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ganze Gesellschaft in die Luft. Solche Heuchler sind mir noch nicht vorgekommen! Nun wirst Du mir hoffentlich dankbar sein, dass ich hinter die Schliche gekommen bin.“

      Sie sagte nichts. Die Ahnung einer ihr drohenden Gefahr, die ihr während des ganzen Abends vorgeschwebt hatte, hatte sich für sie plötzlich in Gewissheit verwandelt. Der Sturz aus der Höhe des Glückes war so unvermittelt für sie gekommen, dass sie sich widerstandslos fühlte. Sie setzte sich in die Ecke des Sofas, verbarg das Gesicht in die Hände und weinte still und heiss. Langsam quollen die Thränen zwischen den Fingern hindurch. Sie zweifelte nicht mehr, denn sie hätte es selbst unerklärlich gefunden, wenn man ihr vor ihrem Ziele nicht plötzlich ein vernichtendes Halt zugerufen hätte. Ihr Glück hatte eine zu grosse Höhe angenommen, auf der sie vom Schwindel befallen worden war.

      „Aber deshalb brauchst Du nicht zu weinen. Das ist die ganze Sippe wahrhaftig nicht wert,“ begann Heinz wieder, nachdem er sie eine Weile stumm betrachtet hatte. Weichheit lag in seiner Stimme, fast that es ihm schon leid, so rücksichtslos vorgegangen zu sein.

      „Bis jetzt haben wir noch den Vorteil. Wir werden die Verlobung öffentlich aufheben, und dann sind Bandels und Treulings die Blamierten. Das andere kommt dann nach. Aber nun höre auch, wie die Sache sich weiter abgespielt hat. Es war wie eine grosse Scene in einem Drama auf der Bühne, beinahe ein ganzer Akt. Es waren wohl zwanzig Menschen da. Ich natürlich ganz unvorbereitet — sonst wäre ich im Frack erschienen. Ich stellte mich mitten in den grossen Salon den beiden Treulings gegenüber und hielt ihnen eine Moralpauke, die sie wohl zeitlebens nicht vergessen werden. Alle Gäste, Damen und Herren um mich herum. ‚Pfui, Sie schlechter Kerl!‘ rief ich ihm zu; ‚Sie stehen mit Ihrem Vater vor der Pleite, lassen Ihre arme Braut sitzen und wollen sich jetzt hier an eine reiche machen, um Ihr Haus vor dem Ruin zu bewahren? Wenn Sie ein Mann von Ehre wären, dann würde ich Ihnen morgen meine Zeugen schicken, aber mit Leuten Ihrer Art, die mit Betrügern auf einer Stufe stehen, schlägt sich ein anständiger Künstler nicht. So erkläre ich Sie denn hiermit öffentlich alle beide für nichtswürdige Hallunken, die einander würdig sind ...‘

      Du hättest ’mal den Eindruck sehen sollen, den meine Worte gemacht haben. Die Damen steckten die Köpfe zusammen und warfen mir Blicke der Bewunderung zu. Und die Herren wandten sich ab, als bedauerten sie, hier Gäste sein zu müssen. Beide Treulings waren leichenblass geworden, die Bandels natürlich auch, namentlich die Tochter. Sie wusste gar nicht, wohin sie blicken sollte. Und nun wollte ich doch noch einen würdigen Abgang haben — weisst Du, wie die grossen Schauspieler auf der Bühne am Schlusse einer Scene. Als ich sah, dass ich allein der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit aller war, begann ich aufs neue:

      ‚Meine Damen und Herren,‘ sagte ich, ich bedaure lebhaft, wenn ich meiner fürchterlichen Anklage gegen diese beiden Herren noch eine Erklärung hinzufügen muss, aber ich fühle mich dazu notgedrungen — und zwar eine Erklärung gegen den Herrn Gastgeber und dessen Frau Gemahlin. Man hatte mich zum zukünftigen Schwiegersohn ausersehen, trotzdem ich mich stets dagegen gesträubt hatte. Sollten aber Herr und und Frau Bandel noch der Meinung sein, ich hätte mich jemals um eine Verwandtschaft mit diesem Hause gerissen, so muss ich ihnen zu meinem Bedauern hier öffentlich das Geständnis machen, dass ich in dieser Beziehung bereits in der Familie eines unserer ersten Börsenfürsten, eines bekannten Kunstfreundes, ziemlich bindende Verpflichtungen eingegangen bin. Ich habe die Ehre, meine Damen und Herren ... Anton, meine Garderobe!‘

      Damit verbeugte ich mich leicht nach allen Seiten und schritt langsam und stolz zur Thür hinaus, die der Diener weit aufgerissen hatte. Als mir Anton draussen behilflich war, die Garderobe anzulegen, hörte ich grosses Stimmengewirr. Weisst Du, wie das Rauschen im Publikum, wenn der Vorhang nach einer aufregenden Scene herniedergegangen ist ... So, nun weisst Du alles. Vorläufig bist Du gerächt. Morgen wird halb Berlin von dem Vorfall sprechen ... Aber nun sei auch vernünftig, und lass das Weinen! Wir haben jetzt ernst zu reden. Jetzt heisst’s vor allem, Deine fünfzigtausend Mark zu retten, die Du in Deiner Gutmütigkeit diesen Generalspitzbuben anvertraut hattest. Es giebt nur einen Weg: morgen in aller Frühe zum Grossvater gehen und dem alles erzählen! Das Übrige werde ich schon machen.“

      Mit erhobenem Haupte durchschritt er das Zimmer. In diesem Augenblick kam er sich wie ein grosser Held vor, der fest davon überzeugt ist, das durchlebt zu haben, was er soeben erzählt hat. Dann ärgerte er sich darüber, nicht in derselben Weise gehandelt zu haben. Er blieb wieder stehen und sagte aufs neue:

      „Weisst Du, ich möchte die ganze Geschichte in die Zeitungen bringen. Ich kenne einen Reporter, der solche Dinge besorgt. Ich habe ihn im Börsencafé kennen gelernt. Eine Idee — was? Natürlich müsste der Vorgang, den ich hier nur ganz trocken erzählt habe, noch ein bisschen ausgeschmückt werden, damit’s romantischer wird!“

      Nun ganz von diesem Gedanken erfasst, vergass er alles andere und lies wie unsinnig auf und ab. Dabei erging er sich aufs neue in grössenwahnsinnigen Einbildungen.

      „Stelle Dir ungefähr den folgenden Anfang vor,“ sagte er wieder, unbekümmert darum, ob Hannchen zuhöre oder nicht: „Folgendes überaus ergötzliche Geschichtchen, deren Held einer unserer begabtesten jüngeren Bildhauer Namens T. ist, macht augenblicklich in den Kreisen unserer Grossindustriellen die Runde‘ ... Oder meinetwegen könnte es auch so beginnen: Ein Vorgang, der lebhaft an den Inhalt eines Familiendramas erinnert, spielte sich neulich abend in der Villa eines bekannten Millionärs im Osten unserer Stadt ab. Der junge Bildhauer T., bekannt als Liebling der Frauen, noch bekannter durch sein schneidiges Auftreten, ... und so weiter. ... Gefällt mir aber auch nicht! Am besten wäre es schon, ich forderte ihn wirklich zum Duell, das macht am interessantesten. Wenn ich dann noch eine kleine Verwundung bekäme, dann wäre ich wahrhaftig schöne raus ... Ick sag’ Dir, Hannchen, so wat macht Furore und kost’t nischt,“ verfiel er plötzlich in die Berliner Sprechweise.

      Hannchen brachte ihn erst wieder zur Besinnung. Sie erhob sich, schritt zum Waschgerät und kühlte sich das Gesicht. Sie hatte aufgehört zu weinen, aber noch immer stand sie unter dem Eindruck der grossen Erschütterung. Verhaltenes Schluchzen stieg in ihr empor, was sie mit Gewalt zu unterdrücken versuchte. Endlich fühlte sie sich soweit beruhigt, um sprechen zu können.

      „Heinz, wir haben uns früher oft gezankt, haben uns auch immer wieder vertragen. Wenn ich nicht wüsste, dass Du bei Bandels ein- und ausgingst, hätte ich Dich vielleicht ausgelacht. Du wirst gewiss nicht wollen, dass ich irgend etwas thäte, was von schlimmen Folgen sein könnte. Sage mir offen und ehrlich — ist das alles wahr, was Du mir erzählt hast?“

      Es war ihr, als wäre sie jetzt aus einem bösen Traum erwacht und müsste sich überzeugen, was Wirklichkeit und Schein sei.

      „Aber natürlich ist es wahr! Es freut mich nur, dass Du Dich darein so schnell gefunden hast. Lass die Gesellschaft schiessen! Ein Mädchen wie Du bekommt immer noch ’nen Mann. Bedenke doch nur, dass Du einen Künstler zum Bruder hast! Schicke ihm morgen den Verlobungsring zurück, und gieb ihm in ein paar kernigen Zeilen den Laufpass. Immer stolz wie ’ne Spanierin!“

      „Und er war wirklich da und hat Hand in Hand mit ihr gesessen, wie Du ebenfalls gesagt hast?“

      „Das kann ich nun mit zehn Eiden beschwören! Pass ’mal auf, ich will Dir die Situation ganz genau beschreiben.“

      Er stellte sich mitten ins Zimmer, brachte beide Arme in Bewegung und begann mit den Händen Linien in der Luft zu beschreiben.

      „Hier ist der Korridor — riesig vornehm natürlich. Musst Dir nicht etwa so’n Korridor vorstellen, wie in ’ner Mietskaserne, wo man sich im Dunkeln die Köpfe einrennt, sondern einen Raum beinahe so breit wie das Zimmer hier: fein tapeziert, grosse Spiegel, die bis an die Decke reichen, — wie die gute Stube bei unserem früheren Hauswirt, noch feiner sogar, mit Geschmack und Farbensinn — verstehst Du?“

      „Ja doch, ja doch! Komm doch nur vom Fleck.“

      „Ich muss Dir doch alles ganz genau plausibel machen. ... Rechts liegen die Salons und Staatszimmer, die nur für Gesellschaften bestimmt sind, und links die Wohn- und Schlafzimmer. Ich öffne die letzte Thür und denke, der Alte, sie und das Mädel würden wie gewöhnlich gemütlich im Familienzimmer zusammensitzen. Ich trete also ein, und da seh’

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