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zu denen, die ihre Kinder überall als Erste sehen wollen: in der Schule, beim Sport, in der Musik – und auch beim Reiten. Es ist schön zu sehen, wie sie Fortschritte machen, wie sie sich immer mehr zutrauen und auch allmählich Besseres leisten. Aber das ist kein häßlicher Ehrgeiz.

      Unsere Kinder machten also das Abzeichen, und dann fingen die Turniere an. Himmel, war das eine Aufregung, als unser Jüngster das erste Mal „gemeldet“ hatte.

      Für Turniere werden Programmhefte gedruckt, in denen Pferde und Teilnehmer stehen; so auch für dieses. Die ganze Familie stürzte sich auf das Heft und suchte nach dem Namen des Zwölfjährigen. Da aber gab es eine Enttäuschung. Statt Christoph hatte man Christian hineingesetzt, und der Nachname lautete Böhm – wieso, ist uns immer schleierhaft geblieben. Also war es nichts mit dem Aufheben dieses ersten Dokumentes im Familienarchiv.

      Unser Jüngster ritt damals außer im Reitverein auch noch die Stute eines Bauern, ein ausgesprochen ländliches Pferd, das noch auf dem Acker arbeitete, aber bereits jahrelang in Turnieren gestartet war. Fanny ist ein Schatz, ruhig, vernünftig, ohne Mucken. Sie geht Dressur, springt und ist auch auf dem Geländeritt zuverlässig. Was sie nie leiden konnte, sind Fässer; über die springt sie nicht gern. Sonst aber macht sie bei Hindernissen im A-Springen keine Schwierigkeiten. (A bedeutet Anfänger, L leicht, M mittel und S schwer.) Christoph hatte also für A gemeldet, und wir borgten alles zusammen, was zur korrekten Reitausrüstung gehört: Hose, Jackett – das hatte „Onkel Heinrich“ gehört, dem Bruder eines mit uns befreundeten Reitkinder-Vaters, und es schlotterte etwas um die schmalen Schultern unseres Bürschleins. Aber was machte das! Eine Kappe, die über die Augen rutschte, so daß wir sie mit ein paar Seiten „Pferd und Reiter“ ausstopften, Gummireitstiefel und Gerte. Fertig. Sporen gab es noch nicht für ihn.

      Wir besaßen damals noch kein Auto und mußten uns bei jemandem einladen, der sowieso hinfuhr. Das Turnier fand etwa vierzig Kilometer von unserem Städtchen entfernt statt. Da wir immer zu mehreren auftreten, war das nicht einfach, klappte aber dann doch. Geladen voll Spannung fuhren wir los, wie immer viel zu spät, hatten Angst, das erste Auftreten unseres Jüngsten zu verpassen, rannten, kaum aus dem Wagen gestürzt, dem Turnierplatz zu und erreichten ihn noch zur Zeit. Das A-Springen begann gerade. Als Christoph mit seiner Fanny im Lautsprecher genannt wurde, klopfte uns allen das Herz so, daß man glaubte, man sähe es durch die Bluse hindurch randalieren.

      Nun war es keineswegs das erste Mal, daß eins meiner Kinder oder sogar mehrere in einem Turnier mitwirkten. Bisher aber hatten sie entweder nur in einer Gruppe mitvoltigiert, waren auf ihren Isländern außer Konkurrenz gestartet oder von der Turnierleitung aufgefordert worden, eine Pause auszufüllen. Christoph mit seinem kleinen Hengst Winnetou, einem Shetlandschimmel, den er fünf Jahre lang ritt, war schon bekannt beim Publikum. Winnetou hatte den Leuten oft Spaß gemacht, wenn er startete. Er hatte nämlich die Angewohnheit, wenn er springen sollte, bis nahe ans Hindernis heranzugaloppieren und dann stehenzubleiben, so daß es aussah, als röche er an der Stange. Wenn Christoph ihn dann trieb, sprang er doch noch, zwar aus dem Stand, steil, oft wie ein Ziegenbock mit allen vieren auf einmal, aber er sprang.

      Alles lachte.

      Auch gefahren hatte er ihn schon, das erstemal zufällig mit dem Bauern als Konkurrenz, dem die Fanny gehört und mit dem er seither gut befreundet ist. Schorsch, dieser Bauer, fuhr mit dem Einspänner seine Fanny, groß und hager im Wagen sitzend, mit der langen Peitsche vorschriftsmäßig Zeichen gebend, wenn es um die Ecken ging. Christoph im Dogcart mit Winnetou davor mußte sich beeilen, um Schritt zu halten, er hatte noch dazu die Außenbahn, und Winnetou setzte seine Hüfchen rasend schnell, um nicht zurückzubleiben. Es war ein Bild für Götter. Als die Disziplin zu Ende war, schöpfte das gesamte Publikum so hörbar Atem, als wäre es mit Winnetou gerannt.

      Jetzt aber startete unser Benjamin erstmals auf einem Großpferd. Als Mutter überschätzt man die Gefährlichkeit eines ländlichen Turniers haushoch; ich erinnere mich noch genau, daß ich immerzu nur Daumen hielt und vor mich hin sagte: „Nur nichts passieren lassen! Nur nicht stürzen!“, als wäre es mindestens ein M-Springen. Den großen Geschwistern ging es ähnlich. Ich fühlte den Ellbogen meiner ältesten Tochter an meinem – wer von beiden zitterte mehr? Jetzt: Flagge herunter. Die beiden gingen in Galopp. Im Halbkreis um die Bahn – erstes Hindernis – das waren Fäßchen! Wir hatten vorher gar nicht danach gesehen. Und prompt blieb Fanny stehen.

      So hatten wir uns das ja nicht gedacht. Gleichzeitig erleichtert und empört starrten wir auf das Unglaubliche – und hörten, wie Schorsch, der hinter uns stand, ärgerlich brummte: „Weck sie auf!“

      Das tat Christoph. Richtete rückwärts, trieb, zwang dem Pferd seinen Willen auf, und Fanny sprang. Über die Fäßchen, über das nächste Rick, über das übernächste – ruhig und unerregt ging sie ihren Parcours, und als die Ziellinie durchritten war, machte sich unsere überstandene Angst in wilden Ovationen Luft: „Bravo, bravo! Nur drei Fehler!“

      Das war das erste Turnier.

      Es folgten noch viele. Auch Steffi, die jüngste Tochter, startete – ich hatte manchmal nicht genug Daumen, die ich gern gedrückt hätte. Eine Zeitlang waren wir Sonntag für Sonntag ausgebucht, auf lauter kleinen, liebenswerten ländlichen Turnieren. Entweder Christoph oder Steffi oder Uli waren dabei und verschiedene Beinahesöhne und -töchter. Die größeren Kinder waren schon von daheim fortgewesen, als wir die Reiterei endlich beginnen konnten. Sie ritten zwar auch – in Uni-Reitställen oder Reitvereinen –, aber nicht auf Turnieren. Das besorgten die „Kleinen“, die schnell heranwuchsen.

      Einmal hatte Christoph in Ludwigsburg gemeldet. Ludwigsburg war für Süddeutschland damals das, was Aachen für den Westen war. Eine Ehre für ihn, überhaupt mitmachen zu dürfen. Bei der Dressur stand ich nahe am Richterwagen – das werde ich aber nie wieder tun. Man hört nämlich, was der Richter in die Maschine diktiert, und zwar diktiert er nur das Negative, also die Schnitzer. Ich weiß noch genau, wie er anfing: „Einreiten leicht schwankend“. Da wurde mir bereits blümerant. Und dann mußte ich alles, alles mit anhören, was da nicht ganz so klappte, wie es klappen sollte. Mir wurde immer schwächer. Ich wunderte mich nur, daß sie ihn nicht vom Platz verwiesen. Nachher hatte er aber doch eine gute Gesamtnote. Ja, man lernt nie aus...

      Inzwischen hatten wir eine Turnierhose gekauft, man kann ja nicht dauernd borgen gehen. Da er sie nur zu Turnieren trug, übersahen wir, daß er wuchs, ja, in einem Jahr geradezu schoß – das war das Jahr, in dem er von Winnetous Rücken Abschied nehmen mußte, einen für alle traurigen Abschied. Fünf Jahre waren sie unzertrennlich gewesen, die zwei. Gottlob wuchsen in den Enkeln neue Winnetou-Reiterlein nach. Ich sehe meine älteste Enkelin, damals zweijährig, noch auf Winnetou durch den Bach reiten, nur ein Unterhöschen an und auf dem Kopf einen hellblauen Südwester. Wir hatten Reitbesuch, und dessen Ponys wollten nicht durchs Wasser, da machte sie es auf Winnetou vor.

      Christoph also war sehr plötzlich gewachsen, und als er, wieder einmal in Ludwigsburg, Dressur ritt, sah ich mit Entsetzen, daß seine beiden Hosenbeine an den Knien einrissen und bei jedem Trabschritt, den Fanny machte, ratsch, ratsch, ratsch, ein Stück weiter aufgingen. Wenn ich nicht so gebannt auf ihn hätte schauen müssen, hätte ich wahrscheinlich mein Haupt verhüllt. Wie lange dauert eine Dressur? Ob er dann als Seppel mit nackten Knien da oben saß?

      Ganz so schlimm wurde es nicht. Die Richter hatten es zwar auch gesehen und schmunzelten, was mir sehr peinlich war. Ich sehnte den Schluß der Dressur herbei. Kaum war der Gehorsamssprung geschafft und der Reiter abgesessen, da zerrte ich ihn hinter ein Zelt.

      „Gib die Hose her, ich flick’ sie dir – zieh deine alten Jeans an.“ Er mußte ja noch zur Siegerehrung. Aber es erwies sich als fast unmöglich, auf einem Turnier Nadel und Faden zu beschaffen. Ich versuchte es im Bierzelt, beim Roten Kreuz und der Feuerwehr – nichts zu machen. Schließlich verließ ich den Turnierplatz und ging in Ludwigsburg von Haus zu Haus, klingelnd, bittend: „Hätten Sie vielleicht...“ Die meisten schlugen die Tür wieder zu, weil sie dachten, ich würde spinnen oder erlaubte mir einen dummen Witz.

      In einem Jubiläumsjahr des Ludwigsburger Reitvereins hatte er drei Siege und war damit erster ländlicher Reiter; er bekam die goldene Schärpe, die nur alle zehn Jahre verliehen wird. Wir platzten fast vor Stolz.

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