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wehte ein kleines, lachendes Mädchen mit langen blonden Locken hinein. Als ich bemerkte, wer dicht hinter der Kleinen folgte, spannte sich jeder Muskel in meinem Körper zum Bersten an. Josh blieb abrupt stehen und sah mich eine Millisekunde an, bevor er sich abwandte und das Mädchen auf seine Arme hob. Nachdem ich ihn gestern Nacht rausgeschmissen hatte, war nicht zu erwarten gewesen, dass er mir bei unserer nächsten Begegnung um den Hals fiel. Nicht dass ich das gewollt hätte. Aber dass er mich behandelte, als wäre ich Luft, fühlte sich mies an - auch wenn es das nicht sollte.

      »Was kann ich dir bringen?« Der Typ hinter dem Tresen klang genervt, als hätte er mir die Frage schon mehr als einmal gestellt.

      »Einen Cappuccino und einen Kräutertee.« Vermutlich bildetet ich es mir nur ein, aber ich hätte schwören können, dass ich Josh leise lachen hörte.

      Das kleine Mädchen, Lilly, zeigte auf jeden einzelnen Donut in der Auslage. Dabei versuchte es, Josh davon zu überzeugen, dass die rot glasierten viel besser schmeckten als die blauen. Er machte sich einen Spaß daraus, ihr vehement zu widersprechen. Als meine Getränke fertig waren, hatten sie sich auf einen grünen Donut geeinigt.

      Mit nervösen Fingern und schwerem Herzen nahm ich die Pappbecher entgegen. Weit kam ich jedoch nicht: Annie drückte mir meinen Mantel in die Hand, während sie mir gleichzeitig ihren Cappuccino abnahm. »Lass uns hier verschwinden.« Dankbar flüchtete ich ins Freie, ohne mich noch einmal umzusehen.

      4. Kapitel

      Die nächsten sieben Tage waren geprägt von dem meisterhaftesten Selbstbetrug, den die Menschheit je erlebt hatte. Wenn ich nicht darüber nachdachte, was zwischen mir und Josh passiert war, war es dann überhaupt real? Wenn man nicht über Sex sprach, löste er sich dann in Bedeutungslosigkeit auf?

      Ein in der Theorie genialer Plan, der jedoch mehr als einmal davon durchkreuzt wurde, dass der ganze Campus mit Plakaten und Postern der Bucks gepflastert war. Einem Footballer aus dem Weg zu gehen, war an dieser verdammten Uni so gut wie unmöglich. Football war überall. An den Wänden, im Uni-Radio, auf den Trikots, die die Studenten trugen - und selbst in meinem Apartment in Form meiner besten Freundin, die dank ihres Freundes Gefallen an diesem dämlichen Sport gefunden hatte.

      »Hey.« Grace stürmte durch die Tür, als wäre sie auf der Flucht. Sie raste an mir vorbei in die Küche, und ich hörte, wie sich der Kühlschrank öffnete und wieder schloss, bevor sie mit einem Schokoriegel im Mund und einer Flasche Saft in der Hand zurück ins Wohnzimmer hetzte.

      Stirnrunzelnd legte ich meinen Skizzenblock zur Seite und betrachtete Grace, die sich aus ihren Klamotten schälte, während sie aß. »Alles okay?«

      »Jap.« Sie warf Schuhe, Jacke und Pulli achtlos auf die Couch, bevor sie eilig einen Schluck Orangensaft trank. »Ich bin nur super spät dran und sollte eigentlich schon auf dem Weg sein.« Sie warf einen Blick auf ihr Handy, bevor sie an mir vorbei hetzte. »Fuck.«

      »Kann ich dir irgendwie helfen?« An der dummen Skizze saß ich ohnehin schon viel zu lange. Es war einer der Tage, an denen ich nichts Brauchbares zu Papier brachte. Langsam rappelte ich mich auf und folgte den leisen Flüchen, die aus Grace’ Zimmer drangen.

      Als sie mich im Türrahmen stehen sah, warf sie mir ihren Kulturbeutel mit einem flehenden Blick zu. »Kannst du mir meinen Kram aus dem Bad einpacken, bitte? Das wäre toll.«

      »Du fliegst zu Noah.« Eine Frage war unnötig, ich sah ihren geröteten Wangen an, dass ihr aktueller Zustand etwas mit ihm zu tun haben musste. Er war der einzige Mensch auf der Welt, der diesen Effekt auf sie hatte.

      »Ja, das war ganz spontan.« Grace warf achtlos ein paar T-Shirts und Jeans in ihre Reisetasche. »Ich habe in der Vorlesung gesessen und einfach aus Spaß nach Flügen geguckt und dabei einen entdeckt, der spottbillig war. Da musste ich zuschlagen.« Eilig verstaute sie zwei BHs. »Nur leider geht dieser Flug in weniger als zwei Stunden.« Den BHs folgten Slips und ein Pyjama.

      »Bezahlt nicht Noah die Flüge?« Da er durch seinen NFL-Vertrag so viel mehr Geld als Grace zur Verfügung hatte, waren die beiden zu der Übereinkunft gekommen, dass er die Reisekosten übernahm, wenn sie ihn besuchte. So lautete jedenfalls mein letzter Wissensstand.

      »Pah.« Sie wischte meinen Einwand mit einer flüchtigen Handbewegung weg, bevor sie sich an ihrem Nachttisch zu schaffen machte. »Nur weil er der nächste Tom Brady wird, muss ich mich nicht von ihm aushalten lassen.«

      »Der ist Quarterback.«

      »Was?« Das Ladekabel für ihr Handy und zwei Bücher flogen in die Reisetasche.

      »Tom Brady. Der ist ein Quarterback, kein Runningback wie Noah.«

      Grace hielt in ihrer Bewegung inne und musterte mich über den Rand ihrer Brille. »Woher weißt du sowas? Du hasst Football. Offiziell jedenfalls.« Den letzten Satz murmelte sie nur.

      »Jeder weiß, wer Tom Brady ist.«

      »Wenn du das sagst.«

      Als ich mit ihrem Kram aus dem Bad zurückkam, band sie sich gerade die Schuhe zu. »Es tut mir leid, dass ich heute Abend nicht mitkomme, Em.«

      »Ach, das ist schon in Ordnung.«

      »Nein, wirklich.« Sie richtete sich auf und nahm mich fest in den Arm. »Nächstes Wochenende bin ich hier, und ich verspreche, dass wir dann ausgehen.«

      »Vielleicht frage ich Annie.« Das war keine Option, aber das musste Grace nicht wissen. Annie würde sofort zusagen, aber nur, um mir einen Gefallen zu tun, nicht weil sie Spaß an einer Studentenparty hatte.

      »Das ist eine großartige Idee.« Sie strahlte mich über das ganze Gesicht an. »Und ich schwöre hoch und heilig, dass ich dich nächstes Mal nicht versetzen werde. Indianerehrenwort.«

      »Es ist wirklich okay.« Kopfschüttelnd zwang ich mich zu einem Lächeln, während ich Grace’ Kulturbeutel in ihre Reisetasche stopfte. Ich hatte mich tagelang auf das Wochenende mit ihr gefreut. Nach all den Gedanken an Josh hatte mich die Aussicht auf Musik, Alkohol und eine belanglose Studentenparty mit meiner besten Freundin durch diese beschissene Woche gebracht. Dass sie die Chance nutzte, um zu Noah zu fliegen, konnte ich ihr nicht übelnehmen, enttäuscht war ich dennoch.

      »Danke, Em.« Grace drückte mich ein weiteres Mal, bevor sie aus dem Zimmer sprintete. »Hab dich lieb«, waren ihre letzten Worte, bevor die Wohnungstür hinter ihr ins Schloss fiel.

      Zurück im Wohnzimmer schnappte ich mir den Saft, den sie zurückgelassen hatte, und setzte mich wieder im Schneidersitz auf den Boden neben meinen Skizzenblock. Das Portrait, an dem ich schon Tage arbeitete, schien mich vorwurfsvoll anzustarren, bis ich leise seufzend den Block zuklappte und einen Schluck von dem eklig süßen Orangensaft nahm, den Grace über alles liebte. Kurz dachte ich darüber nach, ob ich Annie nicht doch bitten sollte mitzukommen, verwarf die Idee allerdings sofort wieder. Vielleicht sollte ich Ben fragen. Er war Grace’ bester Freund, gleichzeitig Noahs Bruder und meistens für spontanen Quatsch zu haben.

      Es vergingen keine sechzig Sekunden, bevor ich auf meine kurze Nachricht eine Antwort erhielt. Ben war zu seinen Eltern gefahren und somit nicht in Columbus. Verdammt. Normalerweise hätte ich Caroline oder Serena angerufen, doch die waren mit Tammy bei dem Konzert einer Indieband, deren Namen ich mir einfach nicht merken konnte.

      Also hatte ich zwei Optionen: Zuhause bleiben, weiter die Wände anstarren und dabei an Josh denken, oder ausgehen. Eine Flasche miesen Orangensaft später stand meine Entscheidung fest. Heute Abend fand eine Party hier im Wohnheim statt und zu der würde ich gehen. Auch wenn die Chance bestand, dass ich Josh dabei über den Weg lief. Ich würde mich nicht von ihm dazu bringen lassen, mein Wochenende vor dem Fernseher zu vergeuden.

      Der Bass dröhnte mir mit jedem Schritt lauter entgegen, als ich die Treppe in den fünften Stock meines Wohnheims nach oben stieg. Es war nicht unüblich, dass sich ein ganzer Flur zusammenschloss und bis in die Morgenstunden feierte. Meist gab es keine offiziellen Einladungen, alles lief über Mund-zu-Mund-Propaganda, die an der Ohio State stets bestens funktionierte. Finanziert wurde das Spektakel über einen Eintrittspreis

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