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Regel über alles hinweg, das am Wochenende auf den Fluren passierte, solange nichts zu Bruch ging und am nächsten Morgen saubergemacht wurde.

      Nachdem ich meine zehn Dollar bezahlt hatte, erhielt ich von einem schrägen Typen mit Cowboyhut einen Stempel auf den Handrücken, der mir unbegrenzten Zugang zu den Getränken garantierte. Der Gemeinschaftsraum am Ende des Flurs diente als provisorische Bar, die ich zielstrebig ansteuerte.

      Mit einer Bierflasche bewaffnet, suchte ich mir einen Platz am hinteren Ende des Flurs. Vielleicht war jemand hier, den ich kannte. Lange warten musste ich nicht.

      Ausgerechnet Jun tauchte nach einigen Minuten aus dem Nichts neben mir auf. »Hey, Em.«

      »Hey.« Jun war eigentlich ein netter Kerl, aber unser erstes und einziges Date im vergangenen Jahr hatte einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen.

      »Ich wollte mir ein Bier holen, soll ich dir was mitbringen?«

      Zickiger als es vielleicht nötig gewesen wäre, hielt ich ihm meine fast volle Flasche unter die Nase. »Bin versorgt. Danke.«

      »Oh, okay.« Das Lächeln auf seinem Gesicht wich einem Ausdruck, den ich nicht recht deuten konnte. »Es ist gut, dass ich dich hier treffe.«

      »Ist es das?« In den letzten Monaten war er mir in allen Kursen, die wir gemeinsam besuchten, aus dem Weg gegangen. Sonderlich gestört hatte es mich nicht.

      »Ich wollte mich entschuldigen.« Jun sah mich nicht einmal direkt an. Er wirkte vielmehr so, als hätte ich seinen Hund überfahren. »Unser Date ...«

      »Unser Date war eine Katastrophe. Da sind wir uns vermutlich einig.« Was auch immer er von mir wollte, ich brauchte weder seine Entschuldigung noch eine Erinnerung an diesen desaströsen Abend.

      »Ja, schon.« Er fummelte nervös am Saum seines Pullovers herum.

      »Okay, spuck es aus. Was willst du loswerden?« Wenn ich ehrlich war, war ich nicht mal mehr wirklich böse auf ihn.

      Den Blick auf seine Hände gerichtet, holte er tief Luft. »Dass ich es vermasselt habe, weiß ich, aber vielleicht ... vielleicht könnten wir das wiederholen?«

      »Du willst noch mal mit mir ausgehen?«

      Er nickte, und mir fiel nichts anderes ein, als einen großen Schluck aus meiner Bierflasche zu nehmen. Das konnte nicht sein Ernst sein. Jun war auf dem Papier genau mein Typ. Groß, pechschwarzes Haar, das seine chinesische Mutter ihm vererbt hatte. Ein Künstler, der sich alternativ kleidete und genau wie ich mit großer Begeisterung zeichnete. Im Laufe der Jahre hatten wir viele gemeinsame Kurse gehabt, sodass ich wusste, wie klug er war. Jun sollte mein Typ sein. Er war es nur nicht - und das hatte rein gar nichts mit unserem vermasselten Date zu tun.

      »Denk drüber nach, Em.« Das zaghafte Lächeln auf seinem Gesicht erinnerte mich erneut daran, wie attraktiv er war. »Beim nächsten Mal würde es anders laufen.«

      »Bist du dir da sicher?«

      »Ganz sicher.« Er wirkte entschlossen, dennoch nahm ich es ihm nicht ab.

      »Und was sagt dein neuer bester Freund dazu?« Jun schien unter jedem meiner Worte einige Zentimeter zu schrumpfen. »Sicher, dass Josh nichts dagegen hat, wenn du mit mir ausgehst?«

      »Em, ich ...«

      »Es ist okay, Jun. Wirklich.« Mit einem schrägen Lächeln boxte ich ihm leicht gegen die Schulter. »Wir vergessen das einfach. Freunde?«

      Es war offensichtlich, dass unser Gespräch nicht so verlaufen war, wie er es sich vorgestellt hatte, dennoch nickte er. »Freunde.«

      Als sich Jun kurz darauf unter einem sehr offensichtlichen Vorwand verabschiedete, lehnte ich den Kopf an die Wand und versuchte mir einzureden, dass ich nicht genau wusste, warum ich Jun nicht wollte. Dieser Selbstbetrug gelang mir nur, bis ich aus dem Augenwinkel ein paar von Joshs Mannschaftskameraden sah. Selbst hier war ich vor Football nicht sicher. Vor Football und Erinnerungen an ein gecrashtes Date.

      Jun und ich waren zusammen essen gegangen. In einem kleinen Restaurant in der Nähe. Es war nett gewesen. Angenehm. Bis ausgerechnet Josh mit seinem Date aufgetaucht war. Der Idiot hatte natürlich nicht den Anstand besessen, uns zu ignorieren. Nein, Joshua Sanders hatte sich stattdessen mit der Blondine im Schlepptau an unseren Tisch gesetzt und so getan, als wären wir vier alte Bekannte.

      Zu allem Übel hatte er auch noch die Nerven besessen, mich komplett zu ignorieren. Während er sich mit Jun anfreundete, blieben mir nur tödliche Blicke in seine Richtung und die Versuche seiner Begleiterin, mich in ein Gespräch zu verwickeln. Und sie war nett gewesen. Ich hätte sie mögen können, wenn ich die Tatsache ignorierte, dass sie Josh alle paar Minuten irgendwo anfasste. Hand. Unterarm. Schulter. Oberschenkel. Sie bot mir das komplette Repertoire.

      Am Ende des Abends waren er und Jun die besten Kumpel und am nächsten Tag zum Basketball verabredet gewesen. Allein bei der Erinnerung kochte das Blut in meinen Adern. Die Tatsache, dass Josh just in diesem Augenblick um die Ecke bog und von seinen Mannschaftskameraden grölend und lachend empfangen wurde, trug nicht dazu bei, meine Stimmung zu heben.

      Aus meiner Ecke am anderen Ende des Flurs beobachtete ich, wie er die Flasche ablehnte, die ihm jemand in die Hand drücken wollte. Aus einem unerfindlichen Grund machte mich das noch wütender. Trotzig zwang ich mich, Josh nicht mehr anzustarren und mir stattdessen ein neues Bier zu holen. Als ich wenige Minuten später zurückkam, war von ihm nichts mehr zu sehen. Vermutlich war das alles hier sowieso unter seiner Würde. Oder er hatte irgendein Mädchen gefunden, das ihn mit nach Hause nahm. Wie überzeugend er sein konnte, wusste ich verdammt gut.

      Eine Weile stand ich noch in der Ecke, nippte an meinem Getränk, das mit jedem Schluck schaler schmeckte, und sah den anderen Studenten dabei zu, wie sie Spaß hatten. Einige tanzten, andere flirteten oder saßen einfach nur in Gruppen zusammen. Während der letzten halben Stunde war zwar nicht meine Stimmung, aber immerhin die Musik besser geworden. Waren es anfangs noch Scheußlichkeiten wie Taylor Swift oder Billie Eilish gewesen, die den Flur beschallten, dröhnte seit einer Weile guter, alter Indie Rock aus den Boxen. The Smiths, die Arctic Monkeys und in diesem Moment die White Stripes. Icky Thump war so ein verdammt guter Song, dass ich die Augen schloss und zu den durchdringenden Bässen langsam hin und her wippte.

      Als die letzten Töne verklungen waren, öffnete ich meine Augen wieder und erstarrte. »Was zur Hölle willst du hier?« Josh stand in meiner Ecke, den Rücken an die Wand gelehnt, wie ich es selbst noch vor wenigen Minuten getan hatte, und sah mich wortlos an. Heute trug er keines seiner üblichen Football-T-Shirts. Ich konnte mich nicht daran erinnern, ihn überhaupt schon einmal in einem Hemd gesehen zu haben. Es war tiefblau, der oberste Knopf geöffnet, die Ärmel bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt. Dazu trug er eine dunkle Jeans und Sneakers. Ein völlig gewöhnliches Outfit auf einer Uni-Party. Und dennoch sah er darin aus, als könnte man ihn für das Cover der GQ ablichten. Während er mich musterte, verschränkte er die Arme vor der Brust, was nur dazu führte, dass ich im Halbdunkel des Flurs das Spiel seiner Muskeln unter dem Hemd sehr genau beobachten konnte. Ihm blieb nicht verborgen, wie gebannt ich ihn anstarrte. Natürlich nicht. »Gefällt dir, was du siehst, Em?«

      »Nimm dich nicht so wichtig, Sanders.« Meine Antwort klang so, wie ich es beabsichtigt hatte. Bissig. Er sollte nicht denken, dass sich durch meine vorübergehende Unzurechnungsfähigkeit irgendetwas zwischen uns geändert hatte.

      »Autsch. Das tat weh.« Theatralisch schlug er sich die rechte Hand vor die Brust. Das amüsierte Blitzen in seinen Augen zeigte, dass er das Ganze hier mehr genoss, als er sollte.

      »Wieso bist du nicht bei deinem Team?« Ich nickte in Richtung der Gruppe Footballspieler. Sie wurde mittlerweile von einer Horde junger Frauen belagert, die alle aussahen, als wären sie im ersten Semester. Eine atemberaubend schöne, dunkelhaarige Studentin trug einen kurzen Rock, der eher als breiter Gürtel durchging. Sie war so hübsch, dass es fast unwirklich schien. In dieser Hinsicht glich sie Josh.

      »Ich wollte mir ein Wasser holen. Dann habe ich dich hier stehen sehen und dachte, ich sage hallo.« Bei ihm klang es, als wäre es die normalste

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