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der geöffneten Thür gesetzt und liess die Zimmer, die vor ihm lagen, nicht aus den Augen.

      „Gerade das hat die grösste Verwunderung in mir erregt,“ siel Eberhard ein.

      „Wie kann man sich über das höfliche Entgegenkommen gebildeter Leute wundern?“

      „Unter so eigentümlichen Verhältnissen wohl, Papa. Hätte ich geahnt, dass dieser Besuch eine derartige Ausdehnung annehmen würde, so hätte ich es doch lieber vorgezogen, die freundliche Einladung abzulehnen.“

      „Du hattest gar keinen Grund dazu — Beweis: die Liebenswürdigkeit, mit der man Dir wie in früheren Zeiten entgegengekommen ist.“

      „Deren Zweck Du wohl ebenfalls kennen wirst.“

      Treuling der Ältere that auch diesmal so, als verstände er seinen Sohn nicht. In demselben leichten Ton wie zuvor fuhr er fort:

      „Die Hauptsache ist, dass Dich diese Liebenswürdigkeit nicht peinlich berührt hat.“

      „Das gerade aber ist der Fall gewesen. Mir scheint es, als habe man hier gewisse Vorbereitungen getroffen.“

      „Gewiss — zu unserm Empfang. Die Sache ist sehr einfach. Bandel hatte herübergeschickt hinter meinem Rücken. Es ist doch auch ganz selbstverständlich, dass man alte Bekannte würdig zu empfangen pflegt.“

      Plötzlich blieb Eberhard vor ihm stehen und sagte eindringlich: „Höre, Papa, Du willst mich nicht verstehen — wir wollen uns doch keine Komödie vorspielen!“

      Noch immer blieb der Alte unbeweglich, den Blick geradeaus gerichtet. „Wenn ich Dich bitten darf, sei nicht so laut, man könnte uns hören. Wir besinden uns nicht in unserem Hause.“

      „Das weiss ich. Ich werde Dir auch nicht viel zu sagen haben. Sei nur so freundlich und beantworte mir die eine Frage: Hattest Du die bestimmte Absicht, mich hier wieder mit Bandel zusammen zu bringen?“

      „Aber sei doch nicht komisch! Ich hatte Dir doch telephoniert, dass Du hier sein möchtest.“

      „Ja, aber nur rein geschäftlich.“

      „Aber lass mich doch nicht wiederholen, was ich schon einmal gesagt habe. Es hatte sich eben alles so gemacht.“

      „Ich habe aber den Eindruck empfangen, dass Mutter und Tochter der Ansicht lebten, ich wollte die alten Beziehungen wieder anknüpfen.“

      „Ach was! Haben sie Dir das etwa in zarter Weise zu verstehen gegeben? Junge, dann könntest Du Dich ja glücklich schätzen, und Du wärst der grösste Narr dieses Jahrhunderts, wenn Du nicht noch in letzter Stunde zur Besinnung kämst.“

      „Papa — es ist ja nicht zu glauben! Ja, jetzt verstehe ich alles! Also ein richtiges Komplott, um Dein Lieblingsprojekt verwirklicht zu sehen?“

      Er trat ein paar Schritt zurück, verschränkte unwillkürlich die Hände und starrte seinen Vater gross an. Er wollte weiter sprechen, aber der Alte hatte sich mit Leichtigkeit erhoben, war auf ihn zugetreten und legte beide Hände auf seine Schultern. Und mit unterdrückter Stimme sagte er:

      „Ja, ich will es offen gestehen, ich habe Dich mit Bewusstsein hierhergebracht, um Dir die goldene Brücke wieder zu bauen, um Dich vor dem Abgrund Deines Lebens zu bewahren! Noch hast Du nicht vor dem Altar gestanden, noch Dich nicht an ein Mädchen gekettet, das seiner Bildung und Abstammung nach nicht zu Dir passt, das Dich elend machen wird, wenn Du erst dieselben Wände mit ihm teilst. Junge, Junge, höre auf mich! Es ist ein alter, welterfahrener Mann, der zu Dir spricht. Mein Herz blutet in diesem Augenblick, wenn ich daran denke, dass mein Einziger, der Stolz seiner Eltern blindlings ins Verderben rennen will ... Nein, wende Dich nicht ab, höre mich weiter an! Es ist ein Verzweiflungs- und Warnungsruf zu gleicher Zeit, der aus mir schallt. Du bist ein Phantast, ein Schwärmer, aber kein vernünftig denkender Mensch — ein idealer Revolutionär, der im engen Kreise einen Ausgleich der gesellschaftlichen Unterschiede schaffen möchte! Aber Du wirst Dir den Schädel dabei einrennen, verlass Dich darauf. Geliebte und Frau sind zwei ganz verschiedene Wesen, zwei entgegengesetzte Pole, die man weit auseinanderhalten muss, wie die Natur es verlangt. Die Geliebte ist nur der Körper, die Frau ist aber die Seele und der Geist dazu.

      „Und so wahr es ist, dass Feuer und Wasser sich nicht vertragen, so wird ein Mann von Deiner Erziehung und Deiner gesellschaftlichen Bildung niemals aus einer ehemaligen Arbeiterin eine Frau nach seinem Geschmacke machen. Du wirst sie nicht emporziehen, sondern sie wird Dich herunterziehen, sie wird nicht Deine Eigenschaften annehmen, sondern Du die ihrigen. Es ist nun einmal so im Leben: das Schlechte tötet das Gute im Menschen zehnmal eher als umgekehrt. Eberhard, Herzensjunge, unterliege nicht der Schwäche aus falschem Ehrgefühl, sondern zeige Dich als Mann, der mit den Thatsachen rechnet, wie sie sind! ... Ich strecke Dir die Hände förmlich entgegen, um Dich an die Brust zu ziehen und nicht mehr zu lassen.“

      Noch niemals hatte Eberhard ihn so sprechen hören: mit bebenden Lippen und einem Ausdruck im Auge, wie ihn ein Verzweifelter hat, der die letzte Bitte seines Lebens ausspricht. Das war nicht mehr der kalte Geschäftsmann, der nur mit Zahlen rechnet, wie an jenem Abend, als sich das Gespräch um denselben Punkt gedreht hatte — das war der Vater, der mit übervollem Herzen zu seinem Sohne spricht.

      Das bestimmte ihn, sanft zu antworten:

      „Es thut mir herzlich leid, Papa, dass Du aufs neue darüber in Erregung gerätst. Lassen wir doch jetzt die ganzen Auseinandersetzungen — versuchen wir lieber, sobald als möglich uns zu empfehlen. Es betrübt mich wirklich, Dir nicht so danken zu können, wie Du als Vater es von mir erwarten könntest. Und das soll nicht etwa heissen, dass Deine Anschauungen unrichtig sind — im Gegenteil, ich bin gerecht genug, sie für richtiger als die meinigen zu erklären, wenigstens dem landläufigen Begriffe nach.“

      „Nun, dann müsstest Du wahnsinnig sein, wenn Du nicht das thätest, was tausend andere Menschen in derselben Lage thun würden.“

      Treuling der Ältere hatte das mit etwas schwacher Stimme gesagt, nachdem er die Hände von seinem Sohne zurückgezogen hatte. Es klang gerade so, als hielte er nun selbst seine Redekunst für erschöpft.

      Eberhard war durch das Zimmer gegangen, blieb nun wieder stehen und fragte ruhig:

      „Bandels wissen doch um Deine Absichten, nicht wahr? Jetzt kannst Du es mir ja gestehen ...“

      „Ja, Du sollst nun auch alles wissen. Ich habe dem Alten gesagt, dass Du wieder vollständig frei seist, man hätte Dir das Jawort zurückgegeben.“

      „Also hast Du Ihnen die Unwahrheit gesagt, Papa?!“

      „Wenn Du es so nennen willst ...“

      Eberhard ging wie ausser sich im Zimmer umher. Stumm rang er die Hände; dann rief er erregt aus: „Mein Gott, in was für eine Situation bin ich geraten! ... Und Hertha ist derselben Meinung, dass ich —?“

      „Möglich, dass ihr Andeutungen darüber gemacht worden sind ... wahrscheinlich sogar.“

      „Ja, jetzt ist mir ja alles begreiflich! Aber wie konntest Du nur —“

      „Seid ihr denn zu irgend einer Aussprache gekommen?“

      „Das kannst Du Dir doch denken ... wenn ihr die Sache so leicht gemacht wird ... Zum Glück hat unsere ganze Unterhaltung nur aus Andeutungen bestanden.“

      „So? Sie ist also sozusagen aus Dir nicht klug geworden?“

      „Was heisst klug geworden! Wir sind uns beide wie zwei grosse Rätsel vorgekommen.“

      „Dann kann also die Lösung immer noch folgen,“ warf Treuling, nun wieder ruhig geworden, in einer Anwandlung von Heiterkeit ein.

      „Ich begreife nicht, wie Du wieder eine lustige Miene zeigen kannst, Papa ... Ich muss mich nur schämen, ihr unter die Augen zu treten. Was werden die Alten dazu sagen, wenn sie von ihr die Aufklärung erhalten!“

      „Wenn sie aus Dir nicht ganz klug geworden ist, so wird sie sich hüten, gleich alles verloren zu geben. Junge Mädchen sind darin etwas wunderlich, sie geben

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