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      »Vielleicht auch einfach nur, weil du der größte Spinner bist, der mir jemals begegnet ist.« Ihre Stimme war liebevoll.

      Als sie ihm einen Kuss auf die Lippen hauchte, war das für mich der Augenblick, das Weite zu suchen. »O-kay, ich lasse euch dann wohl besser allein.« Immer noch schrecklich müde, stand ich von der Couch auf, um mich aus dem Staub zu machen.

      »Du musst nicht gehen.« Grace war wie immer darum bemüht, dass ich mich nicht wie das fünfte Rad am Wagen fühlte. »Noah wollte gleich Frühstück machen.«

      Der Angesprochene sah irritiert zwischen uns hin und her. »Wollte ich das?«

      »Jap, wolltest du.« Grace lächelte so zuckersüß, dass auch ich ihr nichts hätte abschlagen können.

      Noah seufzte leise. »Du hast es gehört, Em. Ich mache gleich Frühstück, und du bist herzlich eingeladen.«

      »Klingt verlockend, aber ich bin mit Annie verabredet.«

      »Um diese Zeit?« Grace sah mich mitleidig an.

      Niemand außer Annie würde Verabredungen an einem Wochenende auf den frühen Morgen legen. »Das ist schon okay.« Ich war zwar todmüde, konnte aber sowieso nicht schlafen. Die Erinnerungen an die vergangene Nacht tanzten noch viel zu lebendig durch meinen Kopf.

      Als ich den kleinen Coffeeshop am Rande des Campus betrat, wartete Annie bereits an einem Tisch in einer abgeschirmten Ecke auf mich. Vor ihr standen zwei große Becher. Sie schob einen in meine Richtung, kaum dass ich mich gesetzt hatte.

      Der wohlige Duft von Kräutertee stieg mir in die Nase. »Du bist ein Engel.« Gierig nahm ich einen Schluck, bevor ich mich aus meinem Mantel schälte. »Dafür besorge ich uns gleich Donuts.«

      »Danke, aber ich habe schon gefrühstückt.« Annie strich sich eine dunkle Locke aus der Stirn, während sie mich eingehend musterte. »Willst du darüber reden?«

      »Worüber?« Hatte sie einen sechsten Sinn entwickelt und sah Menschen an, wenn sie Sex gehabt hatten, den sie am nächsten Tag schrecklich bereuten? Das war eine ziemlich gruselige Vorstellung.

      »Hast du heute Nacht geschlafen?« In ihrer Stimme lagen ehrliches Interesse und so viel Empathie, wie ich sie nur von Annie kannte. Von all meinen Freunden war sie diejenige, die ein besonderes Gespür dafür hatte, wenn mit jemandem etwas nicht stimmte. »Du musst nicht drüber reden, aber manchmal hilft das.« Lächelnd nahm sie einen Schluck aus ihrem Becher. »Danach erzähle ich dir von den neuesten Marsha-Katastrophen.«

      Marsha war ihre Mitbewohnerin aus der Hölle. Sie war laut, unangenehm extrovertiert, brachte ständig neue Typen mit nach Hause und machte keinen Hehl daraus, dass sie Annie für eine langweilige Streberin hielt. An guten Tagen ignorierten sich die beiden, an schlechten war Marsha einfach nur ekelhaft zu ihr. »Was hat sie jetzt wieder getan?«

      »Du willst ablenken.« Annie zwinkerte mir über den Rand ihres Kaffees hinweg zu. »Dann hat es was mit Josh zu tun.«

      Die ganze Geschichte unserer unrühmlichen Vergangenheit kannte nur Grace. Annie wusste jedoch, dass ich seit unserer gemeinsamen Highschool-Zeit in Newark nicht gut auf ihn zu sprechen war. Mehr als einmal hatte sie mit mir die Mensa verlassen, sobald Josh aufgetaucht war. Dass sie meistens keine Fragen stellte, rechnete ich ihr hoch an. Heute war jedoch anscheinend nicht meistens.

      »Ich bin ihm gestern Abend über den Weg gelaufen.«

      »Auf der Verbindungsparty?« Annie verzog das Gesicht. »Wäre ich doch bloß mitgekommen.«

      »Nein, das ist schon okay.« Vielleicht hätte sie als mein Puffer verhindert, dass ich mit Josh im Bett gelandet wäre, aber ich konnte es ihr nicht ankreiden, dass sie keine Lust auf diese Veranstaltungen hatte.

      »Du bist aber nicht allein hingegangen, oder?« Die Sorge in ihrer Stimme war rührend. »Allein auszugehen, ist gefährlich, Em.«

      »Es war nur eine Party. Ich bin nicht der Mafia beigetreten.« Auf keinen Fall würde ich Annie erzählen, dass ich ohne Begleitung nach Hause hatte laufen wollen – bevor Josh diesen Plan durchkreuzt hatte. »Drei Mädchen aus meinem Zeichenkurs waren dabei.« Dass ich die alle im Verlauf des Abends verloren hatte, erzählte ich Annie besser nicht.

      »Okay, gut.« Sie wirkte beruhigt, während sie mich über den Rand ihres Bechers beobachtete.

      Manchmal vergaß ich, dass Annie so ganz anders aufgewachsen war als Grace und ich. Ihre Großmutter hatte sie aufgezogen und erfolgreich von allem abgeschirmt, was für Kinder und Jugendliche normal war. Annie war nicht einmal auf eine staatliche Schule gegangen. Sie öffnete sich zwar mit jedem Tag mehr, doch eine Studentenparty war immer noch eine große Sache für sie.

      »Also ... Josh? Hast du mit ihm gesprochen?«

      Meine erste Reaktion war ein ungläubiges Lachen. Ja, so konnte man es auch ausdrücken. Gesprochen hatten wir. Jedenfalls anfangs. »Du hast mich nie gefragt, was zwischen Josh und mir passiert ist. Warum nicht?«

      »Wenn du darüber reden willst, wirst du das irgendwann tun.« Annie klang, als wäre es ganz normal, dass es Dinge in meinem Leben gab, die ich nicht teilte. »Es ist deine Entscheidung und nichts, wozu ich dich drängen sollte.«

      Mit einem Mal wollte ich ihr davon erzählen. Musste es sogar. Um vielleicht begreifen zu können, wie ich letzte Nacht diese riesige Dummheit hatte machen können. »Josh war mein allererster Freund. Ich war sechzehn, er siebzehn. Wir waren auf derselben Highschool in Newark.«

      Annie lächelte mir aufmunternd zu, während ich versuchte, die richtigen Worte für etwas zu finden, das mich mehr als alles andere auf der Welt verletzt hatte.

      »Er war damals schon der große Football-Star.« Bei der Erinnerung an all die Mädchen, die stets versucht hatten, seine Aufmerksamkeit zu erregen, seufzte ich leise. »Und er hatte eine Freundin. Vanessa. Was mich natürlich nicht davon abgehalten hat, mich in ihn zu verlieben.« Gedankenverloren rührte ich mit dem kleinen Holzstäbchen in meinem Tee herum. »Ich habe mir nie irgendwelche Chancen ausgerechnet.«

      Zum ersten Mal, seit ich meine unrühmliche Geschichte begonnen hatte, unterbrach Annie mich. »Warum nicht?«

      »Weil er eine Freundin hatte und hundert andere hätte haben können.« Vielleicht war es ein blödes Klischee, dass gutaussehende Sportler für jedes Mädchen an der Highschool die ultimative Beute waren. In Joshs Fall hatte dieses Klischee leider der Wahrheit entsprochen. »Ich war mir sicher, dass er nicht mal wusste, wer ich bin.«

      »Aber das tat er doch?«

      Bei der Erinnerung an den Abend, der alles zwischen ihm und mir verändert hatte, nickte ich. »Auf einer Party hat er sich zu mir gesetzt. Wir hatten so viel Spaß, und später hat er mich nach Hause gebracht. Du kannst dir nicht vorstellen, wie aufgeregt ich war.«

      »Das kann ich tatsächlich nicht.« Annie lächelte gequält.

      »Sorry, tut mir leid.« Vor einigen Monaten hatte sie Grace und mir gestanden, dass sie noch nie einen Freund gehabt hatte. Für uns völlig okay, war es für Annie manchmal schwierig, dass ihr so viele Erfahrungen fehlten, die die meisten bereits als Teenager machten.

      »Er hat dich nach Hause gebracht. Und dann?« Wenn meine unsensible Bemerkung sie verletzt hatte, ließ sie es sich nicht anmerken.

      »Am nächsten Tag hat er mich angerufen. Bis heute weiß ich nicht, woher er meine Nummer hatte.«

      »Und seine Freundin? Vanessa?«

      Den Vanessa-Teil hatte ich tatsächlich vergessen. Aus gutem Grund. Wenn ich an sie dachte, konnte ich meine Eifersucht selten unterdrücken. »Josh hatte sich kurz zuvor von ihr getrennt. Sie war furchtbar, und das sage ich nicht nur, weil ich ihn mochte. Vanessa war eines von den Mädchen, die anderen gern das Gefühl geben, klein und unbedeutend zu sein.«

      »Hm.« Annie legte die Stirn in Falten. »Dann erscheint es logisch, dass sie sich an den gutaussehenden Sportler herangemacht hat, der bei allen beliebt war.«

      So

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