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Wetter war es wahrhaftig keine Strafe, so früh hinauszufahren.

      Sonst aber – ach ja! Sonst schon! Das ganze liebe Jahr um halb sechs Uhr los, fünfzehn Kilometer, wie Herr Burger gesagt hatte, bergauf, bergab – ein passender Omnibus fuhr nicht, und zur Bahn war es auch so weit, daß man lieber die ganze Strecke mit dem Rad fuhr und das Fahrgeld sparte. Denn Geld war knapp im Westphalschen Haus wie in allen, wo es viele Kinder gibt.

      Regine war, als die beiden hinter der Krümmung der Chaussee verschwunden waren, ins Haus zurückgeschlüpft. An der Schlafzimmertür blieb sie wieder horchend stehen. Drinnen rührte sich etwas. Sollte Mützchen aufgewacht sein?

      Nein, das war Hannesle. Der süße kleine Kerl – aber wenn er jetzt loslegte mit der für seine vier Jahre viel zu tiefen Brummbärenstimme, dann machte er ihr einen Strich durch ihre ganze Rechnung. Regine hielt den Atem an und öffnete zum zweitenmal an diesem Morgen ganz, ganz leise die Tür. Drei Schritte barfuß, bis zum Bett des kleinsten Vetters, sie kannte den Weg ja so gut. Immer legte sie ihn schlafen und holte ihn wieder heraus – richtig, er rührte sich. Regine war genau in dem Augenblick bei ihm, als er sein tiefes „Mützchen“ herausdröhnen wollte, und hielt ihm den Mund zu. Dann lud sie ihn kurzerhand auf den Rücken. Er gehorchte, halb schlafend, und schmiegte sich an sie.

      „So, mein Hannesle, warte, Regele trägt dich auf den Diwan! Dort kannst du schön weiterschlafen“, schmeichelte sie. Im Kinderzimmer schlief außer ihr noch Gottfried. Der ließ sich aber weder durch kaltes Wasser noch durch Kanonenschüsse wecken, ehe er richtig ausgeschlafen hatte. Regine brauchte gar nicht leise zu sein, als sie Hannesle auf den Diwan plumpsen ließ.

      „So, jetzt kommt aber der olle Baukasten weg. Nein, mein Hannesle, den kannst du jetzt nicht kriegen. Jetzt wird noch einmal geschlafen, hörst du? Na warte, jetzt wacht Mützchen aber bestimmt nicht auf!“

      Sie lachte und stopfte dem Kleinen die Bettdecke ringsum fest. Wenn er wirklich nicht wieder einschlief, war es auch nicht so schlimm, dann schnarchte er eben mittags etwas länger – nur hier festhalten durfte er sie nicht, und das versuchte er natürlich sofort.

      „Regele, erzähl, bitte, bitte! Erzähl mir was!“

      „Nachher“, flüsterte Regine, „nachher, Hannesle. Regele muß erst aufräumen, was von den Jungen noch alles herumliegt – und Frühstück machen. Was denkst du, was Mützchen sagt, wenn alles noch aussieht wie Kraut und Rüben!“

      Sie mußte aber doch noch ein bißchen bleiben, und es hockte sich so gut hier, den Kleinen, der sich an sie herangekuschelt hatte, im Arm.

      Nein, sie schlief schon nicht wieder ein! Ganz leise machte sie sich nach einer Weile los und schlüpfte hinaus. Jetzt schien die Sonne voll in die kleine, helle Küche hinein, und das Feuer brannte noch. Regine wusch sich nun richtig und ging dann mit einem fröhlich-eiligen und herzklopfenden Eifer daran, den Kaffeetisch zu decken und das Brot zu schneiden. Dabei behielt sie den Wecker im Auge, Mützchen und Onkel Hannes mußten natürlich zur rechten Zeit geweckt werden, sonst war es das letzte Mal, daß sie früh aufstehen durfte. Bald war Regine mit allen Vorbereitungen fertig, und sie hatte sogar noch eine Viertelstunde Zeit. Da begann sie ihren ersten Brief an Axel. Am Abend wollte sie ihn zu Ende schreiben, mit lustigen Zeichnungen zwischen den Zeilen.

      Alles klappte wunderbar. Mützchen machte ganz große Augen, als Regine sie weckte. Sie konnte ihr nur ganz kurz guten Morgen sagen und in Stichworten erzählen, was los war. Draußen brummte schon das Milchauto, mit dem sie nach Niederhausen in ihre Schule fuhr. Mit vor Aufregung roten Backen kletterte sie hinauf, als es vor dem Schulhaus hielt.

      Mützchen hatte gar keine Zeit gehabt, zu schelten.

      Natürlich holte sie es mittags nach, als Regine wiederkam. Aber sie schalt liebevoll und lustig, ja, und dankbar. Es hatte ihr wahrhaftig gutgetan, einmal länger zu schlafen. Onkel Hannes hörte sich das Hin und Her seiner Frauen, wie er jetzt stolz zu sagen pflegte, eine kleine Weile in seiner ruhigen Weise an, ehe er eingriff. Dann aber nahm er Regines Partei.

      „Sie kann ruhig einmal eine Zeitlang früh aufstehen, damit du Ruhe hast“, entschied er schließlich. „Sieh doch, was sie für rote Backen hat! Und nachmittags legt sie sich dann ein bißchen mit Hannesle hin. Ja, das tust du aber, Regele, sonst ziehe ich meine Erlaubnis zurück!“

      Man kam am Ende überein, daß die beiden mit dem Nachtdienst, wie Onkel Hannes das Frühaufstehen nannte, abwechseln sollten. Immer jedes eine Woche lang. Regine fand auch bei den Jungen Unterstützung. Es habe alles großartig geklappt. Regele war froh, daß sie wenigstens das erreichte.

      Es war schön hier in Grüningen im Schulhaus, schön und fröhlich. Regine hatte ein wenig Angst gehabt, sie gab sich das jetzt zu. Angst vor dem Heimweh nach ihrem kleinen Dachzimmer mit Axel, nach Axel natürlich in erster Linie! Aber es war eine überflüssige Angst gewesen. Westphals waren herzlich und vergnügt und gar nicht kleinlich, sie hatten die kleine Verwandte lieb und bereitwillig aufgenommen, nicht nur in ihr Haus, sondern gleich an ihr Herz, „der Einfachheit halber“. Ach, und das Schulhaus lag so schön zwischen dem Spielhof und dem dreieckigen Garten mit den blühenden Bäumen und den vielen, vielen Sträuchern am Zaun entlang, mit dem Flieder, der jetzt bald aufbrechen würde, und der mit Klematis und Glyzinien bewachsenen Laube, in der man Schularbeiten machen oder auch lesen konnte, während die Bienen summten!

      Onkel Hannes war still, aber in einer freundlichen Art still. Um so lebhafter war Mützchen. Klein und lachlustig, ein richtiges Mützchen. Eigentlich kam der Name von ihrer Vorliebe für Kaffee. Einer der Jungen hatte sie einmal „Kaffeemützchen“ genannt. Das aber war zu lang, und es blieb bei Mützchen. Mützchen war nun einmal ein Mützchen, süß und vergnügt und so richtig etwas zum Liebhaben.

      „Aber den Abwasch mache ich noch mit fertig. Nein, Mützchen, sonst ist ja alles für die Katz?“ bettelte Regine, als sie sich schließlich geeinigt hatten. „Überhaupt, so eine Kleinigkeit!“

      Sie setzte es durch. Klipp, klapp, räumte sie die Teller und Bestecke ein und erzählte dabei von der Schule, und dann lief sie hinüber zum Hannesle, der nach Tisch in Gottfrieds Bett im Kinderzimmer schlafen sollte, rückte das Bett an ihren Diwan und erzählte die am Morgen versprochene Geschichte. Darüber fielen ihr nun auch die Augen zu, sie war müde, aber glücklich müde.

      Regine hatte kaum geschlafen, so meinte sie, als jemand sie an der Schulter rüttelte. Ganz benommen versuchte sie, die Augen aufzureißen. Dieter stand vor ihrem Diwan. Er guckte auf sie herunter, ein wenig mitleidig.

      „Regele, wach auf, es ist Besuch da!“

      Heute war Mittwoch nachmittag, keine Schule. Hannesle schlief, das sah sie als erstes. Dann aber sah sie Dieters Gesicht und wurde sogleich munter.

      „Was denn für Besuch? Was ist denn los?“

      „Ein Onkel. Du, Regele, ich weiß nicht – gehorcht habe ich nicht, aber die Tür stand auf. Vielleicht ist es besser, du weißt Bescheid.“

      „Was gibt’s denn?“ fragte Regele erschrocken. Dieters Stimme klang so ernst.

      „Er will dich mitnehmen. Er sagt, er kennt dich. Kennst du einen Onkel Henry?“

      „Ja!“ Regele hatte plötzlich runde Augen. „So ein eleganter Mann in einem dunkelroten Wagen?“

      „Ja, der Wagen steht draußen. Regele...“

      „Das ist doch auch ein Onkel von euch – oder nicht? Ach nein, höchstens um die Ecke herum. Er ist der Vetter meines Vaters. Wenn es stimmt, heißt das! Aber es kann sein, daß es stimmt.“

      Sie hatte nie von der Begegnung auf der Autobahn erzählt. Axel hatte ihr doch so eindringlich gesagt gehabt, daß sie mit keinem fremden Menschen sprechen durfte. Jetzt erzählte sie, und Dieter saß nachdenklich auf dem Fensterbrett, hörte zu und sagte nichts. Er sah in diesem Augenblick seinem Vater sehr ähnlich.

      „Ich gehe aber nicht mit, ich will nicht fort!“

      „Du, Regele. Er ist übrigens wirklich dein Onkel“, sagte Dieter nach einer

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