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zu, nachdem sie unwillkürlich einen Blick auf die kleine Thür mit matten Scheiben geworfen hatten, die zu einem kleinen Gang führte, der sich mit dem Arbeitszimmer des Chefs verband. Das Wort „Konferenz“ hatte sie plötzlich stutzig gemacht.

      Seit acht Tagen ahnten alle, dass etwas in der „Luft“ liege, was eng mit dem Zustande des Geschäfts zusammenhängen müsse. Man hatte hin und her geraten, bis man schliesslich auf den Gedanken gekommen war, der „Alte“ habe wieder grosse Verluste an der Börse gehabt, deren Deckung ihm Kopfschmerzen verursachte. Man wusste gar nicht, wie richtig man geraten hatte. Nicht im entferntesten dachte man daran, dass das Geschäft an und für sich darunter leiden könnte, war man doch überzeugt, dass das Privatvermögen des Chefs ausreichend sein werde, um etwaige Schäden gut zu machen — Schäden, die jedenfalls nicht zu gross sein würden. Denn ein so gewiegter Geschäftsmann wie Carl Friedrich Treuling würde sich jedenfalls niemals in allzuhohe Spekulationen einlassen, ohne das Bewusstsein dabei aufzugeben, genügendes Kapital hinter sich zu haben.

      Buchhalter und Kassierer namentlich waren dieser Meinung, und die mussten es doch zu allererst wissen. Der erstere stellte einen ausserordentlich grossen Reingewinn für dieses Jahr in Aussicht, und der letztere erklärte die Kassenverhältnisse für ganz vorzügliche. Allerdings hatte er nicht die geringste Ahnung von den Wechseln in Höhe von beinahe einer Viertelmillion, die gleich Würgengeln des Kaufmannsstandes im Hintergrunde lauerten.

      Kein Tag verging, ohne dass sich nicht etwas Besonderes ereignet hätte. Heute früh, gleich nach neun Uhr, hatte es hinten im Arbeitszimmer des Alten zwischen Vater und Sohn einen Auftritt gegeben, wie man ihn zuvor niemals erlebt hatte. Als der Kassierer die Glasthür geöffnet hatte, um den Gang zu betreten, war er entsetzt zurückgeprallt — derartig hatte ihn das Zorngeschrei des Alten entsetzt.

      Niemand wagte hineinzugehen. Und als Treuling der Jüngere dann ins grosse Comptoir getreten war, hatte man ihm die Erregung vom Gesicht ablesen können, dessen Blässe auffallend gewesen war.

      Alles zitterte vor Treuling dem Älteren, und so war es ganz natürlich, dass man es zu vermeiden suchte, ihn unnötig zu belästigen.

      „Es wäre mir auch eben so angenehm, den jungen Herrn Treuling zu sprechen,“ sagte Vater Wilhelm wieder, da er nicht aufdringlich erscheinen und diesen Gang nicht unnütz gemacht haben wollte.

      „Dann müsste ich erst recht bedauern; Herr Treuling junior ist augenblicklich nicht anwesend.“

      Nun sagte Vater Wilhelm ziemlich kurz:

      „Dann muss ich Sie bitten, mich dem alten Herrn zu melden! ... Mein Name ist Tetzlaff ... Wilhelm Tetzlaff. Der Herr Chef kennt mich bereits persönlich.“

      Nach diesen Worten hörte man ein halbes Dutzend Pultschemel zu gleicher Zeit knarren infolge der plötzlichen Wendung, die die Körper der auf ihnen Sitzenden machten; und ebensoviele Armbewegungen deuteten darauf hin, dass die Feder ihre Arbeit eingestellt habe.

      Von dem letzten Pult löste sich eine mittelgrosse Gestalt mit freundlichem Gesicht und trat näher. Es war Herr Knauerhase, der die Chefs in dringenden Angelegenheiten zu vertreten hatte.

      „Ich irre mich wohl nicht — der Herr Grosspapa von der Braut des jungen Herrn Chefs?“ mischte er sich mit ausgesuchter Höflichkeit in das Gespräch.

      „Zu dienen, mein Herr, der bin ich.“

      „Haben Sie die Güte, und nehmen Sie einstweilen Platz! Ich werde Sie sofort anmelden.“

      Er schob ihm einen Stuhl hin und schritt der Thür mit den matten Scheiben zu, während der Alte nach geäussertem Danke sich niederliess.

      Aufs neue knarrten die Drehschemel, und die Gesichter wendeten sich nun den Fenstern zu, um das boshafte Lächeln zu verbergen. Seit langem amüsierte man sich bereits innerlich über die „verbohrte Idee“ Treulings des Jüngeren, wie man dessen Heiratsplan im geheimen nannte. Und nun genoss man das Vergnügen, das Oberhaupt der zukünftigen Verwandtschaft in eigner Person vor Augen zu haben. Wie ein Geheimer Kommerzienrat sah er allerdings nicht aus, davon war man sofort überzengt.

      Einige der jungen Leute stiegen von den hölzernen Böcken herab, traten zusammen und machten spitze Bemerkungen über den „hohen Besuch“.

      „Er kommt wohl, um die Höhe der Mitgift festzusetzen, wie?“ flüsterte der eine, worauf nach einem unterdrückten Kichern ein zweiter sofort einfiel:

      „Ich mache den Vorschlag — wir schenken ihm zur Hochzeit einen neuen Zylinderhut.“

      Unterdrücktes Lachen folgte aufs neue. Plötzlich wurde die Glasthür hinten wieder geöffnet, und die kleine Gruppe stob auseinander. Jeder bestieg seinen Drehschemel. Einer der Vorwitzigsten rief laut: „Herr Knauerhase, jagen Sie uns doch nicht immer solchen Schreck ein!“

      Der Augeredete erwiderte nichts, sondern wandte sich sofort an Vater Wilhelm:

      „Herr Treuling lässt lebhaft bedauern ... Ob Sie nicht die Güte haben wollten, sich morgen nachmittag herzubemühen? Der Chef ist augenblicklich sehr beschäftigt und muss sogleich in die Stadt.“

      Das hat doch wieder etwas zu bedeuten — dachten die übrigen Comptoiristen und warfen sich aufs neue bedeutungsvolle Blicke zu.

      „Dann muss ich sie bitten, noch einmal zu Ihrem Herrn Chef hineinzugehen und zu sagen, dass meine Unterredung keinen Aufschub duldet. Es handelt sich um eine durchaus wichtige Angelegenheit.“

      Kaum hatte er das gesagt, als die Glasthür abermals geöffnet und Treuling des Älteren Kopf sichtbar wurde. Er hatte sich besonnen und es vorgezogen, selbst zu erscheinen.

      Da er den Alten nicht gleich erblickte, so rief er fragend herein: „Ist Herr Tetzlaff noch hier?“ Dann fügte er sofort hinzu: „Ah — jetzt sehe ich Sie erst — bitte, treten Sie näher! Ein Viertelstündchen habe ich doch noch Zeit.“

      Er liess die Thür offen und machte sich unsichtbar. Vater Wilhelm erhob sich, nahm den Hut vom Tisch und verschwand ebenfalls hinter der kleinen Thür.

      „Nun, wie gehts Ihnen, mein lieber Herr Tetzlaff?“ begann Treuling sofort mit auffallender Freundlichkeit, als sie beide ungestört waren. „Guten Tag — geben Sie mir doch erst die Hand!“

      „Ich danke; man ist gesund und zufrieden, und das ist wohl die Hauptsache,“ erwiderte Vater Wilhelm, nachdem er der Aufforderung Folge geleistet hatte. Er stellte Hut und Stock beiseite und begann langsam die Handschuhe abzustreifen.

      „Entschuldigen Sie nur, dass ich Sie nicht gleich vorgelassen habe, aber ich bin jetzt derartig mit Geschäften überhäuft, dass selbst meine besten Freunde darunter zu leiden haben.“

      „Ja, ich habe davon gehört.“

      Treuling stutzte. „Wovon haben Sie gehört?“

      „Nun, von Ihren grossen Geschäften ... von den Spekulationen. So etwas spricht sich ja bald herum.“

      „Was für Spekulationen meinen Sie denn? ... Aber so legen Sie doch ab, Herr Tetzlaff — Sie werden sich sonst erkälten, wenn Sie wieder ’rauskommen.“

      „Ich werde mich nicht lange aufhalten.“

      „Aber so machen Sie doch! ... Mir fällt gerade ein, dass ich den Gang auch aufschieben kann.“

      Er ruhte nicht eher, bis der Alte Tuch und Überzieher beiseite gelegt hatte. Vater Wilhelm kam diese Liebenswürdigkeit verdächtig vor, und so dachte er: Dahinter steckt etwas; aber ich werde auf der Hut sein!

      Dann nahm er Platz. Treuling bot ihm eine Zigarre an, die er indessen mit dem Bemerken ablehnte, er fühle sich etwas verschnupft und müsse deshalb danken. Dagegen zündete sich Treuling eine an und setzte sich ihm gegenüber.

      „Ich bin hierher gekommen, Herr Treuling, um hier als ehrlicher Mann ganz offen eine Bitte zu äussern, die Sie mir hoffentlich nicht übel deuten werden,“ begann Vater Wilhelm, nachdem er gewohnheitsmässig seine Hände über den Leib gefaltet hatte.

      „Weiss schon, weiss schon — kann sie mir

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