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es sofort dem selig aufschreienden Hannesle auf die Decke. Und ein Ball! Und unten drin sogar ein Kleid, ein buntes Dirndl, sogar in der richtigen Größe. Regine freute sich sehr.

      „Der Onkel ist lieb!“ brummte Hannesle. Es war die reinste Weihnachtsbescherung. Zuletzt fanden sie noch ein Päckchen Kaffee für Mützchen, eine Schachtel besonders gute Zigaretten für Onkel Hannes und für jeden der großen Jungen ein Buch.

      „Wart, den Krempel trage ich jetzt erst raus“, sagte Regine, indem sie auf die Berge von Packpapier, Pappe und Holzwolle zeigte, und raffte alles zusammen. Dabei fiel noch ein Brief heraus, der an sie gerichtet war. Sie ließ ihn vorläufig liegen.

      Am Abend erzählten sie Onkel Hannes bei Tisch, was für Herrlichkeiten gekommen wären. Er hörte ein bißchen zerstreut zu.

      „Und was schreibt er denn?“ fragte er schließlich.

      „Ach!“ Regines Gesicht verdunkelte sich ein wenig. „Ich soll ihm immer einmal schreiben. Und in den großen Ferien soll ich ihn besuchen. Ich fahr’ aber nicht. Wenn der vielleicht denkt...“

      „Der sagt man nicht von einem Erwachsenen“, verwies sie Onkel Hannes. „Das ist nicht höflich, hörst du? Und schreiben mußt du ihm selbstverständlich, wenn er dir so schöne Sachen schickt.“

      „Ja, aber der – er braucht nicht zu denken...“

      „Er meint es doch bestimmt gut mit dir. Nein, Mützchen, danke, ich esse nicht mehr.“

      „Hast du Ärger gehabt, Hannes?“ fragte Mützchen vorsichtig.

      „Ärger? Wieso? – Übrigens ja, sogar einen dicken. Denk dir nur...“ Onkel Hannes ging hinüber zum Bücherregal und holte sich seine kurze Pfeife herunter. „Haben uns die Bengel doch wahrhaftig die Fensterscheibe im Keller eingeworfen. Und keiner ist es gewesen. Ich habe ausdrücklich gesagt, was in der Pause passiert, bezahle ich. Denn ich erlaube das Ballspielen nun einmal, und dabei kann es geschehen. Denkst du, die Kerls kommen zu mir? Nein. Da wird geleugnet und gelogen, dabei haben sie es doch gar nicht nötig. Das hat mich so gekränkt.“

      „Das ist aber auch häßlich“, sagte Mützchen betrübt.

      „Heute wollte ich eine Wanderung mit ihnen machen“, fuhr Onkel Hannes fort, „aber ich habe sie abgeblasen. Wenn es keiner war, braucht auch keiner den Spaß zu haben.“

      Regine saß ganz still. Sie verstand selbst nicht, warum sie nichts sagte, aber sie konnte nicht. Vorhin hatte Onkel Hannes ihr ein wenig kurz die Meinung gesagt. Dies war das erstemal gewesen, seit sie hier war. Sie kannte ihn sonst nur heiter und kameradschaftlich. Es war, als habe er sie damit in ein Schnekkenhaus gescheucht.

      Sie drückte sich nach dem Essen still davon. Einem aufmerksamen Beobachter wäre das bestimmt aufgefallen. Mützchen jedoch dachte, sie liefe eben zum Hannesle hinauf. Das tat Regine auch, aber sie enttäuschte den Kleinen trotzdem. Sonst hatte sie immer den Kopf voller Einfälle und Schnurren. Heute aber saß sie auf dem Rand des Diwans und starrte vor sich hin.

      „Regele“, lockte der Kleine. „Regele! Bist du meine Swester?“

      Sie hatte ihm das beigebracht. Ein Weilchen pflegte sie dann mit „Nein!“ zu antworten, und er mußte dann furchtbar betrübt tun. Schließlich sagte sie dann „Ja!“, und sie fielen sich um den Hals. Heute war gerade dies ein Spiel, das ihr wenig zusagte.

      „Ach, Hannesle – ich wünschte, ich wäre es!“ seufzte sie und legte ihren Kopf neben den Kleinen in das Kissen. „Aber paß auf, eines Tages muß ich fort. Onkel Henry...“

      Und nun fing sie an zu weinen. Onkel Henry, die zerbrochene Scheibe, die verpatzte Wanderung – die Grüninger Jungen konnten ja schließlich nichts zugeben, was sie nicht getan hatten –, was aber nützte es ihnen, wenn sie, Regine, es Onkel Hannes jetzt sagte? Natürlich hätte sie es tun müssen, aber sie meinte, sie könne es nicht. Er hatte heute so streng ausgesehen.

      Und sie müsse an Onkel Henry schreiben, hatte er gesagt. Das beschwerte Regines Herz fast am meisten. Wenn sie unhöflich schrieb, würde Mützchen schelten und verlangen, daß sie einen zweiten Brief schrieb. Und wenn sie lieb und dankbar schrieb, dann käme Onkel Henry womöglich gleich und nähme sie doch mit.

      „Was hast du denn, Regele?“ fragte Mützchen natürlich am Abend, als sie „gute Nacht“ sagen kam. Und ebenso natürlich antwortete Regine, so harmlos erstaunt, daß man sofort wußte, es war etwas:

      „Ich? Wieso? Nein, ich habe nichts.“

      Onkel Henry findet einen Ausweg

      „...und ich kann dies alles nur deshalb so sehr genießen, weil ich weiß, daß es Dir auch gutgeht. Ich bin sehr, sehr schwer von Dir fortgefahren, wie schwer, das kannst Du sicher gar nicht verstehen. Jetzt aber, wo Du schreibst, es wäre so schön und lustig und wie eine richtige Heimat in Grüningen, jetzt bin ich furchtbar gerne hier. Es ist ja auch so traumhaft, daß mir dies vergönnt ist. Später nehme ich Dich mal mit hierher. Am besten gefällt mir...“

      Regine sah auf. Mützchen hatte gerufen. Heiß lag die Sonne über dem sommerlichen Garten. Regine trug nur einen bunten Luftanzug, den Mützchen ihr genäht hatte. Sie war schon ganz braun gebrannt.

      „Ja, ich komme!“

      Sie rannte nicht, sondern ging ein wenig zögernd über den Rasen. Seit der dummen Geschichte mit der Scheibe war alles anders geworden. So richtig fröhlich konnte man nicht mehr sein.

      Mitunter vergaß man es, beim Spielen oder über einem spannenden Buch, im allgemeinen aber blieb auch da noch eine Stelle im Magen – oder war es auf dem Herzen? –, wo es drückte.

      „Regele! Wo steckst du denn? Wir bekommen Besuch!“ erzählte Mützchen eifrig. „Onkel Henry hat angerufen.“

      „Oh!“ sagte Regine erschrocken. Mützchen lachte gutmütig.

      „Aber Regele, er tut dir doch nichts. Zu dumm, solche Angst zu haben! Ich geb’ dich doch nicht her!“

      „Ich“, sagte sie, nicht „Wir“. War das Zufall? Oder ahnte Onkel Hannes etwas?

      „Jetzt sag’ ich es wenigstens ihr“, dachte Regine, aber sie kam nicht dazu.

      „Flink, trag den Kuchen zum Bäcker! Warte, hier ist das Netz! Und bringe dreißig Brötchen mit! Aber lauf, mein Regele, fix, hörst du? Du mußt dann noch den Tisch in der Laube decken.“

      Regine lief, wenigstens, solange Mützchen sie sehen konnte. Dann verfiel sie in einen langsamen, nachdenklichen Trott. Es jetzt zu sagen, war viel schwieriger als damals, das war ihr klar. Onkel Hannes war sicher sehr, sehr böse, daß sie so lange geschwiegen hatte. Wenn Onkel Henry sie nun mitnähme, dann brauchte sie diese Geschichte nie zu erzählen.

      Regine grübelte. Wenn Onkel Hannes nur damals nicht gesagt hätte, Verschweigen wäre viel, viel schlimmer als die dumme Sache selbst! Passieren könnte das jedem, aber man müßte auch den Mut haben, es zuzugeben.

      Nein, jetzt konnte sie es nicht mehr sagen. Und da war es vielleicht wirklich besser, sie ließ sich von Onkel Henry mitnehmen, wenn er sie tatsächlich noch haben wollte.

      Regine fühlte, wie ihr die Tränen kamen, wenn sie dies alles zu Ende dachte. Fort von hier, von Hannesle – das vor allem, das war das Schlimmste! –, aber auch fort von Mützchen und den großen Jungen. Und fort von Gottfried, mit dem sie so viele Pläne geschmiedet hatte für die großen Ferien, und fort von dem lieben, waldumschmiegten Grüningen, das ihr so schnell zur Heimat geworden war. Und schließlich auch fort von Onkel Hannes, den sie liebte und bewunderte, vor allem, wenn er Klavier spielte und diesen schönen, fernen Glanz in die Augen bekam.

      Onkel Henrys Wagen war schon da, als sie vom Bäcker zurückkam. So hatte Mützchen doch selbst den Kaffeetisch dekken müssen? Nein, sie saß noch mit dem Besuch im Wohnzimmer. Regine baute die Tassen auf das Brett und balancierte es zur Küchentür hinaus. Mützchen sollte sich wenigstens auf sie

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