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mehr und nicht weniger als das Ende des Vereins. Die Sechstklassigkeit ist also bis zum Jahreswechsel Burmeisters Idealvorstellung für die Zeit ab Sommer 2008. Nun gilt es Geld heranzuschaffen, es bleibt keine Zeit mehr, um diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die den Klub sehenden Auges in die Misere geritten haben. Von Misswirtschaft möchte Burmeister dennoch nicht sprechen: »Misswirtschaft hieße für mich, vorhandenes Geld mit vollen Händen auszugeben. Hier aber war kein Geld, was einzelne Fälle von Größenwahn nicht ausschließt.« Vor der Saison habe man einen Etat auf- und eine Mannschaft in der Hoffnung zusammengestellt, somit gut gerüstet die Plätze eins bis vier anzugreifen. Mit der Qualifikation für die dreigleisige vierte Liga vor Augen würden flugs weitere Sponsoren dazukommen, so das halsbrecherische Kalkül. Da der Klub meist eher remis spielte, wo er hätte gewinnen sollen, entstand die kalkulierte Euphorie jedoch nie.

      Allerdings wären die Rahmenbedingungen auch für einen Manager Hoeneß oder Allofs in Uerdingen schwer. Allein schon deshalb, weil das Viertel, das dem Verein den Namen gab, eben zu Krefeld gehört. Von dort aus sind es nur 21 Kilometer nach Mönchengladbach, 39 nach Duisburg, 60 nach Köln oder Schalke. Nicht nur, dass die Konkurrenz nicht schläft, sie logiert quasi im Nachbarhaus. Mancher Klub an Rhein und Ruhr könnte im Mittelkreis ein Skatturnier abhalten; es würde dennoch wohl Jahre dauern, bis nicht mehr alle zwei Wochen über 40.000 Zuschauer in deren Stadien pilgern würden. Beim KFC waren sie in der zweiten Liga froh, wenn so viele in einer Halbserie kamen.

      Doch mit dem Standort-Malus hat man zu leben gelernt. Schlimmer in der gegenwärtigen Krise wiegt der Umstand, dass die wenigen Krefelder Unternehmer, die überhaupt etwas mit dem Thema Fußball anfangen können, die Tür in etwa so freundlich öffnen, als hätten die Zeugen Jehovas um einen ausgiebigen Gesprächstermin über das Alte Testament nachgesucht. Die heimatliche Erde ist gründlich verbrannt für seinen Fußballverein, da macht sich auch Ivo Burmeister keine Illusionen: »Die Bank richtet dir kein Konto ein, die Druckerei, der du die Stadionzeitung bringst, lacht dich aus. Es ist nur noch frustrierend.«

      Das Schlimmste: Burmeister kann es ihnen nicht einmal verdenken. Bei der letzten Insolvenz 2005 haben die Gläubiger nur 0,2 Prozent der Summe zurückbekommen, die sie einmal in gutem Glauben in den Verein gesteckt hatten. Zwei Euro von 1.000. So richtig glaubwürdig kann dem Krefelder Mittelstand auch keiner erzählen, warum es diesmal anders sein sollte in Uerdingen. »Wer hier noch investiert, muss sich rechtfertigen«, so Burmeister. Er schlägt im Gespräch öfter die Hände über dem Kopf zusammen, wenn er über die jüngere Vergangenheit des Vereins spricht. Doch immerhin lacht er dabei.

      Im Grunde ging der wirtschaftliche Niedergang los, nachdem der Bayer-Konzern 1995 seinen Entschluss in die Tat umsetzte, in Zukunft nur noch den Bundesligisten aus Leverkusen zu unterstützen. Bayer Uerdingen benannte sich in KFC Uerdingen um, das »K« für Krefeld sollte die Verbundenheit der Stadt zum Verein symbolisieren. Doch die interessierte sich weiterhin lieber für Eishockey. Anfangs machten sie noch lustige Kinospots mit dem damaligen Trainer Friedhelm Funkel und Kapitän Horst Steffen im Superman-Kostüm, in denen sie den Verein als etwas ganz Neues bewarben. In Interviews erzählten sie, der Abschied vom Chemiekonzern, der in Wahrheit der Abschied des Chemiekonzerns war, werde dem Verein ein sympathischeres Image verleihen.

      Doch tatsächlich wussten wohl damals schon fast alle, dass es ihnen in Zukunft so gehen würde wie einem See, dem man die Frischwasserzufuhr kappt. Der Verein trocknete immer weiter aus. Gleich im ersten Jahr der Post-Bayer-Zeitrechnung stieg der frisch umgetaufte KFC aus der Bundesliga ab. Seither schwebt man sanft, aber scheinbar unaufhaltsam, in die Tiefe.

      10.000 Löffel, wenn man ein Messer braucht

      Dabei hat der Verein vor gar nicht allzu langer Zeit noch Fußballgeschichte geschrieben. Ein Highlight natürlich das legendäre 7:3 gegen Dynamo Dresden 1986. Ein Spiel, das die Uerdinger trotz eines 0:2-Rückstands aus dem Hinspiel und einem zwischenzeitlichen 1:3-Rückstand noch umbogen, weshalb das Match wohl nicht nur dem dreifachen Torschützen Wolfgang Funkel als »Spiel meines Lebens« in Erinnerung geblieben ist.

      Im Jahr vorher hatte der Verein bereits aufhorchen lassen, im Pokalfinale besiegte er die übermächtigen Bayern. Wolfgang Schäfer, ein behäbiger, aber nicht ungeschickter Stürmer, wachte am Morgen nach der Feier dezent verkatert in seinem Hotelzimmer auf, den Pokal hielt er immer noch eng umschlungen im Arm. 10.000 Bayer-Fans waren damals in Berlin, bei der Siegesfeier vor dem Krefelder Rathaus platzte die Party aus allen Nähten. Und beim nächsten Spiel nach dem Triumph kamen dann wieder nur 12.000.

      Solche Aperçus sind typisch für die Geschichte Uerdingens; kein Erfolg, der nachhaltig bliebe, kein freudiger Tag, der etwas länger hätte genossen werden können. Kaum eine eigene Leistung, deren Früchte man hätte ernten können. Wie bei Stefan Kuntz, Stéphane Chapuisat, Erik Meijer, Brian Laudrup, Marcel Witeczek, Oliver Bierhoff, Manfred Burgsmüller – ;die die Öffentlichkeit mit Kaiserslautern, Dortmund, Leverkusen, Bayern oder dem AC Mailand in Verbindung bringt. Doch sie alle wurden von Uerdinger Nachwuchstrainern oder Scouts entdeckt und haben ihre ersten Profijahre in der Grotenburg bestritten. Gebracht hat das dem Verein, der schon Ausbildungsverein war, bevor es den Begriff überhaupt gab, nichts. Meist noch nicht einmal halbwegs erträgliche Ablösesummen. Und schon gar keinen Platz im kollektiven Gedächtnis der Fußballnation.

      10.000 Löffel, wenn man ein Messer braucht; die schwarze Fliege im Chardonnay; der Gnadenspruch, der zwei Minuten nach dem Tod eintrifft – ;wenn Alanis Morissette das Wort »Uerdingen« aussprechen könnte, sie hätte dem Verein ihren Song »Ironic« gewidmet. Es war immer so in Uerdingen, sagt Burmeister, dass der Verein seine schlechteste Saisonleistung zeigte, wenn nach einer imposanten Siegesserie einmal doppelt so viele Zuschauer wie sonst angelockt wurden. Sie kamen niemals wieder.

      Zu allem Unglück verkörpert Uerdingen traditionell wenig, das sich in Mythen gießen lassen könnte. Der Klub ist kein Traditionsverein, in dessen Klubheim alte Herren erzählen, wie sie in den 1950er Jahren den Lokalrivalen geplättet haben. Uerdingen ist überhaupt erst Anfang der 1970er zum Namen im bezahlten Fußball geworden. Und ein Klubheim

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      Zumindest diese jungen Damen und Herren interessieren sich noch für den KFC.

      hat man auch nicht mehr. Uerdingen hat keine charismatischen Funktionäre, nicht einmal einen Calmund. Uerdingen hat keine besonders spektakuläre Fanszene, quantitativ schon gar nicht. Kurzum: Die gängigen, heimeligen Geschichten lassen sich über den KFC einfach nicht erzählen. Zumal nicht einmal die Akteure von einst sonderlich motiviert sind, von früher zu erzählen. Das Gefühl der Verbundenheit ist vielleicht auch deshalb unterentwickelt, weil die Cracks von einst im armen Uerdingen selbst als Erstliga-Profis nie besonders gut verdienten. Manch einer – ;so hört man in der Grotenburg – ;lebe heute als gescheiterte Existenz.

      Uerdingen, der geborene Verlierer. Das ginge ja noch, das müsste gar nicht einmal uncharmant sein. Doch ein Verlierer, der sich noch nicht einmal als Verlierer präsentieren darf? Der FC St. Pauli scheffele bundesweit Sympathien und damit Geld, ärgert sich Burmeister, mit einem Underdog-Image, das er aufgesetzt findet. St. Pauli, dieser Verein, zu dem sich Tatort-Kommissare, Politiker und jede Menge Rockstars bekennen. St. Pauli mit seinen zigtausenden von Fans. Uerdingen taugt einfach nicht für Stilisierungen. Nicht einmal das.

      Burmeister lacht. »Dabei ist der Underdog schlechthin doch Uerdingen.« Er stutzt: »Ich meine, das hier ist richtig Scheiße.«

      Prügel für den Grotifanten

      Die Liebe zu einem Fußballverein lässt sich nicht rational erklären. Burmeister hat die entsprechende Frage gewittert und ist fast ein wenig empört. Er will sich nicht erklären müssen, als habe er eine seltene Krankheit, deren Symptome dokumentiert werden müssen.

      Zumal jeder Fußballfan das Gefühl der Sinnlosigkeit kennt, wenn er durchgefroren in einen Zug steigt, der ihn sechs Stunden später irgendwo ausspucken wird als jemand, der am Wochenende die denkbar sinnloseste Form der Freizeitgestaltung gewählt hat. In einem unbequemen Bus an den Stadtrand einer reizlosen Stadt zu fahren, ein schlechtes Spiel zu sehen, die Niederlage zu quittieren, wieder nach Hause zu fahren. Und dafür noch Geld ausgegeben zu haben.

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