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des »inneren Feindes« legitimiert hatte, entwickelte er, als Hitlers Eroberungszüge bevorstanden und später, während Deutschland halb Europa besetzt hatte, mit der Rechtsfigur des völkerrechtlichen »Großraums« eine Rechtfertigungslehre für die Unterjochung der Nachbarvölker: »Der neue Ordnungsbegriff eines neuen Völkerrechts ist unser Begriff des Reiches, [das] imstande ist ..., eine Ausstrahlung in den mittel- und osteuropäischen Raum hinein zu verschaffen und Einmischungen raumfremder und unvölkischer Mächte zurückzuweisen. Die Tat des Führers hat den Gedanken unseres Reiches politische Wirklichkeit, geschichtliche Wahrheit und eine große völkerrechtliche Zukunft verliehen.«129 Nachdem sich die große völkerrechtliche Zukunft in der politischen Wirklichkeit der bedingungslosen Kapitulation – ausgerechnet noch vor raumfremden und unvölkischen Mächten – aufgelöst hatte, internierten die Amerikaner den Großraumtheoretiker und erwogen sogar, ihn im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess mit anzuklagen. Die Ankläger versprachen sich dann jedoch offenbar mehr davon, statt Schmitt den Prozess zu machen, sich seines sprichwörtlichen Opportunismus zu bedienen, um einen von den Verteidigern des Staatssekretärs von Weizsäcker aufgebotenen bedeutenden Entlastungszeugen, seinen früheren Lehrer, den deutschnationalen jüdischen Staatsrechtler Erich Kaufmann, unglaubwürdig zu machen.130 Schmitt enttäuschte auch die neuen Herren nicht. Er lieferte Zitate aus Kaufmanns Schriften, in denen der Krieg verherrlicht und der deutsche Großmachtstraum geträumt wurde. Der Wert von Kaufmanns Aussagen war danach erheblich gemindert. Schmitt wurde aus der Internierungshaft entlassen und versprach, sich »in die Sicherheit des Schweigens« zurückzuziehen. Dennoch veröffentlichte er vom heimischen Plettenberg aus noch einige Schriften, unter anderem um seine früheren Publikationen zu rechtfertigen und seinen Beitrag zur NS-Herrschaft in subtilen »Widerstand« umzumünzen. Dabei schreckte er auch vor massiven Fälschungen nicht zurück; der Theoretiker des Notstands behauptete zum Beispiel ganz unverfroren, er habe sich »an dem Gerede vom Staatsnotstand ... nie beteiligt«.131 Undementiert blieb später die Meldung der Frankfürter Rundschau, Schmitt sei zur Zeit der Großen Koalition (1966-1969) der »heimliche staatsrechtliche Berater« Bundeskanzler Kiesingers gewesen, der in kleiner Runde in Plettenberg mit dem Vordenker des Notstands zu konferieren pflegte.132 Zwar hatte man 1948 Schmitts 60. Geburtstag noch nicht gebührend würdigen können (statt einer Festschrift erschien 1950 nur ein schmales Bändchen über Die Bildlichkeit der wortgebundenen Musik Johann Sebastian Bachs, das »Carl Schmitt zum 60. Geburtstag« zugeeignet war,133 aber die dickleibigen Festschriften zu seinem Siebzigsten134 und Achtzigsten135 – letztere unter dem Titel Epirrhosis, auf deutsch: »Begeisterte Zustimmung« –, in denen sich alles versammelte, was in der Nachkriegs-Staatsrechtslehre Ansehen genoss, belegen die Wertschätzung auch der bundesdeutschen Rechtswissenschaft für Carl Schmitt und seine demokratiefeindlichen Lehren. Bumke und der 1984 verstorbene Schmitt hatten vieles gemeinsam. Beide zählten schon vor 1933 zu Deutschlands angesehensten Juristen, beide waren hochkultivierte Männer – Schmitt liebte Bach‘sche Orgelmusik über alles, Bumke soll virtuos Geige gespielt haben –, beide waren konservativ-deutsch­national, beide ersehnten den autoritären Staat und sympathisierten offen mit den Nazis, die sie angeblich insgeheim verachteten. Dass der höchste Richter und der gefeierte Staatsrechtslehrer aber keine Ausnahme bildeten, sondern repräsentativ waren für das Heer der weniger prominenten Richter, Staatsanwälte, Rechtslehrer und – wenngleich in geringerem Umfang – der Rechtsanwälte, zeigte der Gleichschaltungsprozess, die Ausschaltung jeglicher Opposition, alsbald nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler. Die Sympathie, mit der die deutsche Justiz den Aufstieg der nationalsozialistischen Bewegung von ihren Anfängen bis zur Machtergreifung begleitet hatte, wurde durch die Brutalität der Gleichschaltung allenfalls vorübergehend getrübt.

       3. Justiz im Ausnahmezustand

      Die sofort nach dem Reichstagsbrand erlassene Verordnung zum Schutz von Volk und Staat war die Proklamation des Ausnahmezustands und damit gleichzeitig wesentliche Grundlage der nationalsozialistischen Herrschaft sowie das Ende des Verfassungsstaates. Carl Schmitt, der Theoretiker des Ausnahmezustands, hatte zu diesem bereits 1922 »die prinzipiell unbegrenzte Befugnis, d. h. die Suspendierung der gesamten bestehenden Ordnung« gezählt: »Ist dieser Zustand eingetreten, so ist klar, dass der Staat bestehen bleibt, während das Recht zurücktritt ... Die Entscheidung macht sich frei von jeder normativen Gebundenheit und wird im eigentlichen Sinne absolut. Im Ausnahmefall suspendiert der Staat das Recht kraft eines Selbsterhaltungsrechtes.«136 Derlei Gedanken sind also keineswegs erst im Dritten Reich entwickelt worden. Die konservative Staatstheorie war seit jeher fasziniert vom autoritären Staat und »der Ausnahmefall offenbart das Wesen der staatlichen Autorität am klarsten. Hier sondert sich die Entscheidung von der Rechtsnorm und ... die Autorität beweist, dass sie, um Recht zu schaffen, nicht Recht zu haben braucht«.137

      Der Reichstagsbrand hatte einen Vorwand zur Verhängung des Ausnahmezustands geliefert, die Notsituation wurde fingiert, denn unabhängig davon, wer den Brand gelegt hatte, ob die Nazis selbst, van der Lubbe allein oder gar die Kommunisten, ein Notstand war mit dem Brand keineswegs eingetreten. Er musste vielmehr beschworen werden, um die Reichstagsbrandnotverordnung erlassen zu können mit dem angeblichen Zweck, einen kommunistischen Aufstand, für den der Brand nach der NS-Version das Fanal hätte sein sollen, niederzuschlagen. Dementsprechend lautete die Präambel der Verordnung: »Aufgrund des Art. 48 Abs. 2 der Reichsverfassung wird zur Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte folgendes verordnet ...« Verordnet wurde die Rechtlosigkeit des Individuums im Dritten Reich. Die Freiheit der Person, die Unverletzlichkeit der Wohnung, das Briefgeheimnis, die Meinungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit, das Recht, sich zu Vereinen zusammenzuschließen und sogar das Eigentumsrecht wurden »bis auf weiteres außer Kraft« gesetzt. »Bis auf weiteres« dauerte übrigens bis zum 8. Mai 1945, die Verordnung wurde erst von der Alliierten Militärregierung aufgehoben.

      Die Zweckbindung hatte der Verordnung den Schein der Verfassungsmäßigkeit geben sollen; nach dem Wortlaut der Reichsverfassung waren Notverordnungen nämlich nur zur Bewältigung bestimmter eng eingegrenzter Notsituationen zulässig, und »zur Ausschaltung der politischen Opposition« hätte man (zumindest im Februar 1933 noch) nicht in die Präambel schreiben können. Die Gerichte und Verwaltungsbehörden verstanden den wahren Zweck der Reichstagsbrandverordnung jedoch richtig. Sie nahmen es mit der Präambel nicht so genau und wandten die Verordnung sehr bald nicht nur gegen Kommunisten, sondern gegen alles an, was im weitesten Sinne als oppositionell galt oder die neuen Machthaber störte. Das Kammergericht in Berlin verbot den nachgeordneten Gerichten sogar die Prüfung, ob im konkreten Fall die Voraussetzungen der Verordnung tatsächlich vorlagen. Es stellte fest, diese habe sämtliche »reichs- und landesrechtlichen Schranken für polizeiliche Maßnahmen beseitigt«, alle Polizeihandlungen dienten generell der Abwehr der kommunistischen Gefahr, »wobei übrigens die Frage ihrer Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit einer Nachprüfung durch das Gericht nicht unterliegt«.138 Und das Landgericht Berlin entwickelte – bereits 1933 – die griffige Formel, dass »alle gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung gerichteten Angriffe als kommunistisch im weitesten Sinne aufzufassen« seien.139

      Um die Reichstagsbrandverordnung gegen alle echten oder vermeintlichen Nazi-Gegner anwenden zu können, konstruierten die Gerichte immer neue Varianten der »kommunistischen Gefahr«. Im Münsterland zum Beispiel hatte der Regierungspräsident, gestützt auf diese Verordnung, jede kirchliche Jugendgruppenarbeit verboten. Nachdem einige Mitglieder eines katholischen Jugendvereins dennoch Gruppenfahrten unternommen und gemeinsam Sport getrieben hatten, waren sie nach § 4 der Verordnung (»Zuwiderhandlung gegen Anordnungen der Behörden«) angeklagt worden. Das Landgericht Hagen hatte sie zunächst freigesprochen.140 Das Kammergericht hob den Freispruch jedoch auf, denn »diese Art der Betonung einer (konfessionellen) Spaltung trägt von vornherein den Keim einer Zersetzung des deutschen Volkes in sich, und jede derartige Zersetzung ist geeignet, den kommunistischen Bestrebungen ihrerseits Vorschub zu leisten und ihre Ziele zu unterstützen«. Dass die Katholiken immun gegen den gottesleugnenden Kommunismus seien und ihn sogar bekämpften, ließ das Kammergericht nicht gelten, denn »die so zur Schau getragene eigene Meinung kann nur zu leicht ein Ansporn für die dem Kommunismus anhängenden oder ihm nahestehenden, vielleicht gegenwärtig politisch noch schwankenden

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