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egal. Als er mich nach wenigen Metern eingeholt hatte, fasste er mich an den Schultern und zog mich zu sich herum. Durch den abrupten Stopp drohte ich, die Balance zu verlieren, doch bevor ich hinfiel und mich damit noch lächerlicher machte, schlang Josh seine Arme um meine Taille.

      Das letzte Mal hatte er mich vor vier Jahren berührt, doch mein Körper schien sich noch gut daran zu erinnern, wie es war, von ihm gehalten zu werden. Mein Atem ging schwer, was nicht nur an meinem Spurt lag. Obwohl ich wusste, dass ich mich von ihm losreißen und ihm am besten gegen das Schienbein treten sollte, tat ich nichts davon. Mit einem Mal war ich wieder das dumme, naive, sechzehnjährige Mädchen, das allein durch Joshs Nähe drohte, seinen Verstand zu verlieren.

      »Em.« Er lockerte den Griff und streckte die Hand aus, fast so, als würde er meine Wange berühren wollen. Kopfschüttelnd, als wäre ihm bewusst geworden, was er da tat, ließ er sie wieder sinken. »Können wir reden, Em?«

      Joshua Sanders hatte viele Attribute, die für ihn sprachen. Den Körper eines Sportlers, die wirren dunkelblonden Locken, die immer so aussahen, als wäre er eben erst aufgestanden. Das markante Kinn, die vollen Lippen ... Mein persönlicher Untergang waren jedoch schon immer seine braunen Augen gewesen, die jede Gefühlsregung preisgaben. Josh mochte ein Meister darin sein, seine Gedanken vor der ganzen Welt zu verbergen, aber seine Augen verrieten ihn, wenn man ihn kannte. Gefangen in seiner Umarmung, beobachtete ich den Sturm in seinem Blick. »Was willst du von mir, Josh?« Meine Stimme war überraschend fest und klar, wie ich es mir selbst in dieser Situation kaum zugetraut hätte.

      »Können wir ...« Er stockte und rieb sich mit der Hand, die eben fast meine Haut berührt hatte, nervös über den Hinterkopf. »Kann ich es dir erklären?«

      Ungläubig trat ich einen Schritt nach hinten und löste mich von ihm. »Meinst du das ernst?«

      Als würde mit einem Mal die Welt um uns herum stillstehen, starrten wir uns an. Endlos scheinende Sekunden verstrichen, bevor er zaghaft nickte. »Bitte, Em.«

      All die Wut, die ich in den letzten Jahren tief in mir vergraben hatte, kämpfte sich an die Oberfläche. Was zum Teufel ließ ihn glauben, dass ich ihm auch nur eine Sekunde lang zuhören würde? »Nach vier Jahren willst du mit mir reden? Nach vier verdammten Jahren?« Meine Worte klangen in meinen Ohren zu schrill und zu laut, doch es war mir egal, ob uns jemand hörte. Sollte ganz Columbus doch erfahren, welch ein Mistkerl er war. »Ist dir vielleicht in den Sinn gekommen, dass es mir mittlerweile scheißegal sein könnte, was du mir zu sagen hast?«

      »Em, ich ...« Josh rang nach Worten, seinen Blick weiterhin in meinen gebohrt. »Fünf Minuten, mehr will ich nicht.«

      »Was immer du zu sagen hast, ist keine fünf Sekunden meiner Zeit wert.« Die giftigen Worte verfehlten ihr Ziel nicht. Josh sah aus, als hätte ich ihn geschlagen. »Es ist mir egal. Du bist mir egal.« Eine Lüge, doch das würde er niemals erfahren. »Lass mich einfach in Ruhe und sprich nie wieder mit mir.« Mein Herz schien mir aus der Brust springen zu wollen, so hart hämmerte es. Zu oft hatte ich mir ausgemalt, wie es sich anfühlen würde, Josh zu zeigen, dass er mir nicht mehr wichtig war. In der Realität spürte ich nichts von dem Triumph dieses Augenblicks, der in meiner Phantasie zu einem Rettungsanker für mein gebrochenes Herz geworden war. »Fahr zur Hölle, Joshua Sanders.« Ohne auf seine Erwiderung zu warten, drehte ich mich um und brachte mit schnellen Schritten so viel Entfernung zwischen uns, wie ich nur konnte.

      Meine Hände waren zu Fäusten geballt, als ich sie tief in den Taschen meiner Jacke vergrub. Jahrelang hatte ich es vermieden, Josh allein zu begegnen. Ich war ihm aus dem Weg gegangen, so gut es ging, nur um mich dann von ihm nach dieser blöden Party abfangen zu lassen. Als hätte ich nicht gewusst, was passieren würde, wenn ich mit ihm sprach. Schon immer hatte er diese Wirkung auf mich gehabt. Er musste mich nur ansehen, und alles in mir erinnerte sich daran, wie es gewesen war, von ihm geliebt zu werden. Diese wenigen Monate mit ihm hatten sich in mein Herz eingebrannt. So sehr ich es auch versuchte, ich konnte die Gefühle nicht abschütteln, die nur er in mir auslöste. Lange hatte ich mir eingeredet, dass es einfach nur daran lag, dass er mein erster Freund gewesen war. Mein erstes Date, mein erster Kuss, mein erster Sex. Josh war hunderte erste Male für mich gewesen. Bis er sich dazu entschlossen hatte, nichts mehr für mich sein zu wollen.

      Als er mich erneut einholte, wagte er es immerhin nicht, mich zu berühren. Er schnitt mir einfach nur den Weg ab und baute sich in all seiner Größe vor mir auf, als könnte er mich dadurch zwingen, mit ihm zu sprechen. »Der Scheiß muss aufhören, Emily.« In seinem Blick war nichts mehr von der Verletzlichkeit zu erkennen, die sich dort noch vor wenigen Augenblicken abgezeichnet hatte. Josh sah unglaublich wütend aus.

      »Du meinst, es muss aufhören, dass du mir hinterherrennst?« Ohne ihn aus den Augen zu lassen, verschränkte ich die Arme vor der Brust. »Damit hast du ausnahmsweise recht.«

      »Wenn du nicht vor mir flüchten würdest, müsste ich dir nicht hinterherlaufen.«

      Ich schnaubte bei dieser Dreistigkeit. »Darauf kannst du lange warten.« Ich machte einen Schritt zur Seite, um ihn zu umrunden, was Josh jedoch mit einer spiegelverkehrten Bewegung beantwortete, sodass er mir weiterhin den Weg verstellte. »Hältst du mich jetzt gegen meinen Willen fest? Selbst einem Typen wie dir hätte ich mehr zugetraut.«

      »Meinst du das ernst?« In seine Wut mischten sich Entsetzen und Ungläubigkeit. »Du denkst, ich bin so ein Kerl?«

      »Sieht ganz so aus.« Es war unfair, ihm etwas vorzuwerfen, von dem ich wusste, dass es nicht auf ihn zutraf. Josh mochte tausend Fehler haben, aber ich hätte mein Leben darauf verwettet, dass er eine Frau niemals zu etwas zwingen würde.

      »Wie kann ich dich dazu bringen, dass du mit mir sprichst?« Er trat einen Schritt zur Seite, um mir den Weg freizugeben. »Em. Bitte.«

      Wie angewurzelt blieb ich stehen und betrachtete ihn stumm im Schein der Straßenlaterne hinter mir. All die Wut, die ich für ihn empfand, verschwand nicht einfach, weil er entschieden hatte, mir irgendetwas erklären zu wollen, für das es keine Erklärungen gab. »Lass es einfach, okay?«

      »Das habe ich versucht. Hat nicht besonders gut funktioniert.« Seine Worte wurden von einem angedeuteten Lächeln begleitet. »Ich brauche nur ein paar Minuten.«

      »Es gibt nichts zu sagen.« Betont gleichgültig zuckte ich mit den Schultern. »Das ist alles lange her, und ich kann mich kaum daran erinnern.« Eine offensichtlichere Lüge hatte es in der Menschheitsgeschichte vermutlich niemals gegeben. Keinen unserer gemeinsamen Momente hatte ich vergessen. Viele davon hatte ich im Laufe der Zeit skizziert und es bis heute nicht übers Herz gebracht, die Zeichnungen wegzuwerfen. Sie lagen gut versteckt in einer Kiste unter meinem Bett, wo sie niemand finden würde.

      »Du hast uns vergessen?« Josh schob sich die Hände in den Nacken, wie er es schon immer getan hatte, wenn er nervös war. Manche Dinge änderten sich niemals. »Ich glaube dir nicht, Em. Kein Wort.«

      »Ach, nein?«

      »Nein.« Josh sah mir in die Augen, ohne dabei zu blinzeln. »Wenn es dir egal wäre, würdest du mich nicht so sehr hassen.«

      Hass. Welch ein grässliches Wort. Am liebsten hätte ich ihm einfach zugestimmt, um meine Ruhe zu haben, aber ich brachte es nicht über mich, Josh ins Gesicht zu sagen, dass ich ihn hasste. Weil es schlicht nicht der Wahrheit entsprach, doch das musste er nicht wissen. »Ich will dich einfach nur nicht sehen, okay?« Wenn meine Stimme anfangs noch hart und bestimmend geklungen hatte, hörte ich mich jetzt eher flehend an. Josh plötzlich wieder so nah zu sein, erinnerte mich daran, wie es gewesen war, bevor er mir das Herz gebrochen hatte. »Ich kann das einfach nicht.«

      Er sah mich an, als würde er nach einer Antwort auf eine Frage suchen, die er mir nicht gestellt hatte. Ich spürte förmlich, wie sein Blick über meine Haut glitt und an meinen Lippen hängen blieb, bevor er mir wieder in die Augen sah. »Es sind mehr geworden.« Er lächelte, als er die Hände tief in den Hosentaschen vergrub. »Ich mag es, dass du sie nicht mehr versteckst.«

      Hatte ich seinen ersten Satz auch nicht verstanden, wusste ich durch den zweiten, was er meinte. Josh hatte meine Sommersprossen schon immer mehr gemocht als ich.

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