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Das große Lise-Gast-Buch. Lise Gast
Читать онлайн.Название Das große Lise-Gast-Buch
Год выпуска 0
isbn 9788711508770
Автор произведения Lise Gast
Издательство Bookwire
Regine nannte die Stadt, in der sie mit Axel gewohnt hatte.
„Aber jetzt gehöre ich nach Grüningen, jedenfalls für ein Jahr“, setzte sie hinzu. „Grüningen in Westfalen. Ich kenne es selbst noch nicht. Es liegt hinter Kassel.“
„Grüningen? So. Wie heißt du denn?“ fragte der Herr und rührte in seinem Kaffee. Regine hatte sich auf seine Aufforderung hin an seinen Tisch gesetzt, obwohl es sie drängte, hinauszulaufen.
„Regine Habernoll“, sagte sie artig und fuhr zusammen, als er mit einem Ruck den Kopf hob.
„Habernoll? Habernoll heißt du?“
Regine nickte.
„So heiße ich nämlich auch. Und wie heißen die Leute, zu denen du fährst?“
„Westphal. Lehrer Westphal in Grüningen“, antwortete Regine ein wenig verwirrt. „Ich kenne sie noch nicht, aber die Frau ist eine Schwester meiner Mutter. Sie haben vier Jungen.“
„Westphal – so? Wie hieß denn deine Tante vor der Hochzeit – aber du wirst ihren Mädchennamen wohl nicht wissen? Doch wie deine Mutter hieß, ehe sie heiratete, das weißt du sicher! Willst du mir das sagen?“ fragte jetzt der Herr, nachdem er eine kleine Weile nachgedacht hatte.
„Meine Mutter hieß Hertha, und ehe sie Vater heiratete hieß sie Wiesner mit dem Familiennamen“, antwortete Regine. Im gleichen Augenblick, als sie das sagte, ging ihr ein Licht auf. Sie sah den Herrn aufmerksam an.
„Sind Sie vielleicht – ich glaube, ich weiß, wer Sie sind“, sagte sie. „Mein Onkel Henry, ja? Wir sprachen nämlich von Ihnen.“ Gleich darauf wurde sie rot, sie merkte es selbst, aber sie konnte es nicht verhindern.
„Ihr habt von mir gesprochen? Was denn?“ fragte der Herr. Sie blickte einen Augenblick in sein Gesicht. Es war, als funkelte es in seinen Augen, und die Brauen darüber zuckten ein wenig. War es ein Donnerwetter, das sich da ankündigte, oder war es ein Lachen, das noch nicht ganz herauskam? Regine war sich nicht klar darüber, eins aber zuckte gedankenschnell durch sie hin: So schlimm wie vorhin sah der Herr gar nicht mehr aus. Überhaupt nicht schlimm, man konnte sich sogar vorstellen, daß er nett aussehen konnte, so zum Beispiel, wenn er lachte, wie jetzt gerade.
„Wir haben halt von unsern Verwandten gesprochen, Axel und ich“, sagte sie rasch. „Aber ich muß jetzt weiter, entschuldigen Sie bitte. Die Wirtin...“
„Ausgerissen wird trotzdem nicht! Der Laden hier wird wohl auch ein Weilchen ohne dich weiterbestehen“, sagte er, und er sagte es so, daß Regine wirklich zögerte, fortzugehen. Man merkte, daß er ein Herr war, gewohnt zu befehlen. Es kam ihm wohl überhaupt nicht in den Sinn, daß jemand nicht sofort gehorchen könnte.
„Darf ich nicht – wenigstens, bis die Maria wieder da ist?“
„Gut, dann lauf! Aber komm gleich wieder!“ erwiderte Herr Habernoll und steckte sich eine Zigarre an. Regine rannte. In der Küche traf sie auf die Tochter der Wirtin, die soeben dabei war, der Mutter einen Umschlag um das verletzte Bein zu machen. Maria war also da. Aber es gab doch noch viel zu tun.
„Gelt, Sie brauchen mich noch?“ fragte sie die Frau. „Bitte, ich möchte Ihnen gern noch ein Wenig helfen.“
„Du bist ein guter Kerl“, sagte die Wirtin freundlich. „Aber du mußt erst einmal selbst frühstücken, dein Fahrer will sicher bald weiter?“
„Aber nein, dem eilt es nicht. Nur der andere, der Herr mit dem roten Wagen...“
Regine zögerte.
„Will er noch was.?“
„Ich habe nicht gefragt.“
„So, aber?“
„Er ist, glaube ich, mein Onkel“, sagte Regine langsam. „Er sagte jedenfalls zu mir...“
„Kennst du ihn denn?“ fragte die Wirtin und sah Regine an. „Nein. Ich habe ihn noch nie gesehen. Aber er fragte mich, wie ich heiße, und als ich es sagte, meinte er, er hieße auch so. Und dann hat er mich ausgefragt.“
„Na aber!“ sagte die Wirtin und schüttelte den Kopf. „So etwas! Nimm dich nur in acht, Kind! So unterwegs, da kann einem allerlei passieren. Was würde deine Mutter denn dazu sagen?“
„Ich habe keine Mutter mehr“, sagte Regine langsam, „auch keinen Vater. Meine Eltern sind auf einer Auslandsreise umgekommen, am selben Tag, bei einem Eisenbahnunglück. Aber ich habe noch einen Bruder“, fügte sie hastig hinzu, als sie die mitleidigen Gesichter der beiden Frauen sah. „Einen Bruder, dem hab’ ich bisher den Haushalt geführt. Er ist wirklich lieb und gut zu mir. Ja, und der hat gesagt...“, sie stockte.
„Was denn?“ fragte Maria, von der Wickelei an dem wehen Bein aufsehend.
„Ich darf mit niemandem Fremden reden“, gestand Regine kleinlaut. Und sie hatte doch geredet, gleich am ersten Morgen, an dem sie allein unterwegs war.
„Ich muß jetzt gehen“, sagte sie und wandte sich der Gaststube zu. Ihr Schritt war zögernd.
„Na?“ fragte Herr Burger, als sie an seinen Tisch trat.
„Müssen wir fort?“
„So allmählich wohl.“
In diesem Augenblick stand der Herr drüben am Fenster auf. Er knöpfte sich den mittleren Knopf seines Rockes zu, reckte sich ein wenig in den Schultern und kam dann herüber, quer durch die Gaststube. Regine sah ihm entgegen. Er machte dem Fahrer gegenüber eine kleine, mehr angedeutete Verbeugung.
„Habernoll. Ich habe gehört, daß meine Nichte Regine mit Ihnen unterwegs ist. Ich kann meine Reise ein wenig ändern und sie mitnehmen, dorthin bringen, wohin sie fahren muß. Nach Grüningen. Bitte geben Sie mir das Gepäck des Kindes! Sie brechen ja wohl auch jetzt auf.“
„Sicher“, sagte Burger und sah auf. „Aber mit dem Kind. Das Kind ist mir anvertraut und fährt mit mir.“
„Aber Mann, ich sage Ihnen ja, daß ich der Onkel bin, der Vetter ihres Vaters. Übrigens können Sie meine Papiere ansehen. Mein Name ist Habernoll, wie der dieses Kindes.“
„Von mir aus können Sie Schuster oder Schneider heißen oder auch Posemuckel. Das ist mir ganz Gottlieb Schulze. Und an Papieren können Sie haben und mir vorzeigen, was Ihnen Spaß macht“, sagte Burger mit Ruhe, „das Kind bringe ich nach Grüningen.“
„Aber Sie hören doch...“
„Fräulein, ich möchte zahlen“, sagte Burger seelenruhig. Gerade war die junge Maria ins Lokal getreten. „Bitte, hier, das Frühstück für das Kind und für mich. So, danke, das ist für Sie. Komm, Regele!“
„Halt! Regine, du bist doch schon ein Mensch mit Kopf und Verstand. Glaubst du wirklich, daß ich ein Schwindler bin? Ich heiße Habernoll, du kannst meinen Ausweis sehen.“
Regine war stehengeblieben, Burger auch. Er stand jetzt halb hinter ihr, wie ein getreuer Wächter. Regine fühlte es, und das gab ihr Mut.
„Vielleicht sind Sie mein Onkel Henry, das kann schon sein“, sagte sie und sah zu dem Herrn auf, mitten hinein in seine Augen, die von einem starken, stählernen Blau waren. Sie erkannte es mehr im Unterbewußtsein, erinnerte sich später aber sehr deutlich daran. Schade, daß diese Augen so finster blickten! Vorhin schon hatte Regine gedacht, er könnte ganz nett aussehen, wenn...
Verschüchtert fuhr sie fort: „Aber Axel, mein Bruder Axel, hat mir verboten, mit jemandem zu sprechen, den ich nicht kenne. Herr Burger soll mich hinfahren, hat Axel gesagt, und da bleibe ich bei Herrn Burger. Und er war so nett zu mir und hat mich behandelt, als wäre ich sein eigenes Kind. Was sollte Herr Burger denn meinem Bruder sagen, wenn er mich nicht selbst ablieferte? Gelt, Sie sind nicht böse.“