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zwar ergeben, dass dieser einmal Mitglied der wallonischen kommunistischen Partei gewesen, inzwischen jedoch längst ausgetreten war, und in der Gerichtsverhandlung hatte sich keinerlei Kontakt des Holländers mit Kommunisten in Deutschland belegen lassen.

      Dimitroff, Popoff und Taneff wurden antragsgemäß freigesprochen, und auch Torgler konnte nicht verurteilt werden. Trotz des Freispruchs aller kommunistischen Angeklagten brachte das Urteil das Kunststück fertig, die KPD für den Brand verantwortlich zu machen: »Wenn ... auch die Angeklagten Torgler und die Bulgaren als Mittäter nicht überführt werden konnten, so besteht kein Zweifel darüber, in welchem Lager sich diese Mittäter befunden haben ... Unzweifelhaft war der Reichstagsbrand eine politische Tat. Die ungeheure Größe des Verbrechens, also des Mittels, weist auf die Größe und Gewaltigkeit des Kampfobjekts hin. Das kann nur der Besitz der Macht gewesen sein ... Es kann sich nur um die Tat linksradikaler Elemente handeln, die sich von der Ausnutzung dieses Verbrechens die Möglichkeit eines Regierungs- und Verfassungssturzes und ihrer Machtergreifung versprachen ... Die KPD hat solche hochverräterischen Ziele als ihr Programm bekannt. Sie war die Partei des Hochverrats.«

      Den naheliegenden Verdacht, die Nazis selbst seien die Brandstifter gewesen, ließ das Gericht dagegen gar nicht erst aufkommen: »Wie Reichsminister Dr. Goebbels als Zeuge mit Recht ausführte, hat die NSDAP vor dem 5. März, infolge ihrer starken Übermacht und der Schnelligkeit ihres Anwachsens, den Wahlerfolg schon in der Tasche gehabt. Sie hatte es nicht nötig, durch ein Verbrechen ihre Wahlaussichten zu verbessern. Die gesinnungsmäßigen Hemmungen dieser Partei schließen derartige Verbrechen und Handlungen, wie sie ihr von gesinnungslosen Hetzern zugeschrieben werden, von vornherein aus.«97

      Offenbar war allein den Mitgliedern des Reichsgerichts verborgen geblieben, dass die NSDAP bei den Wahlen am 5. März 1933 trotz Behinderung der Linksparteien, massiver Eingriffe in die Wahl, brutaler Gewaltakte gegen die KPD und pausenloser Propaganda mit 43,9 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit im Reichstag deutlich verfehlt, den Wahlerfolg also keineswegs »in der Tasche« gehabt hatte. Dass das Gericht angesichts des Terrors, der von der NSDAP im Jahre 1933 im ganzen Reich entfesselt worden war, angesichts der Hunderte von Morden, der Tausende illegaler Verhaftungen, der Zerschlagung aller oppositionellen Gruppen und der rücksichtslosen Unterdrückung jeglicher Freiheit von den »gesinnungsmäßigen Hemmungen« dieser Partei sprach, kam der Satire nahe.

      Den Angeklagten van der Lubbe verurteilte das Reichsgericht »wegen Hochverrats in Tateinheit mit aufrührerischer Brandstiftung« zum Tode. Die juristische Konstruktion mit Hilfe eines rückwirkenden Gesetzes erforderte jedoch einigen argumentativen Aufwand. Das Urteil vertrat die Auffassung, dass – davon abgesehen, dass mit dem Ermächtigungsgesetz die Regierung zum Erlass auch verfassungsändernder Gesetze ermächtigt worden sei – die Todesstrafe gegen van der Lubbe gar nicht gegen den elementaren rechtsstaatlichen Grundsatz »Nulla poena sine lege« (Keine Strafe ohne Gesetz) verstoße; dieser Grundsatz betreffe nämlich nur die Strafbarkeit, und strafbar sei die Brandstiftung ja schon vorher gewesen. In diesem Falle handele es sich dagegen nur um eine rückwirkende Erhöhung der Strafe, und die könne der Gesetzgeber jederzeit beschließen, ohne gegen rechtsstaatliche Grundsätze zu verstoßen. »Nur mit Hilfe solcher mörderischer Konstruktionen«, schrieb 1935 der in die USA emigrierte Staatsrechtler Otto Kirchheimer, »waren die Hinrichtungen politischer Gegner möglich«; seine Prognose, dafür würden die »Juristen des Dritten Reiches – Theoretiker und Praktiker – sich einmal verantworten müssen«,98 sollte sich allerdings als Irrtum erweisen.

      Die Meinungen über das Urteil waren geteilt und sind es bis heute – wohl auch deshalb, weil das Regime seine Erwartungen scheinbar nicht erfüllt sah. Die Nationalsozialistische Parteikorrespondenz sprach von einem »glatten Fehlurteil«,99 der Völkische Beobachter berichtete unter der Überschrift »Letzter Anstoß zur Überwindung einer überalterten Rechtsprechung: Das nationalsozialistische Deutschland wird die Folgerungen zu ziehen wissen.«100 Und Hitler redete später in vertrauter Runde von einem »lächerlichen Ergebnis« des Prozesses.101 Angesichts solcher Reaktionen musste das Reichsgerichtsurteil wie ein mutiger Akt des Widerstands gegen die damaligen Machthaber erscheinen, und so wird es heute in der juristischen Literatur unter Hinweis auf die Naziäußerungen auch fast durchgängig dargestellt.

      Die Reaktionen der Nationalsozialisten waren allerdings hochgradig heuchlerisch. Der weisungsabhängige Oberreichsanwalt hatte selbst auf Freispruch für die drei Bulgaren plädiert, und bei der Bedeutung des Reichstagsbrandprozesses ist es ausgeschlossen, dass er diese Entscheidung ohne Rücksprache getroffen hatte; belegt ist jedenfalls, dass der Prozess in mehreren Kabinettssitzungen diskutiert wurde. Angesichts der Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit war das Dritte Reich gezwungen, in dem Verfahren von international üblichen rechtsstaatlichen Standards nicht allzu weit abzuweichen, denn der Prozess sollte schließlich alle Behauptungen, im »neuen« Deutschland gehe es nicht rechtsstaatlich zu, Lügen strafen. Wenn das Verfahren sich auch deutlich von dem unterschied, was später vor dem Volksgerichtshof stattfand, hat das Reichsgericht im Reichstagsbrandprozess mit dessen Vorbereitung und Durchführung, den polemischen Ausfällen gegen die Kommunisten, den tiefen Verbeugungen vor den neuen Machthabern im Urteil und schließlich mit der Anwendung der mörderischen Rechtskonstruktion der rückwirkenden Todesstrafe für Marinus van der Lubbe – wie das Landgericht Berlin, 47 Jahre später, es nannte – »politische Zweckjustiz« im Sinne der Nationalsozialisten geübt.102

       2. Die Selbstgleichschaltung

       Der Deutsche Richterbund

      Noch zur Jahreswende 1932/33 hatte der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Senatspräsident Karl Linz, in seinem Grußwort für die Deutsche Richterzeitung befürchtet, Gutes für die Justiz lasse sich 1933 »kaum erwarten, eher deuten alle Anzeichen auf neue Angriffe und neue Kämpfe um den Bestand des Rechts und eine unabhängige Rechtspflege hin«.103 Der Richterbund hatte sich stets gegen republikanische Zumutungen zur Wehr gesetzt und »das Eindringen der Politik in die Rechtspflege« bekämpft. 1926 war der (auf Vorschlag eines sozialdemokratischen Justizministers von einem sozialdemokratischen Reichspräsidenten ernannte) Reichsgerichtspräsident Simons sogar so weit gegangen, Sozialdemokraten pauschal die Fähigkeit zum Richteramt abzusprechen, da ihnen die dafür erforderliche Objektivität fehle,104 und der Richterbund befürchtete nichts so sehr wie eine demokratische Überfremdung durch »Bevorzugung der Anhänger der Kabinettsparteien«.105

      In einer Vielzahl von Urteilen war die Sympathie für die nationalsozialistische Bewegung zwar unübersehbar gewesen, aber die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler fand nicht den ungeteilten Beifall der Richterschaft. Ihr Vorsitzender Linz befürchtete von der neuen Regierung Maßnahmen, »die die Unabsetzbarkeit der Richter und die Unabhängigkeit der Justiz in Frage stellen«.106 Zu solchen Befürchtungen hatte das Verhalten der NSDAP-Führung nach verschiedenen Prozessen gegen Nationalsozialisten genügend Anlass gegeben.

      Freilich stellte die deutsche Richterschaft ihre Bedenken bald hintan, und trotz der Notverordnungen »zum Schutz des deutschen Volkes« und »zum Schutz von Volk und Staat«, mit denen die Regierung – wie gezeigt – handstreichartig große Teile der Verfassung außer Kraft gesetzt hatte, trotz des SA-Terrors bei den Reichstagswahlen vom 5. März und trotz der Staatsstreiche, mit denen die SA in den meisten Ländern die Polizeigewalt an sich gerissen hatte, begrüßte das Präsidium des Richterbundes am 19. März in einer Erklärung »den Willen der neuen Regierung, der ungeheuren Not ... des deutschen Volkes ein Ende zu bereiten«, und bot seine Mitarbeit am »nationalen Aufbauwerk« an: »Deutsches Recht gelte in deutschen Landen! Der deutsche Richter war von jeher national und verantwortungsbewusst.« Die Erklärung endete mit der Versicherung: »Der deutsche Richter bringt der neuen Regierung volles Vertrauen entgegen.«107

      Dieses Vertrauen war nur schwer zu erschüttern. Obwohl bereits am 1. April anlässlich einer Judenboykottaktion die Justizminister der Länder alle jüdischen Richter, Staats- und Amtsanwälte beurlaubt hatten und am 7. April das sogenannte Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums die Entlassung jüdischer, sozialdemokratischer und anderer »politisch unzuverlässiger« Richter

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