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anfragen darf.«

      »Das thätest du deinem Buben zuleide, daß du Vroni in seiner Abwesenheit gehen ließest. – Nein, Gardin, Vroni bleibt da!«

      Mit Festigkeit erklärte es der Garde.

      Frisch und lebensfroh kam Eusebi vom Dienst zurück. »Vater, ich habe mich furchtbar zusammennehmen müssen, daß ich immer nachgekommen bin, aber es ist gut gegangen.« Das spürte man Eusebi an. Er erzählte seine Erlebnisse so hellauf, wie ihn noch nie jemand gesehen.

      »Ja, aber Eusebi,« lachte der Garde, »bei uns giebt's auch Neuigkeiten. Vroni bleibt wohl nicht mehr lang da, die Burschen im Dorf gucken sich fast die Augen aus nach ihr, und zwei, die ich nicht verraten will, haben sich schon als Freier gemeldet.«

      Vroni, die dabei stand, als der Garde so redete, glühte wie eine Rose auf: »Ich will aber keinen, ich bleibe bei euch, Garde. Und wer wollte sich auch im Ernst um mich kümmern? Es ist mir am wohlsten, wenn ich ledig bleibe.«

      Schön war sie in ihrer tiefen Verlegenheit, wie sie, das Haupt gesenkt, mit zitternden Fingern an den Haften ihres Mieders nestelte.

      Eusebi aber riß an seinem Schnurrbärtchen, daß es ihm in den zuckenden Fingern geblieben wäre, wär's nicht so fest angewachsen gewesen. Wie unvorsichtig war es, denn der blonde Schnurrbart machte sein Gesicht beinahe hübsch!

      Am Abend überraschte die Gardin ihren Sohn, wie er bei Vroni am Herdfeuer in der Küche stand und das Blondhaar des abwehrenden Mädchens zu streicheln versuchte und immer wiederholte: »Gelt, liebe Vroni, es ist dir doch nicht ernst, daß du ledig bleiben willst?«

      Halb freute, halb ärgerte sich die Gardin. Nein, das war nicht mehr der scheue, blöde Eusebi. Mit einem Scheit jagte sie ihn aus der Küche und Vroni hielt sie eine Predigt.

      Der erwachende Eusebi warb aber so freimütig um Vroni, daß ihre Stellung zwischen Sohn und Mutter immer schwieriger wurde und sie Mühe hatte, sich in den Augen der Gardin untadelig zu benehmen.

      Bald aber überschattete ein trauriges Ereignis das im Hause aufblühende sanfte Liebesspiel.

      Mehr als ein halbes Jahr, nachdem Vroni ihren Brief mit dem Zusatz von Binia an Josi geschickt hatte, mitten im tiefen Winter, kam das Schreiben, mit vielen Stempeln bedeckt, an zwei Stellen etwas durchschnitten, an sie zurück und auf der Rückseite stand: »Addressee died in the cholera-hospital at Srinigar.« Diensteifrig hatte Thöni schon die Übersetzung auf den Umschlag gefügt: »Der Adressat ist im Cholerahospital zu Srinigar gestorben.« Darunter stand irgend ein Stempel.

      Vroni hielt die Botschaft noch in den bebenden Händen, da kam schon Binia in aufgeregter Hast dahergeeilt; »Vroni, liebe Vroni, gelt, das ist nicht wahr, er lebt!«

      Vroni aber, die, ihrer Sinne nicht mächtig, auf einen Schemel gesunken war, rief immer nur, daß sich die Wände hätten erbarmen mögen: »Es ist halt nach dem Kirchhoflied gegangen, Josi, mein Herzensbruder, ist tot – o, als er ging, habe ich es gewußt, daß er sterben würde!«

      Die großen dunklen Augen Binias erweiterten sich schreckhaft.

      Das bereitwillige Eingehen auf die Todesbotschaft und der Zusammenbruch Vronis erschütterten sie mehr als die erste Nachricht, um ihren Mund zuckte das Weinen, sie wankte hinaus in die Winterdämmerung. »Es ist nicht wahr! – Diejenigen, die gelobt haben, für die heligen Wasser an die Weißen Bretter zu steigen, können ja nicht krank werden und nicht sterben, bis ihr Gelübde erfüllt ist.«

      Im Volksglauben suchte sie Trost.

      Zuerst mißtraute auch der Garde und das ganze Dorf der Todesbotschaft. Hatte man Josi Blatter nicht schon einmal für tot gehalten und dann war er doch wieder lebendig zum Vorschein gekommen!

      »Hat er sich gemeldet?« fragte man Vroni. »Nein, das nicht – ich habe nichts gesehen und nichts gehört.«

      »Dann lebt er, dem nächsten Verwandten muß sich ein Sterbender melden, und ginge sein Weg über das weite Meer. Vor zwei Jahren hat sich in Tremis einer, der in Amerika gestorben ist, seinem Bruder angezeigt.«

      Allein die Tröstungen des Volksglaubens hielten nicht stand vor der herben Wirklichkeit. Der Garde nahm den Brief bei der ersten Gelegenheit mit in die Stadt und legte ihn der Post vor. Da versicherte man ihn, die Stempel seien echt, das Schreiben sei durchschnitten, weil es auf der Rückkehr aus dem Choleragebiet geräuchert worden sei, und die Cholera sei eine Krankheit, die den gesundesten Mann in einer Stunde wegblase.

      Der Garde erbat sich aus Bräggen die Adresse Indergands; als sie anlangte, schrieb er an den Kameraden Josis, Vroni sandte noch einmal einen Brief an Josis eigene Adresse, es kamen aber keine Antworten, ja nicht einmal mehr die Briefe zurück, auch das große amtliche Schreiben nicht, mit dem sich der Gemeinderat von St. Peter an den schweizerischen Konsul in Kalkutta wandte, und unter Angabe der näheren Umstände um einen Totenschein für Blatter ersuchte.

      Unterdessen war man schon wieder in den Sommer gekommen, und Vroni sagte die Totengebete für den Bruder her, und das Schönste deuchte sie immer das Kirchhoflied:

      »Du armer Knabe! Schlaf am Meere!

      Sieh, Gottes sind so Flut wie Firn,

      Sieh, Gottes sind die Sternenheere,

      Er schickt ein Tröpfchen, das die Stirn

      Mit frischem Gletschergruß umspült

      Und dir das heiße Heimweh kühlt!«

      Die tiefe Trauer des Mädchens hielt auch im Dorf das Andenken an Josi Blatter noch eine Weile rege.

      In einer seltsamen Gewitterbeleuchtung erschien den Dörflern das kurze Leben Josis. Sein Vater war zu Tode gestürzt, durch die Schuld des Presi war der Bursche auf einen bösen Weg gekommen, er hatte zuletzt die armen Seelen beleidigt, aber schlecht war Josi doch eigentlich nie gewesen, großmütig hatte er sogar sich selbst für die fünf Verstiegenen in die Schanze geschlagen.

      »Ueber den Presi aber, der dieses junge Leben zu Grunde gerichtet hat, wird es kommen!«

      Das flüsterte stetig durchs Dorf.

      Niemand bewies Vroni so herzliche Teilnahme wie Eusebi, und die Gardin wurde darüber eifersüchtig auf sie. Als eines Tages, just wie der Garde und Eusebi auf der Alp waren, eine leidende Fremde, die in Vronis blauen Augen das tiefe Gemüt entdeckt hatte, das Mädchen als Begleiterin anstellen wollte, riet die Gardin Vroni dringend zu: »Du bekommst es gewiß besser als bei uns – du wirst vielleicht in ein paar Jahren schon eine reiche Erbin!«

      Da stürzten Vroni die Thränen hervor. Das war ein Blitz aus heiterem Himmel. Vor ihrem Bett im Kämmerlein kniete sie und schluchzte herzzerbrechend und stundenlang.

      Sie merkte es nicht, wie die Männer heimkamen, wie Eusebi, er, der Langsame, die Treppe herausstürmte, wie er etwas schüchtern die Thür öffnete und in das Kämmerchen trat, sie spürte es erst, als er immer noch etwas scheu ihr weiches blondes Haar streichelte und sagte: »Vroni, weine nicht.«

      »O Eusebi, ich soll fort – und ich kann nicht. Es ist mir ja nirgends wohl als bei euch!«

      »Sei ruhig, Vroni, ich habe dich ja lieb,« tröstete er herzlich.

      Da blickte sie mitten aus den Thränen einen Augenblick sonnig und gläubig auf, aber nur einen Augenblick:

      »Eusebi, rede nicht so – du weißt, ich bin ein armes Mädchen, obwohl ihr mich wie eine Tochter gehalten habt. Es ist besser, ich gehe.«

      Da rannte Eusebi aus der Kammer: »Mutter, wenn Vroni fortgeht, so gehe ich auch.«

      »Sei kein Narr, Eusebi,« sagte diese überlegen und kühl, »hat je ein Bauer ein Wildheuerkind geheiratet?«

      Eusebi tobte und stürmte in die Stube: »Hast du's gehört, Vater – Vroni geht fort.«

      Der Garde saß breit am Tisch und stützte den Kopf in beide Fäuste: »Thorheiten – Thorheiten,« murmelte er vor sich hin.

      Da jagte Eusebi, der lebendig geworden, wieder fort, hinauf

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