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der Polizei gemeldet, nachdem er in den Morgenzeitungen gelesen hatte, er werde der Brandstiftung verdächtigt. Am 9. März wurden die unter falschem Namen in Berlin lebenden Exilbulgaren Georgi Dimitroff, Blagoi Popoff und Wasili Taneff unter dem Verdacht der Mittäterschaft verhaftet. Auch der Publizist Carl von Ossietzky, der bereits in der Brandnacht in »Schutzhaft« genommen worden war, sollte als Mittäter angeklagt werden.88 Die von dem damaligen Chef der politischen Polizei, Rudolf Diels, gesponnene Intrige, die auf der Aussage eines unzuverlässigen Spitzels und einem gefälschten Foto basierte, war jedoch so plump, dass der Oberreichsanwalt die Anklage gegen Ossietzky fallen lassen musste.

      Van der Lubbe, Torgler, Dimitroff, Popoff und Taneff wurden in Untersuchungshaft genommen, als Untersuchungsrichter fungierte der Reichsgerichtsrat Paul Vogt. Die Anklage wurde vor dem für Hoch- und Landesverrat zuständigen 4. Strafsenat des Reichsgerichts in Leipzig erhoben, jenem Senat, der Carl von Ossietzky im Weltbühnen-Prozess verurteilt hatte89 und der in dem Verfahren gegen die drei Ulmer Reichswehroffiziere Hitler seinen Legalitätseid leisten ließ. Die gerichtliche Voruntersuchung verlief von Anfang an einseitig. Der Untersuchungsrichter hielt sich streng an das Verbot, nach eventuellen nationalsozialistischen Mittätern van der Lubbes zu forschen. Die Beschuldigten waren während der Untersuchungshaft vielerlei in der Strafprozessordnung nicht vorgesehenen Schikanen ausgesetzt, sie blieben zum Beispiel auf Anordnung Vogts während der sechsmonatigen Untersuchungshaft Tag und Nacht gefesselt.90

      Erst nach vielen Eingaben und Bitten wurde dem Angeschuldigten Dimitroff täglich eine halbstündige Befreiung von den Fesseln gestattet. Dimitroffs Wahlverteidiger, Rechtsanwalt Wille, setzte man dermaßen unter Druck, dass er das Man­dat niederlegte. Zahlreiche Anträge ausländischer Rechtsanwälte, als Wahlverteidiger zugelassen zu werden, was rechtlich durchaus möglich gewesen wäre, wurden abschlägig beschieden. Schließlich ordnete das Reichsgericht den Beschuldigten Pflichtverteidiger bei, die allein sein Vertrauen, nicht das der Angeklagten besaßen. Untersuchungsrichter Vogt hielt ständig Kontakt mit der preußischen Staatsregierung und drängte dort auf eine »zuverlässige Besetzung« des 4. Senats für die Verhandlung.91

      Eine Woche vor der Hauptverhandlung, deren Beginn auf den 21. September festgesetzt war, tagte in London unter großer Pressebeteiligung eine unabhängige, aus acht renommierten Juristen bestehende internationale Untersuchungskommission, um die Vorgänge der Brandnacht zu durchleuchten. Ihre Untersuchung hatte zum Ergebnis, dass van der Lubbe unmöglich alleiniger Brandstifter sein konnte, dass die angeklagten Kommunisten nichts mit dem Brand zu tun hatten und die Täter »wahrscheinlich« im nationalsozialistischen Lager zu suchen seien.92 Parallel zur Verhandlung vor dem Reichsgericht fand dann schließlich in London ein großer Gegenprozess statt, gerichtsförmig aufgezogen, mit umfangreicher Beweisaufnahme und unter Beteiligung prominenter Deutscher, die ins Ausland hatten fliehen müssen. Das am 20. Dezember 1933 verkündete Urteil im »Gegenprozess« lautete: »1. Lubbe ist nicht Alleintäter. 2. Es besteht der schwere Verdacht, dass nationalsozialistische Kreise die Brandstiftung veranlasst und durchgeführt haben. 3. Die Kommunisten sind unschuldig. 4. Das Gesetz vom 28. Februar 1933 (Reichstagsbrand-Verordnung) ist ungültig. 5. Eine Verurteilung Torglers würde den Protest der ganzen Welt hervorrufen.«93

      Die schon am Tage nach dem Brand erlassene Reichstagsbrandverordnung sah neben der Außerkraftsetzung aller wesentlichen Grundrechte auch die Todesstrafe für Brandstiftung, Hochverrat und einige andere Straftaten vor. Ein am 29. März von der Reichsregierung beschlossenes Gesetz über Verhängung und Vollzug der Todesstrafe erklärte darüber hinaus, dass diese Strafverschärfung auch für Taten gelte, »die in der Zeit zwischen dem 31. Januar und dem 28. Februar begangen sind«.94 Schließlich ermächtigte dieses Gesetz die Reichsregierung auch noch, in solchen Fällen das Todesurteil durch Erhängen, was als besonders entehrende Hinrichtungsart galt, vollstrecken zu lassen. Damit waren die »legalen« Voraussetzungen für die Hinrichtung der mutmaßlichen Reichstagsbrandstifter geschaffen.

      Am 21. September 1933 begann die Hauptverhandlung im Großen Sitzungssaal des Reichsgerichts in Leipzig. Die Anklage vertraten Oberreichsanwalt Werner und der spätere stellvertretende Chefankläger beim Volksgerichtshof, Landgerichtsdirektor Parrisius. Am 10. Oktober übersiedelte das Gericht nach Berlin, um sechs Wochen in dem unzerstörten Saal des Haushaltsausschusses im Reichstag an Ort und Stelle zu tagen.

      Im Zuge der Beweisaufnahme wurden auch prominente Nationalsozialisten, unter anderem der im März ernannte Reichs­propagandaminister Goebbels und der inzwischen zum preußischen Ministerpräsidenten aufgestiegene Hermann Göring, als Zeugen gehört. Höhepunkte des Prozesses waren die Rededuelle zwischen dem schlagfertigen Dimitroff und den beiden Nazi-Größen. Der sonst so selbstsichere Göring verlor bei der Zeugenbefragung zusehends die Fassung. Als Dimitroff ihn zum Beispiel fragte, ob nicht die einseitige Untersuchung Spuren, die in andere Richtung wiesen, verwischt habe, wies Göring den Vorwurf empört zurück, um ihn gleichzeitig mit seiner Antwort zu bestätigen: »Für mich ist es ein politisches Verbrechen, und ebenso war es meine Überzeugung, dass die Verbrecher in Ihrer Partei zu suchen sind. Ihre Partei ist eine Partei von Verbrechern, die man vernichten muss! Und wenn die richterliche Untersuchung sich in dieser Richtung hat beeinflussen lassen, so hat sie nur in der richtigen Spur gesucht.« Im weiteren Disput verlor Göring immer mehr die Beherrschung: »Ich will Ihnen sagen, was im deutschen Volke bekannt ist. Bekannt ist im deutschen Volke, dass Sie sich hier unverschämt benehmen, dass Sie hergelaufen sind, um den Reichstag anzustecken. Aber ich bin nicht dazu da, um mich von Ihnen wie von einem Richter vernehmen und mir Vorwürfe machen zu lassen! Sie sind in meinen Augen ein Gauner, der direkt an den Galgen gehört.«

      Spätestens hier hätte der Gerichtsvorsitzende, Senatspräsident Dr. Bünger, eingreifen müssen, um den Zeugen zurechtzuweisen, der den Angeklagten dermaßen beleidigte und ihm sogar offen mit dem Galgen drohte. Bünger rüffelte aber nicht Göring, sondern den Angeklagten: »Dimitroff, ich habe Ihnen bereits gesagt, dass Sie hier keine kommunistische Propaganda zu treiben haben. Sie dürfen sich dann nicht wundern, wenn der Herr Zeuge derartig aufbraust! Ich untersage Ihnen diese Propaganda auf das strengste. Sie haben rein sachliche Fragen zu stellen.«

      Die Auseinandersetzung eskalierte jedoch weiter. Als Dimitroff die Ausführungen Görings lächelnd mit den Worten quittierte: »Ich bin sehr zufrieden mit der Antwort des Herrn Ministerpräsidenten«, intervenierte Bünger emeut: »Ob Sie zufrieden sind, ist mir gleichgültig. Ich entziehe Ihnen jetzt das Wort.« Auf Dimitroffs Insistieren, er habe »noch eine sachliche Frage zu stellen«, rief der Gerichtsvorsitzende sichtlich nervös: »Ich entziehe Ihnen das Wort«, und Göring brüllte dazwischen: »Hinaus mit Ihnen, Sie Schuft!« Als Dimitroff sich noch ein letztes Mal verhalten an den Zeugen wandte, um sich zu erkundigen: »Sie haben wohl Angst vor meinen Fragen, Herr Ministerpräsident?«, verlor Göring schließlich vollends jede Fassung: »Warten Sie nur, bis wir Sie außerhalb der Rechtsmacht dieses Gerichtshofs haben werden. Sie Schuft!«

      Der Vorsitzende rügte nicht einmal diese weitere unverhohlene Drohung; er griff stattdessen zu einer damals in der Prozessordnung noch nicht vorgesehenen Maßnahme – dem AusSchluss des Angeklagten aus der Hauptverhandlung: »Dimitroff wird ... drei Tage ausgeschlossen! Sofort hinaus mit ihm!«95

      Jedem unbefangenen Beobachter und der anwesenden Weltpresse war bei diesen Szenen die Nervosität der NS-Führung offenbar geworden, und nicht zu übersehen war auch die Unsicherheit des Gerichts, das bei dem Versuch, die Erwartungen der Nazis zu erfüllen und gleichzeitig vor der Öffentlichkeit einen Rest richterlicher Würde zu bewahren, hoffnungslos ins Schwimmen geriet.

      Die umfangreiche Beweisaufnahme ergab keinerlei Anhaltspunkte für eine Mittäterschaft der Exilbulgaren bei der Brandstiftung. Der Oberreichsanwalt beantragte schließlich selbst Freispruch für sie. Für Torgler und van der Lubbe forderte er dagegen die Todesstrafe.96 Die Anklage gegen Torgler hatte sich aber im Laufe der Verhandlung als ein loses Gespinst vager Verdächtigungen erwiesen, kombiniert mit der vom Reichsgericht schon in republikanischen Zeiten entwickelten Fiktion, dass die KPD stets den Umsturz plane und jede kommunistische Tätigkeit daher Vorbereitung zum Hochverrat sei. Aufrufe zur Bildung einer Einheitsfront und zum »außerparlamentarischen Kampf«, die unter anderen Torglers Unterschrift trugen, hatten der Anklage als einziger Beleg für den »fortgesetzten

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