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allerdings, daß er sich rühren würde. Helen sah seinen Mund halb offen, sie sah, wie Speichel langsam aus dem Mundwinkel floß. Der Mann war einfach fertig, dachte sie, der war nicht mehr auf die Beine zu bringen. Sicher soff er schon tagelang durch die Gegend, er sah so aus. Sie griff in seine Manteltasche, fand einen Reisepaß und ein Bündel Geldscheine, Dollars und Drachmen, mit einem Gummiband zusammengehalten. Viel Geld. Helen fingerte zwei Scheine heraus und steckte sie in den Brustausschnitt. Wer das Geld so herumträgt, zählt nicht täglich nach. Der Paß interessierte sie weniger, derselbe Name wie in den Zeitungen. Sie schob Geld und Paß wieder in die Manteltasche und stand auf. Eine neue Zigarette. Was also war zu tun?

      Helene Wannemacher kratzte umständlich an ihrem Popo, wie andere Menschen sich die Stirne reiben, wenn sie nachdenken. Der Mann hatte Geld, und sterben würde er wohl nicht gleich, von ein paar durchgesoffenen Tagen geht man nicht ex. Helen ging hinter die Bar und eine schmale Wendeltreppe hinauf. Sie wohnte oberhalb des Lokals, — eine kleine Garçonnière, Wohn-, Schlafzimmer, Kochnische, Dusche. Sie kam mit einem Kopfkissen und einer Decke herunter und improvisierte eine Art Bett hinter der Theke. Sie ging wieder zu dem Mann und zog ihm den Mantel aus, dann schleifte sie ihn hinter die Theke auf das Lager, schob das Kissen unter seinen Kopf. Er war leichter, als sie gedacht hatte. Mit dem Mantel deckte sie ihn zu.

      Sie betrachtete ihn eine Weile, und die Asche von ihrer Zigarette fiel auf den dunklen Mantel. Eine Sekunde lang mußte sie daran denken, daß dieser Mann sicher Schweres erlebt hatte in den letzten Tagen, aber Mitleid, nein, Mitleid hatte sie nicht. Menschen, die gleich umkippten, wenn ihnen was passierte, hatten in der Welt Helene Wannemachers keinen Platz. Sie versperrte die Eingangstür, löschte die Lichter und ging schlafen. Es war fast drei Uhr früh.

      Es war fast neun Uhr morgens, als sie aufwachte und herzlich gähnte, sich streckte wie eine Katze. Sie sah nach der Uhr auf dem Nachtkästchen, fast neun Uhr also und kein Grund zur Eile. Dann sah sie die beiden zerknüllten Geldscheine, die sie der Vogelscheuche abgenommen hatte und erinnerte sich wieder. Sie setzte sich auf und zündete sich eine Zigarette an, dann hustete sie eine Weile.

      Sie könnte den Halbtoten da drunten jetzt sicherlich auf die Beine bringen und rausschmeißen, kein Problem. Sie dachte an das viele Geld in seiner Manteltasche und überlegte, ob es nicht besser wäre, ihn noch eine Weile zu betreuen. Helen hatte nackt geschlafen, wie es ihre Gewohnheit war. Sie stand auf und zog eine Art Morgenmantel an, einen sehr kurzen, der gerade den Popo bedeckte, wenn sie sich nicht bückte. Sie ging die Treppe hinunter und sah mit einem Blick, daß sich der Mann kaum bewegt hatte, er atmete aber jetzt regelmäßig, sein Mund war immer noch offen.

      Helen setzte sich neben ihn und betrachtete den Mann eine Weile. Er roch nach Schweiß und eben wie jemand, der sich lange nicht gewaschen hat. Mit ihren Zehen stubste sie ihn an der Schulter, erst leicht, dann fester. Der Mann öffnete die Augen und schloß den Mund. Er schluckte. Helen ließ ihm eine Weile Zeit.

      »Geht es besser?« fragte sie dann auf Deutsch. John Berger setzte sich langsam auf und schaute um sich wie jemand, der von einem anderen Planeten kommt. Er sah Helen und schluckte wieder. »Wieso sprechen Sie Deutsch?«, murmelte er mühsam.

      »Komm schon«, sagte sie und ignorierte das förmliche Sie, »komm schon, geht es dir besser, und kannst du abhauen?« »Natürlich kann ich«, sagte er nach einer Weile, »es geht schon.« Er stand und fiel gleich wieder hin, glücklicherweise auf das Kopfkissen. Helen lachte. Es war ihr klar, der Mann war nicht schwierig, bedeutete keine Probleme, eher ein wenig Profit, wenn sie geschickt war.

      Sie war es. »Hör zu, Landsmann, besoffener«, lachte sie, »so kann ich dich nicht rausschmeißen. Ich werde dich jetzt in ein ordentliches Bett legen, und du schläftst erst einmal eine lange Strecke. Komm, ich helfe dir.«

      Mit einiger Mühe brachte sie ihn auf die Beine und die Treppe hinauf, seinen Mantel hatte sie über dem Arm. Sie legte ihn in ihr Bett, zog ihm die Schuhe aus und dann die Kleider. John Berger lächelte nur hilflos und murmelte etwas von Dankbarkeit. Sie deckte ihn zu und sagte: »Schlaf jetzt ordentlich.« Er schloß die Augen. Das Bett war noch warm.

      Helen Wannemacher ging unter die Dusche und zog sich dann an. Es war fast zehn, als sie wegfuhr, in ihrem alten Volkswagen, um elf hatte sie eine Verhandlung beim Bezirksgericht in einer Versicherungssache. Es war noch Zeit für einen Kaffee in der Nähe des Gerichtes. Nach der Verhandlung, die vertagt wurde, aß sie ausgiebig mit ihrem Rechtsanwalt zu Mittag, der sie nach einer Flasche Wein unbedingt als Nachspeise haben wollte. Helen wehrte tapfer ab, dafür war immer noch Zeit, wenn sie den Prozeß verlieren sollte. Es war fast vier Uhr nachmittags, als sie wieder heimfuhr. Trotzdem hatte sie keine Eile, sie öffnete das Lokal erst um acht. Einer plötzlichen Eingebung folgend kaufte sie eine Garnitur Männerunterwäsche, mittlere Größe, und ein sauberes Herrenhemd.

      John Berger schlief noch immer mit offenem Mund. Helen drehte zuerst das Radio an und dann die Dusche. Tatsächlich wurde er wach und setzte sich im Bett auf. Helen kramte eine Weile im Badezimmer, fand Rasierzeug und eine gebrauchte Zahnbürste und legte alles vor den Wandspiegel.

      »Zeit, daß du wieder ein Mensch wirst«, sagte sie dann. »Los, du hast genug geschlafen.«

      John Berger folgte wie ein braver Schuljunge. Ein wenig irritiert war er, weil er so nackt war. Als er in den Spiegel sah, erkannte er sich kaum wieder. Die Dusche tat ihm gut.

      Helen war in der Kochnische und machte Rührei mit Speck, wie sie es in der Kochschule gelernt hatte. Mit viel Zwiebeln. Als sie hörte, wie die Dusche abgedreht wurde, rief sie hinüber: »Zieh frische Wäsche an, sie liegt auf dem Bett.«

      John Berger hatte sich rasiert und konnte es nicht glauben, daß dieses eingefallene Gesicht mit den tiefliegenden Augen im Spiegel sein eigenes war. Er fand die Unterwäsche, sie war blau-rot gestreift und eine Nummer zu groß. Es roch nach Essen, und plötzlich hatte er das Gefühl, er müßte einen halben Ochsen fressen, so wütend war dieses Hungergefühl in seinem Magen.

      Sie sprachen nicht viel, während er Schinken und Eier in sich hineinstopfte. »Wie heißt du, Mädchen?« fragte er kauend, und sie beobachtete ihn lächelnd. Er sieht eigentlich nicht schlecht aus, dachte sie, rasiert und gewaschen. »Helen«, sagte sie.

      Er zog sich an, auch seinen Mantel, griff in die Tasche und legte ein paar Scheine auf den Tisch. »Danke, Helen«, sagte er. »Darf ich wiederkommen?« »Das ist zu viel«, sagte Helen und deutete auf das Geld. »Natürlich sollst du wiederkommen.« Sie wußte, daß es nicht lange dauern würde. Es waren fast hundert Dollar, die da auf dem Tisch lagen. Der Verdienst einer Woche, in guten Zeiten.

      Chefinspektor Marcel Trudeau war jetzt fast fünfzig und davon dreißig Jahre bei der Polizei, man sah es ihm an. Seit vier Monaten waren alle seine Untergebenen oder Mitarbeiter, sogar sein Chef, sehr nett und rücksichtsvoll zu ihm. Alle wußten, daß ihn seine Frau verlassen hatte. Obwohl er selber zu niemanden darüber sprach. Und wenn er jetzt manchmal unrasiert und mit einem nicht ganz frischen Hemd im Büro erschien, machte niemand Bemerkungen darüber. Die meisten seiner Inspektoren waren vor zwei Jahren bei seiner Hochzeit gewesen, sie kannten Simone, seine Frau. Und alle hatten ja schon damals gewußt, daß das nicht gut gehen würde. Der Altersunterschied war zu groß, und auch ein Chefinspektor vom Format Trudeaus verdiente bei der Pariser Polizei schließlich kein Vermögen. Man konnte es Simone ja ansehen, daß sie nicht nur hübsch, sondern auch teuer war.

      Als Trudeau an diesem Morgen ins Büro kam, mit einer Stunde Verspätung und einer fleckigen Krawatte, stellte seine Sekretärin sofort das Kaffeewasser auf. Das kurze »bon jour« hatte ihr genügt, sie hatte seine verschwollenen Augen und den leicht schwankenden Gang wohl bemerkt. In der letzten Stunde hatte sie alle Anrufe entgegengenommen, tapfer für ihn gelogen und den Anschein verbreitet, der Chefinspektor sei bei einer wichtigen Besprechung oder so. Kaffee zu kochen war alles, was sie noch tun konnte. Schließlich war sie nicht mit ihm verheiratet und hatte, weiß Gott, auch andere Sorgen.

      Als sie ihm den Kaffee hinstellte, ohne Milch und Zucker, rieb sich Marcel seine geröteten Augen und nickte dankbar. »Ist was?« fragte er, und seine Stimme war heiser und kaum zu hören. »Der übliche Kram«, meinte die Sekretärin. »Aber der Direktor erwartet ihren Rückruf.« Marcel blickte fragend. »Seit einer Stunde«,

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