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und küsste sie auf ihr Haar. Derselbe Duft strömte ihm entgegen, wie in jener Nacht, als er von der Jüngsten Abschied genommen hatte. Er sog ihn begierig ein, wie etwas Angenehmes, Berauschendes, das alte Erinnerungen erweckt. In diesem Augenblicke genoss er wahrhaft glückliche Minuten. Er riss sich los und ging aufs neue umher, Mitleid im Herzen für die Schwester, die noch nicht wusste, was ihrer wartete.

      „Ich freue mich ja wirklich so sehr, dass ich Dich gerade jetzt noch einmal zu sehen bekommen habe,“ sagte sie wieder, indem sie ihre Augen trocknete: „Du wirst gewiss gehört haben, dass bald eine Änderung in meinem bisherigen Leben eintritt.“

      „Ja, ich habe es gehört,“ erwiderte er kurz.

      „Aber so leg doch den Mantel ab und thu nicht so, als wolltest Du bald wieder gehen,“ bat sie und zeigte sich dann behilflich. Während sie das Kleidungsstück an einen Haken der Thür hing, fuhr sie fort:

      „Dass Du gerade heute gekommen bist, kann ich Dir gar nicht genug danken.“

      „Du hast Dich wohl sehr einsam gefühlt, he?“ warf er ein, ohne seinen Rundgang einzustellen.

      „Wie kommst Du denn darauf?“ Verwundert blickte sie ihn an.

      „Nun, wie man so darauf kommt. Ich nehme es an, weil ich Dich allein getroffen habe. Wenn man so kurz vor der Hochzeit steht, sollte der Herr Bräutigam Rücksicht nehmen und mit seiner Braut eigentlich in der Familie sein.“

      Es lag etwas in seiner Stimme, das sie verblüffte. „Wie meinst Du denn das wieder?“

      „Nun, wie soll ich’s wieder meinen? ... So, wie ich spreche.“

      „Es ist wahr, ich habe mich auch wirklich einsam gefühlt, aber ohne Veranlassung dazu zu haben.“

      „So? Glückliches Geschöpf Du!“

      „Das hört sich ja ganz ironisch von Dir an. Du gönnst mir wohl mein Glück nicht?“

      „Weshalb sollte ich Dir Dein Glück nicht gönnen? Wäre ich sonst wohl hierher gekommen?“

      Er vermied es, sie anzusehen, und ahnungslos, wie sie war, begann sie wieder, erfreut darüber, jemand zu haben, mit dem sie sich über das, was sie am meisten berührte, unterhalten konnte:

      „Eberhard hatte nämlich heute eine dringende geschäftliche Abhaltung. Er schrieb es mir.“

      „So?“

      „Ja! Gerade als ich ihn erwartete, kam ein Rohrpostbrief ... Und was Du vorhin über den Familienverkehr sagtest, mein Gott — damit sieht’s ja trübe aus. Du weisst ja, wie die Sachen liegen. Nach Hause gehe ich nicht, vorläufig wenigstens nicht — und mit dem alten Treuling ist’s auch noch so wie früher. Eberhard meint zwar, das würde sich nach der Hochzeit alles sehr ändern ...“

      „So? Das soll öfters vorkommen.“

      „Eigentlich bin ich doch recht zu bedauern, nicht wahr?“ begann sie wieder lächelnd nach einer Weile.

      „In gewisser Beziehung — ja.“

      „Wenn Du nur einen Gefallen thun willst, Heinz, so setz Dich! Du hast immer noch die alte Augewohnheit wie früher, im Zimmer umherzulaufen und Bemerkungen zu machen, aus denen man nicht ganz klug wird.“

      „Vielleicht habe ich diesmal alle Veranlassung dazu,“ sagte er trocken und blieb vor ihr stehen. „Ich kann Dir nur sagen, dass ich Dich wirklich aus tiefster Seele bedaure ... Du hättest Dich mit diesem Kerl gar nicht einlassen sollen!“

      Sie schwieg, weil sie in dem Augenblick nicht richtig zu verstehen glaubte.

      „Ja, wen meinst Du denn damit?“ brachte sie dann betroffen hervor.

      „Deinen sogenannten Herrn Bräutigam — das sollte Dir doch einleuchten.“

      „Heinz!“ Sie vermochte nur dies eine Wort hervorzustossen, in heftiger Erregung, die ihren Körper durchschüttelte.

      Ruhig blickte er sie an. „Nun, was soll dieses ‚Heinz‘?“ Er zuckte mit den Achseln und wandte sich wieder ab.

      „Das fragst Du noch? Bist Du deswegen gekommen, um mir so etwas zu sagen?“

      „Nur deswegen ... und noch viel mehr!“

      „Dann hättest Du Dir diesen Gang hierher ersparen können. Niemals werde ich dulden, dass man hinter Eberhards Rücken Schlechtes spricht!“

      Plötzlich schien sie nicht begreifen zu können, wie man ihre kindliche Freude über das Wiedersehen derartig vergelten könne. Sie wandte sich ab, hielt nur mühsam die neu heraufguellenden Thränen zurück und sagte leise:

      „Ich glaubte schon, Du wärst anders geworden; aber nun sehe ich, dass Du immer noch schlecht bist. Pfui, schäme Dich! Einen Menschen zu beleidigen, den Du gar nicht kennst, der Dir nie etwas Übles zugefügt hat ... Weshalb bist Du denn eigentlich hierher gekommen?“

      „Um Dir ganz etwas Neues zu sagen: Ich werde Deinem Bräutigam eine Kugel durch den Kopf jagen, wenn er mir nicht binnen drei Tagen Genugthuung giebt!“

      Die langverhaltene Wut stieg wieder in ihm auf und so gewaltig, dass sie allein ihn beherrschte. Die Thränen seiner Schwester rührten ihn nicht mehr, sie spornten ihn nur an, ihn noch zorniger zu machen, bevor er ihr alles enthüllte.

      „Wenn Du so etwas sagst, möchte ich am liebsten wieder lachen,“ erwiderte sie, plötzlich gefasster geworden. „Du hast einen Hass gegen ihn, den ich mir schon früher nicht erklären konnte — ich habe ja natürlich von Deinem Besuch da draussen gehört.“

      „Hab’ ich auch, weil ich derjenige war, der alles vorausgeahnt hatte! Denkst Du denn wirklich, dass er Dich heiraten wird?“

      Ja, sag ’mal, Heinz — was sprichst Du eigentlich? Du bist überhaupt so aufgeregt ... Du hast gewiss ganz gehörig gekneipt. Robert sagte mir ja schon, dass Du mit diesem Hipfel noch sitzen geblieben wärst. Das ist der richtige Bruder, der jagt ja den ganzen Lotteriegewinn durch die Kehle!“

      „Dann hat er wenigstens etwas davon. Andere schlaue Leute lassen ihn sich auf Zinsen geben und betrügen dann die Gewinner.“

      „Die Erfahrung hast Du wohl gemacht? Es ist Dir ja auch leicht genug geworden.“

      „Thu mir den Gefallen, Hannchen, und behalte derartige Spitzen für Dich! Mein Geld ist vortrefflich angelegt; davon werdet Ihr Euch später noch ’mal überzeugen. Aber Du bist die Betrogene, doppelt und dreifach!“

      Sie verstand ihn abermals nicht. Eine dunkle Ahnung durchzuckte sie aber; mit weit aufgerissenen Augen blickte sie ihn fragend an.

      „Ja, reiss nur jetzt die Augen auf! Pack diesen ganzen Ausstattungsplunder in die Kasten. Dein Herr Bräutigam hat sich bereits wieder an eine andere gemacht, die er schon früher kannte! Du kannst Dir wohl denken, wen ich meine.“

      Anscheinend unberührt von dem Gesagten, als hätte er eine gleichgiltige Bemerkung getbau, ging er, die Hände in den Hosentaschen, vor ihr auf und ab. Einige Augenblicke hörte man nur den Wiederhall seiner Tritte und das schwere Atemholen, das von Hannchen kam. Dann schrie sie mehr als sie sagte:

      „Du lügst, Heinz, Du lügst! ... Es ist nicht wahr, was Du eben gesagt hast, es kann nicht wahr sein! Es ist Deine alte Niederträchtigkeit, mit der Du immer durch das Glück der Menschen fährst. Gestern erst habe ich es noch aus seinem Munde erfahren, dass er’s ehrlich meine wie immer.“

      Die Worte waren ihr hervorgesprudelt gleich einem wiederholten Erlösungsschrei, der ihre Seele entlasten müsse. Stürmisch wogte ihre Brust, und fast röchelnd rang sie nach Luft.

      Er hatte dasselbe Schulterzucken bereit. „Täuschung, weiter nichts als Täuschung — raffinierte sogar! Schlaue Berechnung, um Dich bei guter Laune zu erhalten. Ich komme direkt von Bandels, wo ich ihn mit der Tochter überrascht babe. Sie sassen Hand in Hand und poussierten ganz wacker. Man hatte mich heute nicht erwartet, und nun trat ich ungeniert ins Zimmer. Der Alte war auch da — überhaupt ’ne grosse Gesellschaft.

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