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den Verlust der Pensionsbezüge – nicht ausdrücklich als Nebenstrafe ausgesprochen habe. Dies wäre aber völlig unsinnig gewesen, da nach dem Disziplinargesetz der Verlust automatisch mit der Verurteilung eintrat. General von Lüttwitz, der militärische Kopf des Unternehmens, erhielt, obwohl er sich nach dem Fehlschlag des Putsches auch noch unerlaubt von der Truppe entfernt und mit falschen Papieren nach Schweden abgesetzt hatte, seine Pension sogar rückwirkend vom Zeitpunkt der Revolte an.41

      Der Witwe eines Kieler Arbeiters, der dem Aufruf der Reichsregierung, gegen die Hochverräter Widerstand zu leisten, gefolgt und dabei zu Tode gekommen war, sprach das Reichsversorgungsgericht mit Urteil vom 27. Januar 1925 dagegen eine Hinterbliebenenrente ab mit der Begründung, dass »zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ... Polizei und notfalls das Militär« berufen seien (ausgerechnet das Militär, das ja mit seinem Staatsstreich die öffentliche Ordnung erschüttert hatte!). Daher falle dem Verstorbenen »der durch seine Tötung verursachte Schaden in vollem Umfang selbst zur Last«, womit alle Ansprüche der Hinterbliebenen verwirkt seien.42 Das Landgericht Schwerin erklärte im nachhinein sogar die Erschießung streikender Arbeiter durch die Putschisten für legal, da sie »in der Verordnung Nr. 19 des damaligen Reichskanzlers« ihre »rechtmäßige Grundlage« gehabt hätten.43

       Die Justiz und die nationalsozialistische Bewegung

      Gelegenheit, ihre Sympathie für die noch junge NSDAP unter Beweis zu stellen, hatte die Justiz erstmals im Prozess gegen Hitler und acht weitere Nationalsozialisten nach dem Putsch­versuch vom 8./9. November 1923. Das Jahr 1923 war wohl das turbulenteste der Weimarer Zeit. Die Inflation hatte ihren Höhepunkt erreicht, Frankreich war im Ruhrgebiet einmarschiert, nationale Kreise leisteten dort den Besatzungstruppen erbitterten Widerstand, in den Ländern Sachsen und Thüringen waren Sozialdemokraten Koalitionsregierungen mit Kommunis­ten eingegangen, in Küstrin putschte die sogenannte Schwarze Reichswehr, in Bayern planten rechtsradikale Organisationen – SA, Bund Oberland und Reichskriegsflagge – den Marsch nach Berlin, um die Regierung abzusetzen. Das Land Bayern verkündete den Ausnahmezustand, und da bei dem als Generalstaatskommissar eingesetzten Gustav von Kahr, einem monarchistischen bayerischen Separatisten, die Gefahr bestand, dass Bayern sich vom Reich lossagte, erklärte Reichskanzler Stresemann den Ausnahmezustand für die ganze Republik. Kahr weigerte sich jedoch, seine Vollmachten auf den Wehrkreis-Befehlshaber von Bayern, General von Lossow, zu übertragen, und verpflichtete die im Land stationierten Reichswehrtruppen auf die bayerische Regierung. Er war entschlossen, Truppen nach Berlin zu schicken und vorher in Sachsen und Thüringen einzumarschieren, um die dortigen sozialdemokratisch geführten Volksfrontregierungen abzusetzen. Nachdem jedoch schon die Reichswehr auf Befehl der Reichsregierung in Sachsen und Thüringen einmarschiert war und die Regierungen abgesetzt hatte, gab Kahr seinen Putschplan auf. Damit waren die rechtsradikalen Organisationen und vor allem der damals in München aktive Adolf Hitler nicht einverstanden. Er drang am 8. November, als Kahr im Bürgerbräukeller eine Rede hielt, mit einem bewaffneten Haufen in die Versammlung ein, schoss in die Decke und erklärte kurzerhand in einem Zuge die bayerische Staatsregierung, die Reichsregierung und den Reichspräsidenten Ebert für abgesetzt. Die im Saal anwesende Spitze der bayerischen Exekutive ging zunächst auf Hitlers Forderungen ein, gab jedoch nach Verlassen des Lokals Befehl, den Aufstand niederzuschlagen. Am 9. November wurde ein von den rechtsradikalen Organisationen veranstalteter Marsch auf die Feldherrnhalle gestoppt.44 Hitler und acht seiner Kumpane wurden verhaftet und wegen Hochverrats angeklagt. Die am 24. Februar 1924 eröffnete Hauptverhandlung fand vor dem Münchner Volksgericht statt. Ihr war eine Machtprobe zwischen dem Reich und dem Freistaat Bayern um die Zuständigkeit vorausgegangen, gesetzlich zuständig für Strafverfahren wegen Hochverrats war nämlich der Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik in Leipzig. Die bayerische Regierung wollte den Prozess jedoch in München stattfinden lassen und erklärte sich für den Fall, dass man das Verfahren dem Freistaat übertrage, sogar bereit, nach diesem Prozess die verfassungswidrigen Volksgerichte aufzulösen.45 Die Verhandlung vor dem Münchner Volksgericht war eine einzige rechtsradikale Machtdemonstration. Die Reichsregierung wurde ohne nennenswerte Rüge des Gerichts »Judenregierung«, ihre Mitglieder »Novemberverbrecher« genannt, die Angeklagten sprachen davon, dass in Berlin alles »ver-Ebert und versaut« sei, und der Reichspräsident wurde als »Matratzeningenieur« verhöhnt. Der mitangeklagte Rat am Bayerischen Obersten Landesgericht und ehemalige Polizeipräsident von München, Ernst Pöhner, sagte in der Verhandlung ganz unverblümt: »Wenn das, was Sie mir da vorwerfen, Hochverrat ist – das Geschäft betreibe ich schon seit fünf Jahren.«46

      Das Urteil vom 1. April 1924 bescheinigte sämtlichen Angeklagten, dass sie »bei ihrem Tun von rein vaterländischem Geiste und dem edelsten selbstlosen Willen geleitet waren«, und fuhr fort: »Alle Angeklagten ... glaubten, nach bestem Wissen und Gewissen, dass sie zur Rettung des Vaterlandes handeln müssten ... Seit Monaten, Jahren waren sie darauf eingestellt, dass der Hochverrat von 1918 durch eine befreiende Tat wieder wettgemacht werden müsste.« Das Gericht verzichtete daher darauf, ihnen die bürgerlichen Ehrenrechte zu entziehen, und verurteilte Hitler und seine Mitstreiter Pohner, Kriebel und Weber zu der Mindeststrafe von 5 Jahren Festungshaft (»die an sich schon vom Gesetze sehr reichlich bemessene mindeste Strafgrenze ... bleibt eine ausreichende Sühne ihres Verbrechens«) sowie zu einer lächerlichen Geldstrafe von 200 Reichsmark. Der einschlägige § 9 des Republikschutzgesetzes lautete nämlich: »Neben jeder Verurteilung wegen Hochverrats ... ist auf Geldstrafe zu erkennen. Die Höhe der Geldstrafe ist nicht beschränkt.« Und außerdem: »Gegen Ausländer ist auf Ausweisung aus dem Reichsgebiet zu erkennen. Zuwiderhandlungen gegen diese Anordnung werden mit Gefängnis bestraft.«

      In dem Urteil wurde Hitler auch gleich in Aussicht gestellt, dass nach der Verbüßung eines Strafteils von 6 Monaten die restlichen 4,5 Jahre zur Bewährung ausgesetzt würden. Dabei hätte das Gericht, da der Nazi-Führer bereits wegen Landfriedensbruchs zu einer Bewährungsstrafe verurteilt war, deren Bewährungszeit noch andauerte, nach dem Gesetz diese widerrufen und eine vollständig abzusitzende Haftstrafe aussprechen müssen. Von der oben zitierten zwingend vorgeschriebenen Ab­schiebung des Ausländers Hitler sah das Gericht ausdrücklich ab, denn »auf einen Mann, der so deutsch denkt und fühlt wie Hitler ..., kann nach Auffassung des Gerichts die Vorschrift ... ihrem Sinn und ihrer Zweckbestimmung nach keine Anwendung finden«.

      Weitere fünf Angeklagte, darunter der spätere SA-Stabschef Ernst Röhm und der spätere Reichsinnenminister Wilhelm Frick, kamen mit je 15 Monaten Festungshaft und 100 Reichsmark Geldstrafe davon. Der vom Gericht stets mit militärischer Hochachtung als »Exzellenz« angesprochene General Ludendorff wurde freigesprochen; man glaubte ihm erneut, dass er – wie auch schon beim Kapp-Putsch – in voller Uniform »rein zufällig am Ort des Geschehens weilte«.47

      Wie komfortabel Hitler und seine Parteigenossen die 6 Monate Festungshaft auf der einst für den Eisner-Mörder Graf Arco-Valley herrschaftlich hergerichteten Festung Landsberg verbrachten, beschreibt der englische Historiker Alan Bullock besonders plastisch: »Es gab gute Verpflegung – Hitler wurde im Gefängnis ziemlich dick –, und sie durften so viel Besuch empfangen, wie sie wollten ... Hitlers Bursche war Emil Maurice, der gleichzeitig auch den Sekretär machte, diesen Posten aber später an Rudolf Heß abtrat. Heß war freiwillig aus Österreich zurückgekehrt, um mit seinem Führer die Gefängnishaft zu teilen ... An Hitlers 35. Geburtstag, kurz nach dem Prozess, füllten die Pakete und Blumen, die ihm zugeschickt worden waren, mehrere Räume. Neben den vielen Besuchen, die er empfing, führte Hitler eine umfangreiche Korrespondenz und las so viele Zeitungen und Bücher, wie er nur wollte. Er präsidierte beim Mittagessen und beanspruchte und erhielt den Respekt, der ihm als dem Führer der Partei gebührte.«48

      Auch in der Folgezeit nahmen die Gerichte in einer Vielzahl von Prozessen teils offen, teils schamhaft hinter juristischen Konstruktionen versteckt, Partei für die Nazis im innenpolitischen Kampf. Ein Verfahren gegen den nationalsozialistischen General Litzmann beispielsweise, der am 27. Mai 1930 in einer öffentlichen Versammlung in Dresden – auf den Versailler Vertrag bezogen – gerufen hatte: »Leider fehlen uns die Femerichter, um die Unterschreiber dieses Vertrages unschädlich zu machen«, wurde eingestellt, weil man Litzmanns Einlassung glaubte, er habe sich versprochen und sagen wollen, nur die

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