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zuwider. »Verbinde mich in fünf Minuten«, sagte er. Die Sekretärin ging. »Danke«, sagte er noch, als sie schon unter der Tür war, aber das hörte sie gar nicht mehr. Er war mit dem Kaffee noch nicht fertig, als das Gespräch kam. Der Direktor wollte wissen, was er gegen die letzten Serieneinbrüche in parkende Autos unternommen habe. Marcel war nahe daran zu sagen: »Nichts!«, aber er beherrschte sich, brummte herum, daß er in dem Fall noch nicht klar sehen könne. Die Sache scheine ihm dringend, mehrere Diplomaten wären unter den Geschädigten, hatte der Direktor noch gesagt, bevor er das Gespräch beendete. Das waren Dinge, die der Chefinspektor ohnedies wußte.

      Marcel Trudeau war unruhig, nervös und wußte nicht recht, warum. Es war ein Tag wie jeder andere auf dem Kommissariat, gar nichts Besonderes, und trotzdem hatte er das Gefühl, es müßte jeden Moment etwas Außergewöhnliches passieren. Er erinnerte sich an seinem verstorbenen Vater, der sehr sensibel war und auch immer Vorahnungen hatte. Nun, sein Vater war ein alter Mann gewesen, und es fiel Marcel auch ein, wie sehr er sich deswegen über den alten Herrn immer lustig gemacht hatte.

      Marcel hatte weder mehr noch weniger getrunken als üblicherweise in den letzten Wochen, vom Alkohol konnte diese innere Unrast also nicht kommen. Er rauchte ein bißchen mehr als sonst, wenn das überhaupt möglich war, und ärgerte sich über sich selbst. Die Sache mit Toni le Boche konnte die Ursache auch nicht sein, wenn ihm das ganze Theater um Toni auch ziemlich unter die Haut ging. Schließlich kam es öfter und nicht nur in Paris vor, daß man einen bezirksbekannten Strolch einfach nicht fangen konnte. Die Zeitungen waren voll davon, als ob es nichts Wichtigeres auf der Welt gäbe, und vom Präsidium fragte man jeden Tag an, wie die Fahndung voranginge. Als ob es einzig und allein an Marcel Trudeau gelegen hätte, den Fall abzuschließen!

      Das Telefon läutete. Die alte Fuchtel von Chefsekretärin teilte ihm mit, daß der Herr Distriktskommissar mit ihm reden wolle. Marcel wurde wütend und bellte, er habe im Moment keine Zeit, in einer halben Stunde werde er rüberkommen. Er zündete sich eine Zigarette an, sah, daß seine vorige Zigarette im Aschenbecher noch rauchte und wurde noch zorniger. Natürlich hatte der Kommissar weise Ratschläge in der Sache Toni le Boche auf Lager, und auf die konnte Marcel weiß Gott verzichten. Er stand auf und ging in dem kleinen Dienstraum auf und ab, am liebsten hätte er eine Fensterscheibe eingeschlagen oder sonst etwas zertrümmert.

      Es klopfte, und bevor er »herein« sagen konnte, kam die weibliche Kriminalbeamtin. Sie wollte einige Unterschriften, und der Chefinspektor unterschrieb, ohne die Akten richtig anzuschauen. Die alte Kriminalbeamtin hatte nach seiner Meinung ohnehin mehr Verstand unter dem Rock als so mancher Polizeijurist unter seinem Hut, und die Sachen gingen sicher in Ordnung.

      »Schlechte Laune, Chef?«, wollte die Inspektorin wissen, und Marcel machte nur eine Handbewegung, weil ihm gerade kein ordinärer Fluch einfiel, der passend gewesen wäre.

      Es wurde noch dunkler im Zimmer, und plötzlich prasselte Regen gegen die dreckigen Fensterscheiben. Es war schon Ende November, und in der Früh hatte Marcel Schnee von den Windschutzscheiben wischen müssen. Grauen, nassen Schnee, und seine Ärmel waren schmutzig davon geworden.

      Inspektor Jezek wäre wahrscheinlich der einzige gewesen, der Toni le Boche im Handumdrehen hätte greifen können, denn Pierre Jezek war dreißig Jahre im Bezirk und kannte jeden Winkel und jeden Ganoven von Kindheit her. Aber Jezek hatte vor einem Jahr eine Kellnerin geheiratet, die um zwanzig Jahre jünger war, und seitdem war er kaum zu gebrauchen. Marcel hatte Verständnis für ihn. Trotzdem nahm er sich vor, mit dem Jezek einmal zu reden, denn abgesehen von dem Toni le Boche Fall ging das mit dem Jezek so einfach nicht mehr weiter.

      Auf seinem Schreibtisch in einem Aktenkorb lag eine Menge Papier. Der Chefinspektor sollte das alles heute noch lesen, und jedesmal, wenn er daran vorbeiging, sah er den Aktenberg finster an. Obenauf lag eine Nachricht, daß er sich baldigst im Präsidium bei einem Kommissar Frère einfinden möge. Das Wort »baldigst« war unterstrichen. Marcel kannte keinen Kommissar Frère und wußte nicht einmal, in welcher Abteilung der arbeitete. Er blätterte kurz im Personalstandsverzeichnis, fand den Frère und daneben den Vermerk »Personalabteilung« und die Telefonklappe. Er rief an und erfuhr, der Kommissar wäre im Moment nicht zugegen. Nein, die Sekretärin konnte auch nicht sagen, worum es sich handle. Marcel warf den Hörer auf die Gabel, natürlich wußte dieser Trampel, worum es sich handelte, Sekretärinnen wissen meist mehr als der Chef. Auf dem nächsten Akt sah er die Unterschrift von Inspektor Jezek und begann zu lesen.

      Es war ein Bericht über eine Serie von Autoeinbrüchen, insgesamt fünfzehn, ein sogenannter »Nega«, ein Erhebungsbericht mit negativem Resultat also, und Inspektor Jezek hatte alles fein säuberlich heruntergetippt, nur keine Spur von den Tätern gefunden. Marcel überflog die beigelegten Anzeigen der Sicherheitswache und fand heraus, daß Jezek außer ein paar Telefonanrufen nichts unternommen hatte.

      »Zweckdienliche Hinweise auf den Täter«, hatte Jezek geschrieben, »konnten nicht in Erfahrung gebracht werden.« Marcel ging ins Journalzimmer, der Gruppenleiter wußte angeblich nicht, wo Jezek war, und schaute ein wenig betreten. »Zwei Journalisten sind seit einer Stunde beim Kommissar«, sagte er, um abzulenken.

      »Den Jezek will ich in einer halben Stunde in meinem Büro haben«, sagte Marcel und wart die Tür lauter zu, als er beabsichtigt hatte. Dann meldete er sich beim Kommissar.

      Der Distriktskommissar sagte: »Na endlich, Herr Chefinspektor«, und hatte einen roten Kopf. Am Tisch saßen zwei junge Schnösel mit langen Haaren, man hatte ihnen Kaffee serviert, aber die Tassen waren schon leer.

      »Sie können uns angeblich sagen«, begann der eine Zeitungsmann, »welche Maßnahmen in der Fahndung nach Toni le Boche getroffen wurden«. »Der Herr Chefinspektor ist …«, sagte der Kommissar, aber Marcel fiel ins Wort. »Das kann ich schon, will aber nicht.« Er sah gerade noch das erschrockene Gesicht des Kommissars und setzte ein optimistisches Grinsen auf: »Ein Vorschlag, meine Herren, wir unterhalten uns über den Fall nach Tonis Verhaftung, da haben wir mehr zu reden.«

      Die Mienen der beiden jungen Herren änderten sich schlagartig, beide sprachen zugleich und wollten wissen »welche konkreten Hinweise, wann mit Verhaftung zu rechnen sei« usw., Marcel grinste amüsiert, nickte dem Kommissar zu und entschuldigte sich, jetzt habe er zu arbeiten. Draußen stieg er eine Treppe hoch, wartete, bis die beiden Journalisten das Büro verließen und eifrig diskutierend die Stiegen hinabgingen. Marcel ging zurück zum Kommissar, der gerade den Telefonhörer in der Hand hatte, um ihn wieder zu rufen, und bevor er losbrüllen konnte, meinte Marcel:

      »Es war das beste, Chef.«

      Der Kommissar schmiß den Hörer auf die Gabel, daß zwei regennasse Tauben erschrocken vom Fenster wegflogen, dann lehnte er sich zurück und stöhnte: »Mich trifft noch einmal der Schlag.« Er war jetzt sechzig und ein wenig beleibt, und obwohl im ganzen Distrikt als Choleriker verschrien, mochte ihn Marcel eigentlich ganz gerne.

      »Sie wissen hoffentlich, was Sie angerichtet haben«, sagte der Alte und zwang sich sichtlich zur Ruhe. Marcel bot ihm eine Zigarette an.

      »Die Pressenarren werden natürlich jetzt schreiben, die Verhaftung steht unmittelbar bevor«, fauchte der Kommissar.

      »Natürlich«, sagte Marcel und betrachtete seine Zigarette, als ob er darauf das Versteck ablesen könnte.

      Um die Ruhe des Kommissars war es jetzt geschehen. »Wie kommt es«, schrie er, »wie kommt es, daß dieses Hundsvieh in meinem Distrikt in zwei Wochen vier Raubüberfälle macht, eine Kioskverkäuferin absticht wie ein Schwein, einen Pensionisten halbtot prügelt, wie kommt es, daß ihr ihn nicht erwischt? Ich bin von lauter Idioten umgeben. Unfähigen Idioten! Dieses Schwein hat ein Gesicht, das jeder kennt, in jeder Zeitung ist die Visage zu sehen, und ihr Blindenverein …«, der Kommissar rang nach Luft …, »ihr blinden Ignoranten könnt den Mann nicht greifen. Mich trifft noch einmal der Schlag.«

      »Chef«, sagte Marcel gelassen, »wir werden ihn schon kriegen, ich muß jetzt gehen.« Im Vorzimmer sah er noch das schadenfrohe Gesicht der Chefsekretärin. Blindenverein war zwar hart, aber Marcel war dem Alten nicht böse deswegen.

      Am Gang vor seinem Zimmer stand eine ältliche Dame, die ihn unbedingt sprechen wollte. Eine ganz

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