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Reichsanwalt Niethammer, obwohl bereits zahlreiche Fememorde rechtsradikaler Vereinigungen bekannt geworden waren, der Aufruf »Verräter verfallen der Feme« meine nur die »gesellschaftliche Ächtung«.50 Ein Münchner Arbeiter dagegen, der bei einer Demonstration ein Schild mit der Aufschrift »Arbeiter, sprengt eure Ketten!« getragen hatte, erhielt 5 Monate Gefängnis wegen »Aufreizung zum Klassenhass«.51 Den nationalsozialistischen Gauleiter Kremser, der den Aufruf des Reichspräsidenten anlässlich der Unterzeichnung des Young-Plans als »ebenso lügenhaft« bezeichnet hatte »wie den der Volksbeauftragten«, sprach das Amtsgericht Glogau frei, da die Revolution von 1918 »Meineid und Hochverrat« gewesen sei.52 Der Gauredner Dr. Goebbels, der die Mitglieder der Reichsregierung »Verräter am Volk«, »bezahlte Büttel der Weltfinanz« und »Überläufer nach Frankreich« genannt hatte, wurde im August 1932 vom Schöffengericht Charlottenburg ebenfalls freigesprochen, und vom Schöffengericht Hannover war ihm bereits 1930 die »Wahrnehmung berechtigter Interessen« zugebilligt worden, als er dem preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun Korruption vorgeworfen hatte.53

      Auch bei Zusammenstößen der Nazi-Truppen mit Republikanern ergriff die Justiz eindeutig Partei. Nach einem Überfall der SA auf Mitglieder der Eisernen Front in Alfeld beispielsweise verurteilte die Große Strafkammer des Landesgerichts Hildesheim die Nationalsozialisten zu Gefängnis zwischen 6 und 8 Monaten, die angegriffenen Sozialdemokraten, die sich gewehrt hatten, dagegen zu Strafen zwischen 12 und 24 Monaten, einen sogar zu Zuchthaus.54

      Doch nicht nur die Privilegierung rechtsradikaler und die Verfolgung kommunistischer und republikanischer Angeklagter zeichnete die Justiz der Weimarer Zeit aus. Vereinzelt zwar, aber unübersehbar war die antisemitische Hetze in Urteilen verschiedener Gerichte bis hinauf zum Reichsgericht. Dabei mischte sich zumeist Antisemitismus mit Republikfeindlichkeit, wie es sich in dem berüchtigten Kampfausdruck »Judenrepublik« niederschlug. Die Passage des Liedes der Brigade Erhardt: »Wir brauchen keine Judenrepublik, pfui Judenrepublik!« war in rechtsradikalen Kreisen so populär, dass sie Anlass zu unzähligen Strafverfahren wurde, denn nach dem Republikschutzgesetz vom 21. Juli 1922 war mit Gefängnis zu bestrafen, »wer öffentlich die verfassungsmäßig festgestellte Staatsform des Reiches beschimpft«.55 Aber nachdem einige Untergerichte den Ausdruck »Judenrepublik, pfui Judenrepublik!« als Vergehen gegen das Republikschutzgesetz eingestuft hatten, hob das Reichsgericht am 22. Juni 1923 die Verurteilungen mit einer subtilen republik- und judenfeindlichen Begründung auf: »Der Ausdruck ›Judenrepublik‹ kann in verschiedenem Sinne gebraucht werden. Er kann die besondere Form der demokratischen Republik bezeichnen, welche durch die Weimarer Nationalversammlung ›verfassungsmäßig festgestellt‹ ist; er kann auch die gesamte Staatsform umfassen, die in Deutschland seit dem gewaltsamen Umsturz im November 1918 bestanden hat. Gemeint kann sein die neue Rechts- und Gesellschaftsordnung in Deutschland, die unter hervorragender Beteiligung deutscher und ausländischer Juden ausgerichtet wurde. Gemeint kann auch sein die übermäßige Macht und der übermäßige Einfluss, den die im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung kleine Anzahl der Juden nach Ansicht weiter Volkskreise in Deutschland tatsächlich ausübt. In welchem Sinne die Angeklagten den Ausdruck ›Judenrepublik‹ gebraucht haben, ist nicht näher dargelegt. Es ist nicht einmal ausdrücklich festgestellt, dass die Angeklagten die verfassungsmäßig festgestellte Staatsform des Reiches beschimpft haben, sondern nur, dass sie die gegenwärtige Staatsform des Reiches beschimpft haben«.56

      Noch deutlichere Worte als das höchste Gericht der Republik fand der Wernigeroder Amtsrichter Dr. Beinert, der am 6. März 1924 einem deutschvölkischen Redakteur der Wernigeroder Zeitung und seinen Kumpanen entschuldigend ins Urteil schrieb: »Das deutsche Volk erkennt mehr und mehr, dass das Judentum schwerste Schuld an unserem Unglück trage. An einen Aufstieg unseres Volkes ist nicht zu denken, wenn wir nicht die Macht des Judentums brechen ... Die Gedanken, welche die Angeklagten vortrugen, stellten keine Gefährdung unserer öffentlichen Ruhe dar, nein, sogar die Besten unseres Volkes teilen diese Auffassungen.«57 Das Schöffengericht Halle billigte dem deutschnationalen Politiker Elze, der den preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun als »schamlosen Judas Ischariot« bezeichnet und ihm einen »Abgrund von Gesinnungslosigkeit« vorgeworfen hatte, die »Wahrnehmung berechtigter Interessen« zu und sprach ihn frei,58 und Anfang Februar 1930 sah schließlich auch das Reichsgericht in der Behauptung »Der Jude Rathenau ist ein Verräter« keine Beleidigung mehr.59

      Nachdem ein Berliner Hauswirt namens Nordheimer von einem seiner Mieter, einem Ausländer, mehrmals als »deutsches Schwein« beschimpft worden war, kündigte er ihm und strengte Räumungsklage an; das Amtsgericht Berlin-Mitte wies die Klage jedoch mit der verblüffenden Begründung ab: »Der Kläger ist unbeschadet seiner deutschen Staatsangehörigkeit nicht die Persönlichkeit, die der Sprachgebrauch des Volkes zu den Deutschen zählt.«60 Führenden Repräsentanten der »Judenrepublik«, die bevorzugte Ziele nationalsozialistischer Hetze waren, verweigerten die Gerichte den Ehrenschutz, wobei die Urteile oft schlimmere Beleidigungen waren als die ihnen zugrundeliegenden Äußerungen. Der NS-Gauredner Bernhard Fischer zum Beispiel hatte in einer öffentlichen Versammlung behauptet: »Der (Berliner) Polizeipräsident Grzesinski ist ein Judenbastard. Er ist von einem Dienstmädchen unehelich geboren, das bei einem Juden gedient hat. In jedes Menschen Gesicht steht seine Geschichte.« Fischer wurde zunächst wegen Beleidigung verurteilt, in der Berufungsverhandlung vom Landgericht Neuruppin aber am 1. September 1932 freigesprochen. Das Gericht räumte zwar ein, »dass die Art und Weise, in der der Angeklagte über den Polizeipräsidenten hergezogen ist, die Grenze des im politischen Parteikampf Erträglichen« bilde, konnte jedoch »in der Behauptung, jemand sei außerehelicher, jüdischer Herkunft, nicht die Kundgebung einer Missachtung erblicken«.61

      Ein letzter großer Prozess gegen nationalsozialistische Hochverräter vor dem für politische Strafsachen zuständigen 4. Strafsenat des Reichsgerichts räumte eventuell noch bestehende Zweifel über die Haltung der Justiz zur NS-Bewegung endgültig aus. Vom 23. September bis 4. Oktober 1930 hatte das Reichsgericht gegen die drei Ulmer Reichswehroffiziere Scheringer, Ludin und Wendt zu verhandeln, die in verschiedenen Garnisonsorten versucht hatten, nationalsozialistische Zellen zu bilden, um die Reichswehr zu beeinflussen, im Falle eines neuerlichen Putschversuches der Nazis auf diese nicht zu schießen, sondern »Gewehr bei Fuß« zu stehen und notfalls für sie Partei zu ergreifen. Große Publizität bekam der Prozess dadurch, dass das Gericht Adolf Hitler als einzigen der Zeugen zu der Frage vernahm, ob die NSDAP eine umstürzlerische Partei sei. Hitler erhielt dadurch die Gelegenheit, eine zweistündige Propagandarede vor dem Reichsgericht zu halten. Er durfte sogar, obwohl gegen ihn selbst ebenfalls ein Hochverratsverfahren wegen Nazi-Propaganda in der Reichswehr schwebte, seine Aussagen beschwören und damit so etwas wie einen mittelalterlichen »Reinigungseid« leisten.

      Als Staatssekretär Zweigert vom Reichsinnenministerium eine Denkschrift vorlegen wollte, die verschiedene Verbrechen und Umsturzpläne der Nationalsozialisten eindeutig belegte, lehnte der Senat das Beweismittel ab, »da diese Frage [zu deren Beantwortung man Hitler geladen hatte] für die Urteilsfindung in dem vorliegenden Fall nicht von entscheidender Bedeutung« sei. Hitlers zwei Stunden dauernde Polemik gegen die Demokratie blieb, obwohl nach dem Republikschutzgesetz strafbar, unbeanstandet; er konnte sogar offen androhen: »Wenn unsere Bewegung siegt, dann wird ein neuer Staatsgerichtshof zusammentreten, und vor diesem soll dann das Novemberverbrechen von 1918 seine Sühne finden, dann allerdings werden auch Köpfe in den Sand rollen.«62

      Das Reichsgericht bemühte sich im Urteil, eilfertig zu interpretieren, Hitler habe »dabei den nationalsozialistischen Staats­gerichtshof im Auge gehabt, der nach Erringung der Gewalt auf legalem Wege seines Amtes walten« werde. Diese »Legali­tät«, die Hitler »mit unzweideutigen Worten« garantiert habe, schien dem Reichsgericht durchaus glaubwürdig, »weil er bei dem wachsenden Verständnis, das Deutschland der völkischen Freiheitsbewegung entgegenbringt, ein illegales Vorgehen gar nicht nötig« hatte. In völligem Gegensatz zur sonstigen Ge­pflo­genheit des Reichsgerichts, seine Urteile so trocken und nüch­tern wie nur irgend möglich abzufassen, verfiel es bei der Dar­stellung von Hitlers Auftritt in offene Schwärmerei:

      »Die Wogen des stürmischen Empfanges, der Hitler auf dem Reichsgerichtsplatz bereitet wurde, schlugen bis in den Gerichtssaal. Ein großer Teil der Presse

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