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Probleme, überall auf der Welt. Alle waren sie voll von Idealen, wenn sie anfingen. Dann gingen sie durch den Fleischwolf der Realität, der Routine, strampelten noch eine Weile und endeten schließlich in Resignation und Korruption. John hätte nicht begründen können, wieso er plötzlich zu diesem Schluß kam. Bestenfalls hätte er ins Treffen führen können, daß er alt und lebenserfahren genug war, um Menschen oder Kategorien von Menschen zu durchschauen. Nun, wenn er jetzt kaffeetrinkend diese Herren so ansah, wie sie eilig ihre Geschenkpakete wegpackten, sich entschuldigten, in Eile waren, heimzukommen, schließlich war Dienstschluß, das alles bekräftigte nur seine Absicht.

      Drei blieben übrig und nahmen seine Einladung zu einem Drink um die Ecke an, John kaufte noch Schokolade für die Kinder — alle hatten natürlich Kinder — und spielte die Rolle des vertrottelten Wohltäters gar nicht übel.

      Einen ließ er nicht aus den Augen, das war der Chef der Gruppe, der die Rede gehalten hatte. Er war wohl auch der gierigste von allen, und solange etwas umsonst zu haben war, hatte er es nicht eilig. Es stellte sich heraus, der Mann hieß Inspektor Violaris, und als die letzten beiden abgehängt waren, folgte Violaris willig weiteren Einladungen. John hatte das Gefühl, daß das Glück auf seiner Seite stünde. Die beiden endeten in einem Lokal, das »Mouskos« hieß und in dem man angeblich das beste Meze Athens servierte. Natürlich wurde Meze bestellt und noch eine Flasche Wein, John war ein wenig in Sorge um seinen Freund, denn lange würde sich der nicht mehr auf den Beinen halten können. Beide machten einen ziemlich betrunkenen Eindruck, doch konnte John trotz aller Sauferei spüren, wie sich sein Gehirn mehr und mehr auf die entscheidende Sekunde konzentrierte, er war glockenwach und wollte nur den richtigen Moment nicht verpassen, seine harmlose Frage zu stellen, von der es abhing, ob all das Theater mit den Geschenken und Einladungen, die ganze Zeit mit den Polizisten vergeudet war, oder ob er einen Schritt weiter kommen würde.

      »Prost«, sagte er, wie schon so oft an diesem Nachmittag. Sie tranken, das Meze war noch nicht serviert, der angesoffene Chefinspektor Violaris hielt seine Geschenkpakete auf dem Schoß, als ob er Angst hätte, man könnte sie ihm wieder wegnehmen.

      »Violaris, Freund«, John lallte absichtlich, »Chefinspektor, wie heißt du eigentlich sonst noch?« »Costas«, sagte der Chefinspektor und krallte seine Hände in die Pakete. »Prost Costas, also«, lallte John weiter, »ich heiße John, prost, mein Freund.«

      Die Freunde tranken, und Costas sah so aus, als ob er im nächsten Augenblick auf den Tisch kotzen würde. Der Moment war gekommen.

      »Jesus Christus, das Wichtigste habe ich vergessen«, begann John seine Rolle. Er nahm die Briefumschläge mit dem Geld heraus, acht Stück, und man konnte die Scheine wohl sehen. »Das Wichtigste habe ich vergessen, mein Hauptgeschenk. Costas, morgen fliege ich weg von Athen, ich werde nie mehr hierherkommen, du verstehst. Bist du so lieb und gibst den Kollegen mein Abschiedsgeschenk, sie waren alle so nett zu mir, in meiner schweren Zeit. Es ist nicht viel, eine kleine Aufmerksamkeit. Ihr seid doch acht in der Gruppe, nicht wahr? Jeder soll was kriegen, weil ihr mir so geholfen habt.« Er legte die acht Briefumschläge vor sich auf den Tisch. Gerade servierte der Kellner das Meze, unzählige kleine Tellerchen und Schüsseln füllten im Nu den Tisch, John schob die Kuverts näher zu sich, nur um Platz zu machen. »Costas, tust du das für mich? Liebe Grüße noch an die Kollegen, ein Umschlag für dich, ist überall dasselbe drin, ihr wart alle so nett.«

      John lallte die ganze Zeit, aber er beobachtete scharf. Den Costas hatte er unterschätzt, das war ihm in dieser Sekunde klar. Als der Chefinspektor das viele Geld sah, schien er mit einem Schlag nüchtern, vom Kotzen war keine Rede mehr.

      »Natürlich, gern«, meinte er, aber es wäre nicht nötig gewesen. Immerhin war er so gierig auf das Geld, daß er seine Augen von den Umschlägen nicht abwenden konnte. »Doch«, sagte John, lallte es, ich hab’s ganz vergessen, mein Abschiedsgeschenk«. Er begann in Ruhe zu essen.

      »Meine Kollegen werden sich sicher freuen«, meinte der Chefinspektor. Er hatte noch keinen Bissen angerührt. »Die Fische sind großartig«, sagte John. Er stopfte ein paar dieser kleinen Fische in den Mund, trank Wein. »Prost, Fische müssen schwimmen.« Wieder gelallt.

      Costas begann zaghaft zu essen. Man konnte ihm anmerken, daß er nur an den Briefumschlägen interessiert war. John hätte seine Seele gegen einen Hosenknopf gewettet, daß keiner der anderen sieben Polizisten auch nur eine Drachme von dem Geld sehen würde. »Eigentlich ist es eine Schweinerei«, jammerte er. »Ich hab’ die Zeitungen gelesen. Dieser Ben Houri, der verhandelt jetzt mit deiner Regierung über die Freilassung seiner Helden. Meine Familie und die anderen sind umsonst gestorben. Deine Regierung wird die Strolche sicher freilassen, mir egal, aber ist das nicht traurig? Wozu haben so viele Menschen sterben müssen? »Ben Houri«, fragte Costas geistesabwesend und starrte auf die Briefumschläge. »Na, der Abgesandte vom ›Roten Oktober‹, ich hab’s in den Zeitungen gelesen. Ben Houri oder so heißt er, ist das nicht alles traurig, lieber Freund?« »El Hayiani« sagte der Chefinspektor, »nicht Ben Houri, ich hab’ das nicht gelesen, der Name ist doch geheim.« »Ich habe Ben Houri gelesen«, lallte John eigensinnig, »ist auch scheißegal, scheißegal, aber ihr müßt auf den Burschen aufpassen, ist das nicht traurig?« »Wir nicht«, sagte der Chefinsepktor entschuldigend, »das macht eine andere Abteilung. Im Hellenicos sitzen zehn Leute von denen, alles Politik, verstehst du, alles Politik.« Man konnte ihm ansehen, am liebsten hätte er die Briefumschläge gleich eingesteckt. »Hellenicos?« stotterte John und verschüttete ein wenig Wein. Die Umschläge wurden feucht. »Ein Hotel, er ist dort unter strenger Bewachung, alles sehr geheim, aber nicht unsere Abteilung, wir machen so was nicht«, meinte der Chefinspektor, wieder fast entschuldigend. »Ist ja egal, prost Costas, prost, das Leben geht weiter. Bist du also so nett?« Er nahm die Briefumschläge und schob sie über die Schüsseln und Tellerchen zu Violaris. »Und recht liebe Grüße noch.« Der Chefinspektor schien tatsächlich wieder ganz nüchtern. Rasch stopfte er die Umschläge in seine Brusttasche. »Das mach’ ich natürlich, vielen Dank auch im Namen der Gruppe.«

      »Du ißt ja gar nichts«, nörgelte John, wie es Betrunkene tun, »gar nichts ißt du, das Meze ist wirklich gut. Wenn man trinkt, muß man auch essen, merk dir das.« Costas Violaris versprach, sich das zu merken und aß ein paar Bissen. John fühle deutlich, daß sein neuer Freund am liebsten heimgerannt wäre, das Geld zu zählen.

      »Gehen wir noch in eine Bar?« fragte er.

      Leider, es wäre schon sehr spät, das ginge nicht mehr.

      »Jetzt läßt du mich allein«, leierte John betrunken.

      »Vielleicht ein andermal«, meinte Costas lauernd.

      »Ich komme doch nie wieder nach Athen«, sagte John bestimmt, »Du verstehst mich sicher, all die Erinnerungen, ich fahr’ morgen nach Paris und löse dort meinen Haushalt auf. Dann gehts wieder auf die Ölfelder nach Kuweit. Athen existiert für mich nicht mehr, all die Erinnerungen, verstehst du mich?« Der Chefinspektor verstand. Er blickte mitfühlend. John hätte noch einmal gewettet, Seele oder Hosenknopf. Nun, er konnte zufrieden sein. Also, es täte ihm sehr leid, aber es wäre jetzt wirklich an der Zeit. Violaris blickte wieder auf die Uhr. John möge nicht böse sein.

      »Ich bleibe noch ein wenig«, meinte John, »fliege erst morgen um neun.« Die beiden umarmten sich, alte Freunde. John spürte, wie die Umschläge in der Brusttasche des Inspektors knisterten. Er war zufrieden und bestellte noch eine Flasche Wein, die er allein austrank, ruhig und entspannt. Alles lief richtig. El Hayiani, Hotel »Hellenicos«. Alles war so einfach gewesen.

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