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gesprungen, so faßbeinig“, sagte er hinterher und nahm die Kappe ab. Durchgeregnet war er bis auf die Haut. „Ich hab’ halt zu gut gegessen.“

      „Was denn?“ fragte ich.

      „Eisbein mit Sauerkraut und sooo eine Maß dazu...“ Er deutete mit der Hand vom Boden. Mir wurde schwach. Und das vorm Springen!

      „Was willst du denn? Ich war eingeladen, brauchte nicht zu bezahlen.“

      Michael, der eine meiner Beinahesöhne, schenkte sich und seiner Frau zur Hochzeit eine Stute, Jola. Christoph und Schorsch hatten sie mit ausgesucht. Wir waren alle sehr stolz auf sie.

      Der Pferdekauf war vor sich gegangen, wie sich das gehört. Die drei Männer standen mit dem Bauern im Stall, sahen das Pferd an, sagten nichts. Daß der Preis, den der Besitzer forderte, viel zu hoch war, hatten sie natürlich anfangs gleich gesagt. Nun wurde geschwiegen. Von Zeit zu Zeit nahm einer den Hut, setzte ihn auf und lief hinaus – einmal der Bauer und ein andermal einer von den drei Kauflustigen. Der Preis wurde in Fünfzigmarkraten heruntergehandelt. Um die letzten hundert Mark wurde man nicht einig. Die drei verließen grußlos den Stall, das Gehöft und das Dorf und kamen heim. Ich wartete gespannt. „Na?“

      „Nichts na.“ Sie erzählten. Ich fand sie blöd. Wegen hundert Mark!

      „Teilt euch doch drein! Jeder kommt dem anderen mit fünfzig Mark entgegen!“

      Sie behaupteten, davon verstünde ich nichts. Das könnte man nicht. Man verlöre dann an Gesicht. Worauf ich mich ans Telefon hängte, dem Bauer versprach, ich würde fünfzig Mark drauflegen, wenn er auch um diesen Betrag zurückginge. Er willigte ein. Am anderen Tag holten wir Jola. Alles strahlte um die Wette.

      Jola gewöhnte sich gut ein, kam zum Hengst, nahm auf – das erste Mal – und erwartete im nächsten Frühjahr ihr erstes Fohlen. Das ist immer sehr spannend, und oft kommt man nicht aus den Kleidern, weil man dabeisein will und Nacht für Nacht wacht. Am liebsten fohlen die Stuten allein. Schorsch belauerte einmal eine von seinen Tag und Nacht. Wenn er nicht bei ihr sein konnte, mußte seine Frau ihn ablösen. Sie frühstückten auch getrennt. Eines Morgens, als beide nacheinander – der andere war im Stall – ihren Frühimbiß zu sich genommen hatten, übernahm Schorsch wieder die Wache.

      „Ach, trag mir doch die Milchkanne mit hinunter“, bat seine Frau. Schorschs Anwesen liegt direkt an der Straße, das Milchauto hält immer dort und nimmt die Kanne mit. Schorsch faßte mit an. Als er nach kaum drei Minuten wieder in den Stall kam, war das Fohlen gerade geboren.

      Es gibt Züchter, die dreißig Jahre lang züchten und keine Geburt miterlebt haben. Ein uns bekannter alter Bauer ließ sich schließlich den Lehnstuhl in den Stall tragen und hinter die Box der Stute stellen, deren Geburt längst überfällig war. In diesem Stuhl bezog er Posten. Nachdem er einmal kurz eingeduselt war, schrak er plötzlich auf – und sah das Fohlen, bereits auf den Beinen stehend, heftig an der Mutter saugen.

      Wir haben mehr Glück gehabt. Ich habe mindestens fünf Fohlengeburten miterlebt, obwohl Isländer womöglich noch scheuer sind als Großpferde. Sie als halbe Wildpferde haben das Gefühl, schwach zu sein in diesem Moment, und da wollen sie von niemandem beobachtet werden. Einmal war ich ganz allein zu Hause, als eine Stute das erste Mal fohlte. Ich stellte mich hinter die Hausecke und beobachtete sie, ohne daß sie es merkte. Vom ersten Moment an, da sie hin und her trat, im Kreis ging und sich dann niedertat, bis zu dem Moment, wo das Fohlen aufzustehen versuchte. Da hielt ich es nicht mehr aus, sprang zu und riß die Eihaut auf. Was ist man da glücklich und dankbar!

      Bei Jola ging es glatt, ohne Hilfe, aber die Komplikationen kamen hinterher. Sie nahm das Fohlen nicht an. Sobald es sich ihr näherte, biß sie nach ihm. Das tun manche junge Pferdemütter, vor allem, wenn das Euter schon straff voller Milch ist und es weh tut, wenn ein Fohlenmäulchen dranstößt. Daß es danach besser wird, kann man der Stute hundertmal sagen, so gescheit ist sie wiederum nicht, das zu glauben.

      Jedenfalls war es Jola nicht. Wir versuchten alles, schmeichelten mit ihr, hielten sie fest, versuchten abzumelken – das ging nicht, kein Gedanke daran! – und streuten Kleie auf das nasse Fohlen, damit sie es ableckte. Nichts half. Schließlich mußten wir sie in eine Box stellen, die mit einem Holzzaun von ihrer eigenen getrennt war, so daß sie das Fohlen sehen und riechen, es aber nicht erreichen konnte. Vielleicht gewöhnte sie sich daran. Sorgenvoll warteten wir, ob sie nicht zu Verstand kommen würde.

      Am nächsten Morgen ließ sie die Milch laufen, das war ein Glück, denn so gab es keine Euterentzündung. Aber an Trinkenlassen war nicht zu denken. So besorgten wir Milupa, und Michaels Frau, von uns „Mausel“ genannt, zog Agapi, so hieß das Fohlen, mit der Flasche auf. Das hört sich leicht an, ist aber nicht so romantisch, wie man es sich vorstellt. Alle zwei Stunden, auch nachts, muß das Fohlen getränkt werden, und es trank manchmal vier Flaschen hintereinander. Es war zwar sehr rührend zu sehen, wie Agapi ihrer Ziehmutter entgegenrannte, sobald diese erschien, aber deren Schlaf wurde stark beeinträchtigt, und sie ist nicht nur Hausfrau, sondern auch berufstätig. Wir anderen lösten sie manchmal ab, aber das war Agapi nicht recht. Deshalb suchten wir nach einer Amme, telefonierten und fuhren umher, und schließlich, nach etwa vier Tagen, hatten wir eine gefunden. Nun standen Agapi und ihre Pflegemutter zusammen in der Nachbarbox, streng beobachtet von Jola, und die erste Ziehmutter konnte wieder schlafen.

      Agapi ist groß und schön geworden, Michael reitet sie, wir lieben sie alle. Einmal hatte Mausel sie früh auf die Koppel gelassen, die ein wenig abschüssig ist, und Michael sah mittags nach ihr. Er fand sie mit einem Knüppel, der schräg durch ihre Brust gebohrt war, am Zaun stehend. Der Stock ich habe ihn selbst in der Hand gehabt, und mich hat geschaudert – war so dick wie ein Besenstiel und etwa einen halben Meter lang und ragte auf beiden Seiten aus dem Fell heraus. Michael entfernte ihn – er war dazu auch noch splittrig – und holte natürlich sofort den Tierarzt. Der wusch die Wunde aus, desinfizierte sie und verklebte die Ränder. Was keiner zu hoffen wagte: Agapi überstand den Unfall. Keine Blutvergiftung trat ein, die beiden Wunden heilten.

      Wie das Unglück passierte, haben wir uns lange nicht denken können. Michael fand schließlich eine Spur im nassen Gras, unten am Koppelzaun, da muß Agapi ausgeglitten und in ein Stück Zaun hineingerutscht sein. Trotzdem ist so etwas kaum vorstellbar und selten – noch seltener ist es jedoch, daß ein Pferd es übersteht. Da hat ihr der heilige Georg freundlich beigestanden!

      Wenn Schorschs Stuten zum Hengst müssen, reitet Christoph sie meist hin. Einmal sollte er zwei nach Ludwigsburg bringen, das sind etwa fünfzig Kilometer. Die Stuten mit Handpferd zu reiten, über Autostraßen und Bahnübergänge – er war damals vielleicht siebzehn Jahre alt –, das ist schon eine Aufgabe. Als ich davon hörte, bot ich mich sogleich an mitzureiten, die zweite Stute zu übernehmen, damit er es leichter habe. Christoph sah mich an, schluckte kurz und sagte dann: „Gut. Wenn du dir’s zutraust...“

      Ich war damals schon Großmutter. Mit einer Vernunft, die meine Jahre überstieg – so sagten meine Kinder –, nahm ich Abstand von diesem meinem heißen Wunsch. Ich war so gerührt, daß er nicht „Spinnst du“ oder „Das schaffst du nicht“ gesagt hatte, sondern, liebenswürdig, wie er ist, zustimmte. Ich habe später weitere Ritte gemacht, vor allem in Island, aber immer auf Robust- und nie auf Großpferden, die ich nicht so gewöhnt bin.

      Leidenschaftlich spielen wir Reitersuchen. Das ist ein Spiel, von uns erfunden, das uns immer aufs neue begeistert. Wenn einer von uns – meist Christoph oder die Ponyhoftochter – über Land reitet, sagt er nicht, welchen Weg er nimmt. Wir fahren dann nach einiger Zeit mit dem Auto nach. Es gehört zum Spiel, daß wir suchen müssen. Im Wagen hat man je nach der Jahreszeit heißen oder kalten Tee in der Thermosflasche, dick belegte Brote für den Reiter und Mohrrüben für das Pferd. Und nun wird gemutmaßt, wo der Reiter sein kann, und ausgespäht...

      Einmal spielten wir es im Winter. Ich hatte die damals noch ziemlich kleinen Jungen meiner Tochter im Wagen und hielt an einer Kreuzung, über die die Reiter vermutlich kommen würden. Dabei unterhielt ich mich mit den Jungen. Moritz, der mittlere, saß bei mir vorn. Ich fragte, ob er kalte Füße hätte.

      „Hm“, sagte er gleichmütig und lutschte weiter an seinem Gummibären.

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