die Besantoppstenge heruntergeholt hatte. Verdammt, sie hatten alle geschlafen. Sie hatten den Sieg schon vor den Augen gesehen, und jetzt mußten sie sich vielleicht freiwillig dem Feind ergeben, wenn sie ihr Leben nicht verlieren wollten

      11.

      Ferris Tucker hatte das Loch in der Bordwand nur notdürftig stopfen können. Keuchend waren die Männer dabei, das Meerwasser außenbords zu pumpen. Die Ratten huschten über sämtliche Decks. Sie hatten die Bilge, die völlig überflutet war, verlassen und mußten sich einen neuen Platz suchen.

      Hasard schlug seine Faust krachend gegen einen Querbalken des Zwischendecks. Er konnte es einfach nicht fassen, daß das Glück sie im letzten Moment noch im Stich gelassen hatte.

      Es war nicht das Leck allein. Ferris Tucker war ein ausgezeichneter Zimmermann, und es bedeutete für ihn keine unüberwindliche Schwierigkeit, das Leck ganz abzudichten. Etwas anderes, viel Eklatanteres war hinzugekommen: das eingedrungene Meerwasser hatte den gesamten Trinkwasservorrat verdorben.

      Vom Proviant hatte der Kutscher genügend retten können, aber das war gar nicht so wichtig. Ohne Essen konnten die Männer zur Not vierzehn Tage aushalten.

      Mit dem Wasser war es etwas anderes. Wenn der Wind die Richtung beibehielt und in den nächsten Tagen in der gleichen Stärke blies wie jetzt, könnten sie es in gut zwei Tagen bis Plymouth schaffen. Aber es durfte nicht das geringste dazwischenkommen, dann waren sie alle geliefert. Sie wären wahrhaftig nicht das erste Schiff, das ein Sturm weit in den Atlantik hinaustrieb.

      Ferris Tucker zuckte mit den Schultern. Damit wollte er sagen, daß die Entscheidung jetzt bei Hasard lag.

      „Sieh zu, Ferris, daß du das Loch so schnell wie möglich abdichtest“, sagte er verbissen und wandte sich um. Er stieg den Niedergang hinauf und wandte sich zum Quarterdeck, wo Ben Brighton stand und ihn anschaute.

      In einem anderen Moment hätte sich Hasard über die frangenden Blicke gefreut, bewiesen sie doch, daß sie ihm vertrauten und von ihm erwarteten, daß er sie aus dieser bösen Situation herausholte.

      Schweigend ging er an Brighton vorbei und verschwand im Gang, der zur Kapitänskammer führte. Dort setzte er sich an den Schreibtisch und stützte den Kopf mit beiden Händen. Doch so angestrengt er auch nachdachte, es gab keinen Ausweg aus dieser Lage, der nicht mit großen Risiken verbunden war.

      Er richtete sich auf, überlegte einen Moment und zog dann entschlossen die Seekarte von der französischen Küste zu sich heran. Durch den Kampf mit den bretonischen Karavellen waren sie fast bis auf den vierten Längengrad abgetrieben worden. Es war nicht mehr weit bis zur französischen Küste, aber gerade die Küste zwischen Quiberon und Brest wimmelte nur so von Schiffen. Und um in der Nacht irgendeine der kleinen Buchten anzulaufen, dazu kannte er die Küste nicht gut genug.

      Die einzige Möglichkeit war vielleicht Belle Ile, eine große Insel südlich von Quiberon.

      Hasard hatte keine guten Erinnerungen an sie. Einmal hatte es sein Vater mit seiner „Glorious“ gewagt, die Insel unter Tage anzulaufen. Die Fischer hatten sich nicht einmal von seinen Kanonen ins Bockshorn jagen lassen. Sie hatten ihn mit allen ihren kleinen Schiffen und Booten angegriffen, und ihm war nichts weiteres übriggeblieben, als das Weite zu suchen.

      Und die „Isabella“ hatte nicht einmal ein Boot an Bord. Hasard verfluchte sich abermals, daß er vor dem Kampf mit den beiden Galeeren nicht das Dinghi an Bord gehievt hatte.

      Sie mußten es trotzdem wagen.

      Hasard trat durch die Tür auf die Heckgalerie hinaus und blickte zur Sonne hoch. Wenn sie auf Nordwest drehten, würden sie die Insel in der Abenddämmerung erreichen.

      In den späten Nachmittagsstunden war es Ferris Tucker endgültig gelungen, das Eindringen des Wassers zu stoppen. Das Leck war absolut dicht, er hatte es von innen verkeilt.

      Die Sonne stand im Westen nur noch halb über der Kimm, und Dan O’Flynn, der im Vormars saß, hatte bereits Land gesichtet. Hasard hatte das Großsegel aufgeien lassen, damit sie nicht noch während der Dämmerung zu nahe an die Insel herankamen.

      Nur wenige Wolken waren am Himmel zu sehen. Hasard hoffte, daß es in der Nacht so blieb.

      Während der graue Streifen über der westlichen Kimm immer enger wurde und die schmale Sichel des zunehmenden Mondes das Wasser vor ihnen in ein milchiges Licht tauchte, schickte Hasard einen Mann mit dem Lot nach vorn auf die Backgräting.

      Sie mußten so dicht wie möglich an die Küste der Insel heran, damit Blacky, Smoky und Daniel O’Flynn, die Hasard sich für dieses Kommando ausgesucht hatte, nicht schon zu erschöpft waren, wenn sie das Ufer erreichten.

      Bald hob sich der dunkle Schatten des Landes vom Wasser ab. Die ersten leisen Rufe des Lotgastes klangen auf. Ben Brighton hatte bis auf das neue Fockmarssegel sämtliche Leinwand aufgeien lassen. Leise schwappten die Wellen gegen die Bordwand der Galeone.

      Hasard stand mit den drei Männern an Backbord und blickte zur Insel hinüber. Weitab waren die Lichter eines Fischerdorfes zu erkennen.

      Die anderen Männer der Besatzung hatte die Wasserfässer an Deck geschafft und an jedes ein Tau gebunden, mit dem sie die Fässer zu Wasser lassen wollten.

      „Genug, Ben!“ rief Hasard leise, als er vom Lotgast hörte, daß die „Isabella“ nur noch ein paar Handbreiten Wasser unter dem Kiel hatte. Ohne ein weiteres Wort schwang er sich über das Schanzkleid und stieg an der außenbords hängenden Jakobsleiter hinunter. Lautlos ließ er sich ins Wasser gleiten.

      Das Wasser war kälter, als er gedacht hatte. Wahrscheinlich lag es an dem Sturm der vergangenen Nacht, der das kalte Wasser des Atlantik in die Biskaya getrieben hatte.

      Hasard sah, wie Blacky, Smoky und Dan O’Flynn neben ihm im Wasser schwammen. Die Wasserfässer schwebten herunter. Eines schlug dumpf gegen die Bordwand, und Ferris Tuckers dunkle Stimme murmelte einen Fluch.

      Hasard packte das erste Faß und löste es vom Tau. Er wartete, bis die anderen drei soweit waren, dann schwammen sie mit gleichmäßigen Zügen auf die Küste zu.

      Er achtete darauf, daß sie beieinander blieben. Ab und zu tastete seine Hand zu seiner Brust, wo er unter dem Segeltuchhemd seine doppelschüssige Pistole verborgen hatte, die er in geteertes Segeltuch eingewickelt hatte.

      Je näher sie der Küste kamen, desto wärmer wurde das Wasser. Die „Isabella“ war nur noch als dunkler Schatten zu erkennen. Ben Brighton hatte von Hasard den Befehl erhalten, keinen Anker zu werfen, um jederzeit die Flucht ergreifen zu können. Beim ersten Anzeichen von Gefahr würden der Bootsmann die Galeone nach Süden steuern und ein paar Kanonenschüsse zum Fischerdorf hinüberschicken, um die Aufmerksamkeit von den vier Männern abzulenken.

      Sie waren fast eine halbe Stunde geschwommen, als Hasard an den weißen Streifen der brechenden Wellen erkannte, daß sie den Strand erreicht hatten. Er ließ seine Füße sinken und berührte Grund.

      Sie hatten nur die kleinen Fässer mitgenommen, aber die waren schwer genug. Am Strand ließen sie sich keuchend im Sand nieder und verschnauften ein paar Minuten.

      Hasard blickte sich um. Der Strand war an dieser

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