Скачать книгу

würde ich es vor ihm zugeben, aber er war ein netter Kerl. Und das Wichtigste: Er war gut zu Grace.

      Ein paar Jungs tanzten grölend auf den Tischen und zerrten dabei an ihren Klamotten, was mein Zeichen sein sollte, das Weite zu suchen. Die erste Regel jeder Verbindungsparty lautete: Wenn sie anfangen, sich ausziehen, ziehst du dich besser zurück.

      Mit meinem Pappbecher bewaffnet, schob ich mich durch die tanzenden Menschenmassen. Mehrmals musste ich mich an jemandem festhalten, um nicht auf meinem Hintern zu landen. Das Bier hatte seine Wirkung eindeutig nicht verfehlt. Ich war ein klein wenig angetrunken. Fast hatte ich die rettende Tür erreicht, als ich ihn sah. Joshua Sanders stand keine zehn Meter von mir entfernt am Absatz der Treppe, die vom Eingangsbereich des riesigen Verbindungshauses in das obere Stockwerk führte, wo sich die Schlafzimmer befanden.

      Obwohl es längst nicht mehr Sommer war, trug er zu seiner dunklen Jeans nur ein dünnes schwarzes T-Shirt. Das dunkelblonde Haar sah aus, als wäre er bereits unzählige Male mit den Händen hindurchgefahren. Er sah gut aus, doch das tat er eigentlich immer. Warum hatten die Typen mit dem miesesten Charakter meist das schönste Gesicht? Und den schönsten Körper. Den durfte man in Joshua Sanders’ Fall nicht vergessen, das käme Blasphemie gleich.

      Neben Josh stand eine Blondine, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Natürlich. Es waren immer Blondinen. Sie schmiegte sich an ihn, klimperte mit ihren perfekten Wimpern und machte ihm eindeutige Avancen, die er jedoch nicht erwiderte. Denn Joshs Blick bohrte sich in meinen. Ohne zu blinzeln und so durchdringend, als würde er versuchen, meine Gedanken zu lesen. Auf seinen Lippen lag dieses wissende Lächeln, das schon früher mein Verhängnis gewesen war. Ich musste hier weg. Weg von ihm und diesem dumpfen Gefühl in meiner Brust, das sein Anblick immer in mir auslöste.

      Die kalte Nachtluft fühlte sich himmlisch an, wenn man Stunden in einem überfüllten, stickigen Raum verbracht hatte. Ich sog sie so tief ein, wie ich nur konnte. Die gleichmäßigen Atemzüge halfen dabei, einen klaren Kopf zu bekommen, waren aber nutzlos, wenn es darum ging, Josh und sein Date zu vergessen. Da ich alles mied, was auch nur entfernt mit Football zu tun hatte, und wir völlig unterschiedliche Fächer studierten, lief ich ihm nur selten über den Weg. Ein paar Mal im Jahr sah ich ihn zufällig in der Mensa. Und auch dank Grace’ Beziehung zu seinem ehemaligen Mitbewohner waren wir uns manchmal unfreiwillig begegnet. Doch Joshua Sanders war der letzte Mensch, mit dem ich mich in einem Raum befinden wollte. Was nicht einer gewissen Ironie entbehrte, wenn man bedachte, dass ich immer noch – nach all den Jahren - regelmäßig von ihm träumte. Mindestens einmal im Monat wachte ich morgens mit dem Wissen auf, dass es ein mieser Tag werden würde, weil ich diese irrationalen Gedanken an ihn nicht unter Kontrolle bekommen würde.

      Nachdem ich Caroline eine kurze Nachricht geschickt hatte, dass ich nach Hause gehen würde, schlüpfte ich in meine Jacke. Das gute Stück war ein Zufallsfund aus einem Secondhandladen. Grünes Leder und original aus den Siebzigern, wie die Verkäuferin mir mehrmals versichert hatte. Ich war auf den ersten Blick verliebt gewesen. Doch so schön wie die Jacke auch aussah, leider war sie viel zu dünn für diese kühle Nacht. Die kalte Herbstluft hatte Columbus seit zwei Wochen fest im Griff. Bis zu meinem Wohnheim waren es zum Glück nur knapp zwei Meilen. Erfrieren würde ich nicht, auch wenn es sich momentan so anfühlte.

      Ich war erst wenige Minuten gelaufen, als ich laute Schritte hinter mir hörte. Mein Herzschlag beschleunigte sich und mir lief ein Schauer über den Rücken. Jeder kannte die Geschichten von jungen Mädchen, die nachts allein unterwegs waren. Warum hatte ich mir bloß kein Uber gerufen?

      Krampfhaft versuchte ich, mich an den Selbstverteidigungskurs zu erinnern, den ich vor einigen Jahren mit Grace besucht hatte. Vergeblich. Während ich mich dafür wappnete, einfach nur zu schreien, falls mir jemand zu nah kam, wurden die Schritte schneller. Mutig, wie es nur Angetrunkene sein konnten, drehte ich mich ruckartig um. »Ich habe eine Waffe und keine Skrupel, sie einzusetzen!«

      »Woah, ganz ruhig. Ich hatte nicht vor, dich auszurauben.«

      Vor mir stand niemand Geringeres als der Typ, vor dem ich geflüchtet war. Josh streckte mir die Handflächen entgegen, als würde er mich damit besänftigen können. Obwohl ich leicht benebelt war, bemerkte ich, wie eng sein T-Shirt saß und wie sich jeder Muskel seines Oberkörpers darunter abzeichnete. Das Universum wollte mich doch verarschen. »Hau bloß ab.« Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, wirbelte ich herum und ließ ihn stehen.

      Weit kam ich nicht. Nach wenigen Metern hatte er mich eingeholt und lief neben mir her. »Du solltest nicht allein nach Hause gehen.« Er sah auf seine Armbanduhr. Wer zur Hölle trug heutzutage überhaupt noch so ein Ding? »Es ist schon spät, und man weiß nie, wer sich hier draußen rumtreibt.«

      Langsam zählte ich bis zehn, darum bemüht, gleichmäßig und tief zu atmen. Das würde mich eventuell davon abhalten, ihn hier und jetzt umzubringen. Als ich mich beruhigt hatte, soweit das in seiner Gegenwart überhaupt möglich war, warf ich ihm einen – wie ich hoffte – abweisenden Blick zu. »Lass mich einfach in Ruhe. Du bist der letzte Mensch, der irgendein Recht hat, sich Sorgen um mich zu machen.« Mit Genugtuung, auf die ich nicht stolz war, sah ich, wie er unter meinen Worten zusammenzuckte.

      So schnell, wie sich der verletzte Ausdruck auf seinem Gesicht abgezeichnet hatte, war er jedoch wieder verschwunden. Josh grinste mich an, während er weiter neben mir herlief. »Ist es als alter Freund nicht meine Pflicht, aufzupassen, dass du heil zuhause ankommst?«

      Ich musste lachen. Ein zynisches Lachen, das ich so nicht von mir kannte. »Wir waren nie Freunde, Josh.« Wir waren so viel mehr gewesen.

      »Dann ist es eben meine Pflicht als guter Amerikaner.«

      »Ich verzichte.«

      »Ist mir egal.« Er klang wie ein kleines, trotziges Kind, das seinen Willen nicht bekam. »Dann muss ich eben zufällig in dieselbe Richtung.«

      »Was eine Lüge ist, wie wir beide wissen.« Sein Wohnheim lag am anderen Ende des Campus. Eine Information, die ich dank Grace hatte. Es war nicht so, dass mich irgendetwas interessierte, das mit Joshua Sanders zu tun hatte.

      »Wer sagt, dass ich nach Hause will?« Wenn er sich einen Spaß daraus machen wollte, mich zu provozieren, gelang ihm das außergewöhnlich gut. »Ich kenne genug Leute in deinem Wohnheim.«

      »Da bin ich mir sicher.« Frauen hatten sich ihm schon immer an den Hals geworfen. Seit ich ihn kannte, war er optisch auf einer Skala von eins bis zehn eine glatte Zwanzig.

      »Ich meinte damit Jungs aus dem Team, Em.« Konnte der Mistkerl jetzt auch schon meine Gedanken erraten? »Tom und Djamal wohnen einen Stock unter dir.«

      »Die werden sich bestimmt über deinen Besuch freuen.« Ich versuchte, so viel Sarkasmus wie möglich in meine Stimme zu legen.

      Seine Antwort war lediglich ein Schulterzucken.

      Er machte mich wahnsinnig. »Ist dir nicht kalt?« Joshs dünnes T-Shirt war weiß Gott nicht für dieses Wetter geeignet.

      »War das ein Angebot? Willst du mich wärmen?« Vermutlich bildete ich es mir nur ein, doch ich hätte wetten können, dass sich sein Blick für einen Atemzug verdunkelte.

      »Es war der Versuch herauszufinden, ob du in absehbarer Zeit erfrierst und mich von meinen Leiden erlöst.«

      »Autsch. Das war nicht nett.«

      Schnaubend beschleunigte ich meine Schritte. In den nächsten Minuten liefen wir schweigend nebeneinander her. Mit jedem Meter wuchs in mir der Drang, ihn loszuwerden. Jahrelang hatte ich es vermieden, mich in Joshs Nähe aufzuhalten. Dass wir nebeneinander durch die Nacht stapften, als wäre nie etwas passiert, fühlte sich so unglaublich falsch an. Es war dem Alkohol geschuldet, dass ich in der irrsinnigen Hoffnung, ihn doch noch abhängen zu können, mein Tempo weiter erhöhte. Nüchtern wäre mir wahrscheinlich klar gewesen, dass mir der vermutlich beste Runningback, der jemals an der Ohio State gespielt hatte, sportlich überlegen war. Nach Ende meiner wenig ruhmreichen Cheerleader-Karriere hatte ich es nie mehr ernsthaft mit Sport versucht. Zu mehr als meinem monatlichen Alibi-Yoga konnte ich mich nicht aufraffen.

      »Rennst du jetzt

Скачать книгу