Скачать книгу

lassen. Zusammengenommen ergibt das: Eine Puppe von Rudolf Hannakampf, dem legendären Abwehrspieler aus den 1970er Jahren. Aber warum »Bratwurst-Rudi«? Der Legende nach, erläutert Rank, habe er, der unbedingt nach Bayreuth wechseln wollte, einst seinen Rauswurf beim 1. FC Nürnberg erzwungen, indem er sich in der Halbzeitpause eines Bundesligaspiels selbst auswechselte. Doch damit nicht genug: Anstatt mit seinen Kollegen in die Kabine zu gehen, reihte er sich brav im Trikot in die Schlange ein, die hungrige Fans am Wurststand bildeten. Wenig überraschend, dass er dort auffiel wie ein bunter Hund. Noch weniger überraschend, dass er kurz darauf suspendiert wurde.

      Zusammen mit Hannakampf spielte einst Wolfgang Mahr bei der Spielvereinigung. 271 Zweitligaspiele hat er als Torwart für die »Oldschdäder« bestritten, heute arbeitet er beim Verein. »Schreiben Sie doch bitte Geschäftsführer. Nicht Manager – so groß sind wir doch nicht.« Mit Armin Eck, der später bei Bayern München und dem HSV zu bescheidenem Ruhm gelangte, hat die Spielvereinigung einen weiteren prominenten Kicker hervorgebracht. Wie Hannakampf schaut auch er noch oft im Museum vorbei. Und sei es, um sich nach dem Zustand seines weinroten Ausgehanzuges aus HSV-Zeiten zu erkundigen, der hier im Museum mottensicher ausgestellt ist, »inklusive dem Inhalt der rechten Jackentasche«, grinst Rank und zaubert ein »Freident«-Kaugummi hervor. Eck trainierte zu Beginn der Saison den Erzrivalen aus Hof, nach wenigen Spieltagen flog er, das rechnen sie ihm hier im Bayreuther Fanmuseum noch immer hoch an.

      »Euer Stammbaum ist ein Kreis«

      Als die Spielvereinigung zuletzt in Hof spielte, war Eck noch deren Trainer. Und Menschen, für die Hof und Bayreuth bislang Dörfer in der Nähe von Böhmen waren, merken nicht unbedingt, warum die nördlichere Stadt nun Sodom und ihr Fußballverein Gomorrha sein sollte. Wie eben auch nur Menschen aus Bochum, Gelsenkirchen oder Dortmund fundamentale Unterschiede zwischen ihren Städten feststellen. Zurück

image

      »Bratwurst-Rudi« zu Ehren: Damit der einstige Publikumsliebling möglichst lebensecht aussieht, spendete ein Fan sein Brusthaar.

      nach Hof: Noch im Zug hatte ein Sachse in Erinnerung an seine DDR-Vergangenheit gewitzelt: »Hof, unerreichbar«, so habe man in seiner Heimatstadt Karl-Marx-Stadt früher gescherzt. Hof war der Grenzort, aus Sicht ausreisewilliger Ossis der Vorposten zum El Dorado. Aus westdeutscher Sicht der Arsch der Welt. Für die Bayreuther ist Hof mittlerweile seit fast 50 Jahren ein besonderer Bezugspunkt. Der Ursprung der Feindschaft soll der Legende nach im Jahr 1960 zu finden sein. Damals soll der erfolgreiche Bayreuther Stürmer Lindner von Hofer Funktionären regelrecht »entführt« worden sein, um die eigene Mannschaft zu verstärken. Der »Altstadt«-Trainer soll sogar noch zur Verfolgungsjagd geblasen haben. Er hatte jedoch das langsamere Auto.

      Je weiter die Menschen von Bayern entfernt wohnen, desto zwanghafter assoziieren sie das Bundesland mit den Klischees, die sie vom »Musikantenstadl« kennen. Aber nicht nur Edmund Stoiber und Florian Silbereisen stammen aus Bayern, sondern auch Hans Söllner und Gerhard Polt. Wer einmal in einer Dorfkneipe im Bayrischen oder Fränkischen war, vor der nicht allzu viele Autos mit ortsfremden Kennzeichen geparkt haben, merkt, dass das Bayern-Bild, das in den Volksmusik-Orgien transportiert wird, in etwa so viel mit der Realität zu tun hat wie Ivan Rebroff mit Russland. Im Selbstversuch empfiehlt sich das Vereinsheim eines bayrischen Fußballvereins. Nehmen wir das von Bayern Hof.

      Schon auf dem Weg ins Kneipeninnere schlagen einem Rauchschwaden entgegen. Eine Schiefertafel behauptet, es gebe hier Schweinsbraten oder Currywurst. Doch es isst niemand. Getrunken wird dafür umso mehr, aus Halblitergläsern versteht sich. Gesiezt wird hier niemand, das Klo ist auf dem Gang. Und gut besucht. Die Menschen, die hereinkommen, nicken allen Anwesenden kurz zu, ehe sie sich setzen, einige klopfen sogar vorher kurz auf jede Tischplatte. Beides passiert jedoch dezent und vergleichsweise leise, wer in Ruhe gelassen werden will, wird in Ruhe gelassen. Jeder andere kann sich nett unterhalten, am liebsten natürlich über Fußball. Doch die penetrant lärmende Fröhlichkeit aus dem Fernseher findet man hier nicht. Gott sei Dank.

      Draußen gießt es aus Kübeln, es ist empfindlich kalt. Wer seinen Terminkalender verlegt hat, würde nicht glauben, dass es Ende Juli und nicht November ist. Die Menschen aus der Kneipe kämpfen sich trotzdem zum Spiel. Mittlerweile hat sich herum gesprochen, dass bereits so mancher Fanbus aus Bayreuth am Stadion angekommen ist. In der Tat: Auf der Geraden stehen schon einige hundert Gästefans, beim Anpfiff werden es um die 1.000 sein.

      Eigentlich passt nichts in diesem Stadion zusammen: die flache Holztribüne nicht zur Gegengerade mit der künstlich aufgepflanzten modernen Haupttribüne, die nur ein Drittel der Geraden überspannt. Der flache Erdwall hinter der einen Kurve nicht zu der wohl steilsten und höchsten Kurve im deutschen Fußball, seit der Bökelberg zu Mönchengladbach von geschichtsvergessenen Modernisierungsfanatikern dem Erdboden gleich gemacht wurde. Und dennoch: Die Grüne Au ist eines jener Stadien, das Fußballhungrige aus Köln, Leipzig oder Hamburg dazu veranlasst, zu Fußballtrips nach England zu fliegen. Immerhin weiß ein Hofer Fan zu berichten, dass im Gegenzug auch schon britische Groundhopper ihre Aufwartung im östlichen Franken gemacht hätten. So kompliziert kann Globalisierung sein.

      Noch fünf Minuten bis zum Anpfiff. Nach »Run to the hills« von Iron Maiden läuft AC/DCs »Hell’s bells«, nach »Hell’s bells« kurz »Thunderstruck«, dann laufen die Spieler ein. Zur Halbzeit dann Motörhead, dessen Sänger Lemmy kürzlich all das sagte, was es über den US-Präsidenten zu sagen gibt: »Bush? Ich würde nicht einmal in seinen Mund pissen, wenn ich wüsste, dass seine Zähne brennen.« Das Spiel wogt hin und her, Bayreuth ist spielerisch überlegen, doch die Gastgeber halten dagegen, mit dem Endstand von 1:1 können schließlich alle Seiten leben.

      Mitte der ersten Hälfte zeigte sich allerdings, dass nicht alle Klischeevorstellungen über Bayern falsch sind. Denn da wurde ein Mann, der beim Pinkeln übersehen hatte, dass über ihm zehn Polizisten durchs Plexiglas der Tribünenabgrenzung lugten, nach allen Regeln der Kunst zusammengefaltet. Ein Beamter klopfte an die Scheibe, ein anderer wies den Mann minutenlang zurecht. Der wiederum, ein eher bemitleidenswert aussehender Mittvierziger mit angeklatschten schwarzen Haaren, war kurz davor, sich wie einst in der Schule zur Strafe in die Ecke zu stellen.

      Links neben ihm versuchte der Hofer Fanblock derweil, seine zahlenmäßige Unterlegenheit durch martialisches Gehabe zu kompensieren. »Wann? Wo?«, lautete eine per Transparent gestellte Frage, »Schwule« ein Ruf, »Gayreuth sucks« ein weiteres Transparent. Viel Stoff und viel Farbe für wenig Hirn. Dass man mit einem alten Bettlaken auch Intelligenteres zustande bringen kann, zeigte kurz darauf die Bayreuther Kurve mit einem selbst bemalten Schmäh-Transparent: »Euer Stammbaum ist ein Kreis!«

      Mit Pfeil und Bogen gegen Löwen

      Wie in Museen nicht unüblich, spielt die Vergangenheit auch in Bayreuth eine entscheidende Rolle. Und die der Spielvereinigung begann nicht erst 1985, als Armin Eck gegen den Ball trat. Ganze Aktenordner mit uralten Presseartikeln und Stadionzeitungen finden sich im Fanmuseum, an den Wänden prangen gerahmte Bilder von Menschen, an die sie sich auch nach Jahrzehnten noch gerne erinnern. Selbst wenn sie wie Jürgen Rank und viele seiner Mitstreiter noch gar nicht geboren waren, als die Aufnahmen entstanden.

      Doch Papa Rank, seit früher Jugend mit starken Eintracht-Frankfurt-Prägungen behaftet, ging bereits vor Jürgens Geburt in das abgerissene und mittlerweile zur Legende gewordene Stadion an der Jakobshöhe, das noch »Oldschdod«-Stadion hieß, als der Filius das Licht der Welt erblickte. Auch deshalb erzählt Rank junior die Geschichten, die sich dort abspielten, so authentisch, als sei er selbst dabei gewesen. Wie die vom Spiel gegen den 1. FC Nürnberg, als der Torpfosten brach, nachdem ein Spieler dagegen geschossen hatte. Der Pfosten wurde ersetzt und diesmal gleich eingemauert. Allerdings ein wenig zu gründlich: Der nur etwa 1,60 Meter große Gästetrainer Tschik Cajkovski konnte danach an die Latte fassen.

      Einiges zu erzählen gab es auch von einem Spiel gegen die Löwen: Jürgen erinnert sich, wie sein Vater mit Pfeil und Bogen im Anschlag vor der Wohnungstür ausharrte und jeden pinkelwilligen Löwen-Fan sofort lautstark auf die Bewaffnung aufmerksam machte. Ein anderes Mal lieferten sich die ’60er-Fans wilde Schlägereien mit der Polizei, indem sie ihre metallenen Gürtelschnallen in den Fanschal

Скачать книгу