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die von St. Peter thun wollen, ist aber so fürchterlich, daß sie selber davor zurückbeben. Sie losen noch nicht, erst zu äußerst soll es geschehen – gerade ehe die Fremden wieder erscheinen.

      »Ahorn« und Wildleutlaue! So kommt der Frühling.

      Der Presi und Thöni sind nach Hospel geritten. Am offenen Fenster steht im Abendsonnenschein Binia und träumt. Ihre Wänglein sind bleich, die Augen noch dunkler und größer als früher. Auf dem Kirchhof sprießt das erste flaumige Grün und auf dem Kirschbaum, der sich bräutlich schmückt, flötet eine Amsel.

      Eine Amsel. – Sie denkt an Santa Maria del Lago. – Jetzt ist sie selbst der gefangene Vogel, aber keine barmherzige Hand kommt und schneidet sie aus dem Netz. Josi, dessen Bild ihr so gräßlich entschwebt ist, steht wieder in Klarheit vor ihr.

      Die Reue wütet in ihrer Seele. In einer augenblicklichen Wallung des kindlichen Gefühls hat sie dem Vater das Opfer gebracht, daß sie sich mit Thöni verlobte. Ist der Vater des Opfers wert? – Nein, wie könnte er sonst die Freundschaft mit Thöni halten, dem Schuft.

      Und der Vater ist ein Thor. Die Gier Thönis wehrte sie ab, da kam er gerade, allerdings nicht ganz nüchtern, dazu. Thöni ließ sie los, da lachte der Vater glückselig. »Haltet euch nur, Kinder, vor mir braucht ihr nicht so scheu zu thun.« Und Thöni überredet den Vater, heimlich sei sie gar nicht leid zu ihm. Sie aber hat es noch nie dazu gebracht, Thöni nur den kleinen Finger zu strecken oder sich eine Berührung von ihm gefallen zu lassen. Allein an den mißverstandenen Augenblick, an Thönis Vorspiegelungen klammert sich der Vater und betäubt sein schlechtes Gewissen.

      Ob er nun glücklich ist? – Nein, er ist ein armer, armer Mann! Er fällt aus den Kleidern, er beginnt zu ergrauen, er lächelt wohl darüber, daß kein Mensch den Bären betritt, aber der Haß des Dorfes peinigt ihn, die Beleidigung, die er dem Garden angethan hat, tötet ihn fast.

      Er könnte ein herrlicher Mann sein, das Dorf würde an ihm hangen, aber die Welt mag sterben, er setzt seinen eigenen Willen durch.

      Und sie – und sie – dieses viel zu starken Vaters Kind – sie ist schwach geworden – nach unsäglicher Treue doch treulos.Wie sie als Kind gethan, wenn sie hilflos war, beißt sie in die Finger und schaut mit großen traurigen Augen in die sonnige Frühlingswelt.

      Da rennen Leute die Straße daher und kreischen: »Es ist ein Toter auferstanden – Josi Blatter, der Rebell!«

      Sie schreit auf – sie fällt in die Kniee, sie flüstert: »Er lebt!« und vor ihr versinkt die Welt.

      Kapitel Fünfzehn

      Geheimnisvoll, wie er gegangen war, kam Josi Blatter!

      Durch den Donner der Lawinen, durch den rauschenden Föhnsturm des Märzen schritt er am Spätnachmittag von der Schneelücke herunter.

      Lange bevor er St. Peter erreichte, hatte man im Dorf den einsamen Wanderer bemerkt. »Ein Mann, ein Tier oder ein Gespenst!« rieten die Leute und waren eher geneigt, an etwas Wunderbares als an etwas Natürliches zu glauben. Was für ein Christ konnte um diese Zeit der höchsten Gefahr über die Schneelücke steigen, an der selbst im Hochsommer hundertfache Gefahren lauern. Der Wanderer aber schritt unentwegt näher und sprach zu den verwundert Spähenden und Harrenden: »Grüß euch Gott,« gerade wie es die zu St. Peter sprechen.

      »Alle Heiligen. – Das ist Josi Blatter – das ist der Rebell!« Die Frauen und Kinder bekreuzten sich, man hörte ängstliche Stimmen: »Ist er lebendig oder tot?« und die abergläubisch Erschrockenen fuhren zurück.

      Er mußte wohl lebendig sein, wie er in Nagelschuhen, den Rucksack über die Schultern gehängt, den eisenbeschlagenen Bergstock in starker Hand, so fest und gelassen kam. Es war, als wolle er gerade zum Kirchhof gehen, und in scheuer Entfernung folgten ihm die Dörfler: »Der ist jetzt ein schöner Mann geworden!« meinten einige. Er aber wandte sich um: »Bäliälplerin, wißt Ihr, welche Nummer das Grabscheit meiner seligen Schwester Vroni hat? Ich möchte für sie beten.«

      Alle, die es hörten, schrieen auf und wichen zurück. Der junge Peter Thugi nur grüßte ihn herzlich: »Josi, was denkst du? Deine Schwester Vroni ist nicht gestorben, sie ist ganz gesund, tritt nur ins Haus des Garden.«

      Josi wankten die Kniee; als ob er stürzen wolle, pflanzte er sich an den Bergstock. Er konnte nicht reden.

      Jetzt sind sie vor der Wohnung des Garden. »Lebe wohl, Josi!« sagt Peter Thugi. Der murmelt aber nur finster: »Warum hat mir der Garde das gethan?«

      »Josi Blatter, der Rebell, ist auferstanden!« tönt es wie Feuerruf durch das Dorf, halb St. Peter sammelt sich vor der Wohnung des Garden.

      Er sitzt mit der spinnenden Vroni in der Stube. Da sieht er den Auflauf. Im gleichen Augenblick pocht es an der Thüre und Vroni öffnet.

      »Josi! – Alle Heiligen – Josi!« Mit blutleeren Wangen weicht sie zurück – dann stürzt sie wieder vorwärts und umhalst ihn jubelnd und weinend. »Du lebst, Josi, – du lebst!« Allein der Ankömmling bleibt an der Schwelle stehen, stellt den Bergstock nicht an die Wand, legt den Rucksack nicht ab, und als der Garde ihm entgegengeht und sagt: »Komm doch herein, Josi,« da bleibt er noch wie angewurzelt unter der Thüre. »Ja, darf ich?« fragt er gedrückt. »Lange eng machen will ich euch nicht. Ich weiß jetzt, daß ich überzählig bin.« Finster und wankend steht er an der Thüre: »Ehe ich eintrete,« preßt er hervor, »muß ich doch fragen, wie Ihr mir habt so einen Brief schreiben können, Garde. Vroni lebt und ist nicht tot! – O Vroneli, du lebst – du lebst!« Er will sie umarmen, aber sie tritt zurück und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen.

      »Mutter Gottes, was Josi redet,« jammert sie. »Ich gestorben und der Vater einen Brief? – Josi, hat dir die fremde Welt das Hirn verrückt?« Ihre Augen nehmen einen schreckhaften Ausdruck an.

      Der erste, der sich in der grenzenlosen Verwirrung faßt, ist der Garde: »So komm doch herein, Josi,« redet er ihm freundlich zu, »mir wollen über alles im Frieden reden. Vroni, jetzt hole zu essen und zu trinken, mit dem Wiederfortgehen drängt es gewiß nicht, Josi.«

      Der sitzt nun am Tisch und schluchzt in die Hände: »Vroni lebt!«

      Der Garde ist tief erschüttert. »Ein Brief – ein Brief! sagst du, Josi.« Er langt in ein Schubfach des Buffert. »Da ist auch ein Brief, aus dem wir nicht klug geworden sind.« Josi schaut auf – er dreht und dreht den Brief in zitternden Händen. »Vor vier Jahren! Da war ich allerdings in der Gegend von Srinigar! Vor zweien noch. Auch die Cholera war dort. Ein paar hundert hat man alle Tage verscharrt. Es ist abscheulich drauf und drunter gegangen. Da hat mich vielleicht die Post nicht gleich gefunden und hat geglaubt, ich liege auf dem Karren. Solche Dinge sind in der großen Verwirrung vorgekommen, viele Angestellte der Post sind gestorben, es hat neue gegeben, und die waren nicht immer zuverlässig. So ist ein Irrtum denkbar.« Er wirft einen Blick in den Brief: »Und Binia hat das Wort von den Vögeln geschrieben: ›Laß die Hoffnung nicht fahren.‹« Er erbebt.

      Vroni ist mit dem Hospeler, dem Brot und Rauchfleisch zurück, sie deckt den Tisch mit weißem Linnen und der Garde sagt, indem er dem jungen Manne noch einmal die Hand schüttelt: »Josi, gottwillkommen, ich merke schon, es ist viel aufzuklären.«

      Die Geschwister, von denen eines geglaubt, das andere sei tot, umarmen sich wieder und wieder: »Josi, du lebst« – »Du lebst auch, Vroni!«

      Plötzlich sagt Josi: »Aber wie so lange kein Brief gekommen ist, hab' ich doch wieder einen gesandt. Darauf ist Euer Brief, Garde, gekommen, und ich habe Euch noch zweimal geschrieben, aber keine Antwort erhalten. Ich verstehe die Welt nicht mehr.« Er langt in die Brusttasche. »Da ist Euer Brief, Garde!«

      Der Garde liest, wird bleich, wird rot und wieder bleich: »Nicht selig werden will ich, wenn ich das geschrieben habe, so gotteslästerliche Dinge – schau! – schau! – Vroni!«

      Und sie liest:

      »Lieber Vögtling Josi! In gar großer Betrübnis melden wir Dir, daß das gute, liebe

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